Eine gläserne Welt, ganz ohne Privatsphäre und Geheimnisse. Ein Umstand, der schon heute, durch soziale Medien und digitale Überwachung, fast allgegenwärtig ist. Andrew Niccol treibt dies in seinem neuen Thriller „Anon“ (2018) auf die Spitze liefert ein futuristisches Katz- und Mausspiel, in dem Anonymität keinen Platz hat. Ob der Film, den uns Koch Films ins Heimkino bringt, ein wertvoller Weckruf für unsere Gesellschaft ist oder gänzlich in der besagten Anonymität verschwindet, verraten wir euch in unserer Kritik!
Originaltitel: Anon
Drehbuch & Regie: Andrew Niccol
Darsteller: Clive Owen, Amanda Seyfried, Colm Feore, Iddo Goldberg, Sonya Walger…
Artikel von Christopher Feldmann
Es ist heutzutage schon recht schwierig seine Privatsphäre zu bewahren. Im Zeitalter von Datenerhebung in allen Formen, sind wir immer gläsern, ob wir es wollen oder nicht. Es vergeht kaum eine Stunde am Tag, an dem der Mensch keinen digitalen Fingerabdruck hinterlässt, ob er nun ein Video auf Facebook teilt, oder eine Bestellung auf Amazon tätigt. Aber was wäre, wenn die Privatsphäre völlig ausgestorben wäre? Wenn Anonymität zum Fremdwort wird? Wenn jede Bewegung überwacht und nachvollzogen werden kann? Eine gruselige Vorstellung. Regisseur Andrew Niccol, der sich bereits mit Werken wie „Gattaca“ (1997) und „In Time“ (2011) auf dystopischen Pfaden bewegt hat, präsentiert uns mit seinem neusten Film „Anon“ genau dieses Szenario und geht der Frage nach, welche Auswirkungen, sowie Vor- und Nachteile, die totale Datenkontrolle hat. Dabei herausgekommen, ist ein höchst interessanter, stylischer Thriller, der leider vor Allem an seinem quälend langsamen Erzähltempo scheitert.
Handlung:
Wir befinden uns in einer undefinierten Zukunft. Durch fortschrittliche Biosyn-Impantate, sogenannte „Minds-Eyes“, werden die visuellen Informationen eines jeden Menschen erfasst, aufgezeichnet und in eine riesige Datenbak namens „The Ether“ eingespeist. Diese Datenbank wird von den Strafverfolgungsbehörden zur Verbrechensbekämpfung genutzt. Dadurch sind Privatsphäre und Anonymität gänzlich verschwunden, ungelöste Kriminalfälle jedoch eigentlich nicht mehr existent. Als der Ermittler Sal Frieland (Clive Owen) in einen Mordfall gerät, welcher durch Datenmanipulation nicht aufgedeckt werden kann, trifft er gleichzeitig auf eine junge Frau (Amanda Seyfried), die keine digitale Identität zu haben scheint. Schon bald befindet sich Frieland in einem Wettlauf gegen die Zeit, bei dem Nichts mehr so ist, wie es scheint.
Der britische Autor und Filmemacher Andrew Niccol hat sich im modernen Kino durchaus verdient gemacht. Bereits mit seinem Debüt „Gattaca“ (1997) schuf der Regisseur eine beißende Kritik an der damaligen Gen-Forschung. Seine berühmteste Arbeit stellt dabei wohl das Drehbuch zur Medien-Satire „Die Truman Show“ (1998) dar. Mittlerweile scheint Niccol auch Streaming-Zeitalter angekommen zu sein, denn „Anon“ wurde immerhin von SKY CINEMA ORIGINAL FILMS finanziert und ausgewertet. Den internationalen Vertrieb übernimmt dabei NETFLIX. In Deutschland hat sich KOCH FILMS dem dystopischen Science Fiction-Thriller angenommen und veröffentlicht ihn standesgemäß auf Blu-Ray und DVD, weshalb wir Medienhuren auch in den Genuss einer Pressekopie kamen.
Ohne große Umschweife, lässt sich sagen, dass sich hinter „Anon“ nur ein mittelmäßiger Film verbirgt, und das obwohl mich der Trailer durchaus angesprochen hat. Niccol, der auch hier für das Drehbuch verantwortlich war, bietet dem Zuschauer eine wirklich interessante Prämisse an, die auch weitestgehend funktioniert und ansprechend ausgearbeitet wurde. Wie es wohl wäre, wenn einem bei bloßem Blickkontakt alle verfügbaren Informationen seines Gegenübers angezeigt werden würde? Sicher hilfreich aber im Nachklang auch irgendwie gruselig. Niccol zeichnet eine detaillierte Welt, in der es keine Verbrechen mehr gibt, da man die Lösung schon nach zwei Klicks auf dem Tisch hat. Dabei versteift sich das Skript jedoch zu sehr auf die Mechanismen einer neuen, digitalen Welt, anstatt Spannung aufzubauen oder das präsentierte Szenario weiter zu hinterfragen. Der Thriller-Plot wirkt dabei eher etwas unausgegoren und wird recht stiefmütterlich behandelt. Man könnte erwarten, dass sich die Ermittler, aufgrund der Datenmanipulation, wieder mehr auf konventionelle Arbeit stützen müssten, doch dem ist leider nicht so. So plätschert die Handlung recht überraschungsfrei vor sich hin und bremst sich selbst immer wieder durch lange Dialoge aus, die meist darauf bedacht sind, dem Zuschauer etwas zu erklären. Das gestaltet sich auf Dauer sehr mühsam und konnte mein Interesse nur bedingt über die 100 Minuten aufrechterhalten.
Dabei gab es auch Dinge, die ich wirklich mochte. Ich mochte vor Allem die ersten 20 Minuten, in denen unser Protagonist seine Alltagsarbeit verrichtet und uns demonstriert wie diese Welt funktioniert. Nur leider nutzt sich das gelungene Set-Up immer weiter ab, da es einfach inflationär erklärt wird. Ich mochte aber auch die Tatsache, dass man Wirklichkeit und Irreales immer wieder durcheinander wirft. Wenn Clive Owen nicht mehr weiß, ob er Dinge wirklich sieht, oder ob es sich letztendlich nur um Projektionen eines Hackers handelt, dann empfand ich das als gute Idee. Nur leider stinken diese schönen Einfälle etwas ab, was vor Allem an der langsamen Gangart des Films liegt. Auch die Darsteller agieren recht kühl und emotionslos, was wohl dem Stil geschuldet ist, mich aber auch recht kalt gelassen hat. Clive Owen und Amanda Seyfried, zwei eigentlich ordentliche Schauspieler, laufen mit gut zwei Gesichtsausdrücken pro Person durch den Film.
Passend zur Story und auch seinen bisherigen Werken, ist die Inszenierung von Niccol recht statisch und steril. Es gibt kaum Experimente, wenn man mal den Effekt mit den „Mind Eyes“ außer Acht lässt. So spiegelt der visuelle Stil recht genau das kalte und futuristische wieder, was uns der Film vermitteln will. Eine graue Welt, ohne viel Empathie und Überraschungen, in der Clive Owen, wenn er mal um seinen verstorbenen Sohn trauert, schon fast wie ein Fremdkörper wirkt. Zwar ist die Idee mit der „Mind Eyes“-Perspektive ein netter Schachzug, sorgt aber oft dafür, dass der Film eine gewisse Videospiel-Optik besitzt, die so gar nicht mein Fall ist und besonders in den Spannungsszenen negativ auffällt. Das ist mehr eine Geschmacksfrage, jeder sieht das anders, aber meine Tasse Tee war es eher nicht.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, erscheint „Anon“ auf Blu-Ray und DVD, und hat auch etwas Bonusmaterial zu bieten. Neben dem Trailer und Interviews, befindet sich auch ein knapp einstündiges Featurette mit Andrew Niccol auf dem Filmfest München, welches recht sehenswert ist.
Fazit:
Mit „Anon“ (2018) legt „Gattaca“-Schöpfer Niccol seinen neusten Science Fiction-Thriller vor. Trotz guter Prämisse und hübschen Ideen, versandet das dystopische Werk jedoch nur im Mittelmaß, aufgrund eines öden Erzähltempos und ausdrucksloser Figuren. Schade eigentlich. Nick Allen von RogerEbert.com hat es recht treffend formuliert. Laut ihm sein „Anon“ so unterhaltsam wie jemandem zuzuhören, der dir jede Regel eines Spiels erklärt, während du einfach nur spielen willst!