Jede Einstellung des Films ist Avantgarde. Die Kunstfilmer Hélène Cattet und Bruno Forzani widmen sich zum dritten Mal dem italienischen Genrefilm der 60er und 70er und überspitzen den Film optisch ins zügellos psychedelische. Als Story dient eine französische Crime-Novelle von Jean Patrick Manchette, die das Regieduo als Italo-Western meets Poliziotti-Streifen umsetzt und dabei keine Gefangenen macht.

Originaltitel: Laissez bronzer les cadavres

Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani

Darsteller: Marc Barbé, Bernie Bonvoisin, Elina Löwensohn, Dorylia Calmel

Artikel von Kai Kinnert

Die Novelle von Patrick Manchette wurde Anfang der 70er ein Erfolg in Frankreich, da er gekonnt alle möglichen bekannten französischen Krimis in einer sehr reduzierten Story zitierte und so auf trockene Art und Weise etwas originell Neues schaffte. Die Story spielt auf Korsika und handelt von der Malerin Luce (Elina Löwensohn) und ihren beiden Lovern, die in einer Burgruine mit Meerblick wohnen und alsbald bösen Besuch haben werden. Ein Gangster-Trio überfällt einen Gold-Transport und nimmt auf der Flucht zwei Frauen und ein Kind mit, die durch die Gegend Korsikas irren. Sie fahren zu der Künstler-Burgruine, die als Versteck vor der Polizei dienen soll und geraten so an das Trio. An ihre Spuren haben sich zwei Motorradpolizisten geheftet, die nun auch bald bei der Ruine auftauchen werden. Ohne Rücksicht auf Verluste gehen bald alle Beteiligten aufeinander los, denn es geht um 250 Kilo Gold, was die Gier aller weckt. Nach nur einer Nacht gleicht die Ruine am nächsten Morgen einem Schlachtfeld.

Wer sich aufgrund der Handlung auf den Film einlässt, wird sein blaues Wunder erleben, denn Cattet und Forzani nutzen die optischen Stilmittel des Genrefilms, hier eben den italienischen Western, so kondensiert und konsequent, das es einen nicht nur erschlägt, sondern auch streckenweise langweilt. Von der ersten Minute an ist jede Einstellung optische Hyperventilation und reiht endlos Halb-Nah und Detailaufnahmen aneinander, knallt Farben und Gegenlicht rein, dreht und zoomt auf Teufel kommt raus. Tatsächlich passt die Story für einen Film im Stil der italienischen Western ganz gut und doch erschleicht einen beim Sehen des Films das Gefühl, dass man mit weniger optischem Firlefanz deutlich mehr erreichen könnte.

Parallel zur Handlung haben alle Beteiligten ob ihrer angespannten Situation seltsame Tagträume, in denen dann die Regisseure den kreativen Teekessel noch weiter unter Druck setzen. Erotisch angehaucht steigert sich der Film in diesen Träumen zu surrealen Szenen, die nahelegen, dass eigentlich nur ein einziger Italowestern als stilistische Idee bei diesem Film diente. Tinto Brass drehte 1966 YANKEE mit Philippe Leroy in der Hauptrolle und nutzte viele Momente, die Cattet und Forzani in LEICHEN UNTER BRENNENDER SONNE haufenweise wieder aufgreifen. Die schrägen Kamerawinkel, die anti-naturalistische Ausleuchtung und Volltonfarben fanden bei YANKEE häufiger ihren Einsatz als in anderen Italowestern. Selbst die Szene, in der eine der Frauen nackt an einen Pfahl gefesselt wird, gab es schon bei Tinto Brass. Die Traumsequenz mit der Frau am Pfahl ist nur eine von etlichen weiteren psychedelischen Szenen, die dann schon im Gedächtnis des Zuschauers bleiben. Plötzlich wird eine nackte Frau an einen Pfahl gefesselt. Die Fesseln schnüren sich dabei über die Brust der Frau und es schießt, gefilmt im Gegenlicht, Milch heraus. Männerhände und Münder sind dabei, die Milch wird zu Sekt (oder Selter), der am Körper in Bächen herunterläuft.

Das ist schon seltsam, könnte auch Kunst sein, muss es aber nicht – alles eben eine Frage des Geschmacks. Im Film beginnt dann die Nacht, die Gruppe beginnt im Kampf um das Gold auf sich zu schießen. Es spritzt Blut, Leute sterben, Gold schmilzt, Funken fliegen, im Auge plötzlich Sterne. Neben dem Töten geraten sie immer wieder ins Träumen. Man könnte meinen, das Dario Argentos LSD Phase hier das zweite Genre von LEICHEN UNTER BRENNENDER SONNE liefert, bei dem sich das Regieduo fleißig bedient. Manchmal gelingen diese Momente sogar.

Da sind die Szenen dann ein zurückgenommenes Gemisch aus Western, Giallo und Poliziotti-Film und liefern ein vergnügliches optisches Zitat, das man sich mehr davon gewünscht hätte. In der Ruhe liegt eben die Kraft.

Aber dann kommt die Szene, von der Chuck Norris sicher oft träumt. Im Dunkeln der Ruine steht eine Frau im Kleid, das Licht fällt wie ein Spot von oben. Eine MP wird ins Bild gehalten und feuert auf die Frau. Die Kugeln treffen sie, Zeitlupe, Strotoskoplicht zerhackt ihre Bewegungen. Es spritzt kein Blut, denn die Kugeln schießen der Frau das Kleid vom Körper, dazu Lippen, Augen, Keuchen, das Kleid fliegt in Fetzen von ihr, bis sie nackt ist. Das ist irgendwie scheiße, aber irgendwie auch wieder originell. Man bleibt unentschlossen.

LEICHEN UNTER BRENNENDER SONNE ermüdet dennoch. Die Form bestimmt den Inhalt und das Regieduo widmet sich dem italienischen Genrefilms als Kunstprojekt und nicht als Hommage. Jede Einstellung ist symbolisch übersteigert und zugleich auf wenige Stile reduziert. Alles hat so sehr eine Bedeutung, das es auf Dauer verkrampft. Manchmal vergisst der Film das Symbolische seiner Kameraeinstellungen und liefert nur die Spannung der Romanvorlage, die völlig ausgereicht hätte, um künstlerisch im Genre wirken zu können. Da wird man dann auch wieder konzentriert, denn die Zurückgenommenheit macht wieder offen für das psychedelische Element, in dem dann doch wieder alles endet. Kunst ist die Lockerheit im Können und nicht im Wollen. Wer DER TOD WEINT ROTE TRÄNEN schon mochte, wird hier nicht enttäuscht werden. Cattet und Forzani bleiben ihrem Stil treu.

Trailer:

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