Ebenso wie Filme, stehen deutsche Serien nicht unbedingt für internationale Wettbewerbsfähigkeit. Diesem Trend wirkt NETFLIX entgegen und präsentiert, nach DARK (2017), die zweite Eigenproduktion aus good old Germany für den Streaming-Giganten. Dabei hat man sich Regisseur und Autor Christian Alvart herangeholt, der ja bereits Hollywood-Luft geschnuppert hat. Ob seine, komplett von ihm geschrieben und inszenierte, Thriller-Serie ein weiteres Ticket für diese Liga darstellt, erfahrt ihr in unserer Kritik, denn wir haben DOGS OF BERLIN auf Herz und Nieren geprüft!
Originaltitel: Dogs of Berlin
Episoden: 10
Idee: Christian Alvart
Drehbücher: Christian Alvart, Jan Cronauer, Georg Hartmann…
Regie: Christian Alvart
Darsteller: Felix Kramer, Fahri Yardim, Anna Maria Mühe, Mohamed Issa, Kais Setti, Katharina Schüttler, Katrin Saß…
Artikel von Christopher Feldmann
Christian Alvart ist im Moment das Beste, was das deutsche Genre-Kino zu bieten hat. Der Schöpfer des Thriller-Meilensteins ANTIKÖRPER (2004) hat sich in den letzten Jahren vor Allem einen Namen als Mann hinter den TATORT-Filmen mit Til Schweiger gemacht. Jetzt kann man sich natürlich darüber streiten, in welcher Qualitätsklasse man dieses Projekt verortet und wie man zu Herrn Schweiger steht aber man kann mit Recht behaupten, dass Alvart mit den TV-Krimis für frischen Wind im TV gesorgt hat, denn mit seinen TSCHILLER-Geschichten mag er sich zwar vom klassischen Sonntagabendkrimi weit entfernt haben, jedoch wussten die eher raubauzigen und actionorientierten Filme zu gefallen. Schade nur, dass der nachfolgende Kinofilm eklatanten Schiffsbruch erlitten hat, denn er war, trotz akuter Doofheit, immerhin gut gemacht. Auch wenn Alvart mit seinem letzten Film ABGESCHNITTEN (2018), einer Sebastian Fitzek-Adaption, eher auf Pfaden des David Fincher gewandelt ist, knüpft der, in Hessen geborene, Filmemacher mit DOGS OF BERLIN wieder an TATORT-Tugenden an und serviert eine Serie, die so wahrscheinlich nicht in den öffentlich Rechtlichen laufen würde. Statt gemäßigtem Krimi, gibt es miese Gangster, korrupte Bullen, viel Gewalt und eine zynische Grundstimmung.
Handlung:
Berlin befindet sich fest im Griff des organisierten Verbrechens. Während der Clan des Jugoslawen Tomo Kovac (Misel Maticevic) das illegale Wettgeschäft kontrolliert, ist die Drogenszene in der Hand des Tarik-Amir-Clans, unter der Führung von Hakim Tarik-Amir (Sinan Farhangmehr). Als der türkische Fußballstar Orkan Erdem ermordet in Mahrzahn aufgefunden wird, übernimmt der LKA-Beamte Kurt Grimmer (Felix Kramer) die Ermittlungen. Er hält die Identität des Opfers zunächst geheim, da er, kurz vor einem Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei, einen Rassenkrieg befürchtet. Zudem hat er hohe Wettschulden bei Kovac, weswegen er die Situation ausnutzt. Um guten Eindruck auf die Presse und die Öffentlichkeit zu machen, wird ihm der homosexuelle Ermittler Erol Birkan (Fahri Yardim) zur Seite gestellt. Bald schon befinden sich die Beiden in einem Strudel aus Korruption, illegalen Machenschaften, Rassismus und Bandkriegen, und das Pulverfass steht kurz vor der Explosion.
Ich habe DOGS OF BERLIN mit Spannung erwartet, da ich immer neugierig bin, wenn man hierzulande den Versuch unternimmt, etwas für den internationalen Markt zu produzieren. Und was soll ich sagen, Alvart hat hier einen ziemlich guten Job gemacht. Neben seiner Tätigkeit hat er die zehn Episoden nicht nur inszeniert, sondern auch geschrieben und von Grund auf entwickelt. Das spürt man sehr stark, da die Serie einen guten tonalen Fluss hat. Man merkt zu jeder Sekunde, dass eine Person dahinter steckt, die die Fäden in der Hand hält. Das kommt auch dem Erzählfluss zu Gute, denn DOGS OF BERLIN ist aus einem Guss. Das ist schon mal ein großer Pluspunkt, denn es passiert oft, dass mich Serien an bestimmten Stellen einfach verlieren, da oft im Mittelteil viel Wasser getreten wird, wenn verschiedene Autoren am Werk sind. Oftmals verschiebt sich irgendwo der Fokus in der Story und Plotpoints, die vorher groß aufgezogen werden, verschieben sich in den Hintergrund. Dies ist hier nicht der Fall, weswegen sich die zehn Episoden recht gut gucken lassen, ohne dass man das Gefühl hat, die Story betreibt einen Slalomlauf. Auch optisch ist die Serie, für deutsche Verhältnisse, um jeden Zweifel erhaben. Alvart schöpft aus dem Vollen und sorgt für eine hochwertige Optik. Sein Projekt muss sich nicht hinter anderen Produktionen verstecken, denn aufwendige Kamerafahrten, Plansequenzen, Actionszenen und Großaufnahmen mit vielen Statisten sorgen für mitreißende Unterhaltung. Man merkt einfach, dass der Regisseur es versteht, auf hohem Niveau zu inszenieren. Alles andere wäre auch ein Reinfall, denn bei einer groß angelegten Prämisse, wie sie hier der Fall, muss man einfach auch mal ein bisschen auf die Kacke hauen und das Ganze nicht in Szene setzten wie eine Folge GUTE ZEITEN SCHLECHTE ZEITEN. Ich übersehe dabei mal die Szenen im Fußballstadion, die im Vergleich zum Rest arg günstig aussehen, Stichwort Rückprojektion.
Kommen wir zu den dramaturgischen Aspekten von DOGS OF BERLIN. In erster Linie handelt es sich um eine Thriller-Serie im Polizei-Milieu. Es geht um ruchlose Gangster und knallharte Polizisten aber Alvart sträubt sich gegen eine klare Zeichnung von Gut und Böse, was auch im Format einer Serie etwas zu wenig wäre. Man nimmt sich Zeit die Figuren kennen zu lernen, die oft ihr eigenes Süppchen kochen. Unsere Hauptfigur, Kurt Grimmer, ist das beste Beispiel. Ein Polizist vom LKA, der sich der Bekämpfung von Verbrechen und organisierter Kriminalität verschrieben hat. Dabei ist der gute Mann weit weniger Tugendhaft als man meinen könnte. Während die brave Familie zuhause sitzt, vögelt Grimmer gerne seine alte sozialschwache Schulfreundin Sabine aus Mahrzahn. Auch belasten ihn hohe Wettschulden, die er nicht zurückzahlen kann, weswegen er in dem zentralen Mordfall immer wieder Tricks und illegale Kniffe anwenden muss, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dabei hilft es ihm nicht, dass er eine rechtsradikale Vergangenheit hat. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Figuren. Erol Birkan ist beim Drogendezernat und homosexuell, lebt in Angst vor seinem fundamentalistischen Vater und hat eine persönliche Rechnung mit dem Tarik-Amir-Clan offen. Das wären auch im Prinzip die beiden dreidimensionalen Figuren in DOGS OF BERLIN, die beide wirklich gute und spannende Handlungsbögen spendiert bekommen. Es macht Spaß, ihnen zu folgen und durch die vielseitige Figurenzeichnung, schafft es die Serie immer wieder zu überraschen, ohne dass es zu arg konstruiert wirkt. Anders verhält es sich bei restlichen Figuren. Die sind oft recht einfach gezeichnet und mit Klischees belastet. Das wirkt zwar öfters unfreiwillig komisch, dürfte aber Fans von Pulp gefallen und ist nur in wenigen Fällen ärgerlich. Teilweise lebt die Serie von ihrer gnadenlosen Überzeichnung.
Allein Berlin wird als totaler Moloch dargestellt, in dem Mann als normaler Bürger eigentlich täglich damit rechnen muss, über den Haufen geballert zu werden. Hier ist das Verkommene an der Tagesordnung. Oft bewegt sich die Serie in zwielichtigen Ecken und man hat mit der „Kaiserwarte“ einen berüchtigten, fiktionalen Stadtteil hinzugedichtet, in dem man sich als Polizist nur bewegt, wenn man komplett einen an der Krone hat. So reden die Polizisten über die sogenannte „NoGo-Area“, einem kleinen Bezirk, in dem der Tarik-Amir-Klan das Sagen hat. Es gibt sogar eine rote Linie, die man einfach als Bulle nicht übertritt, da ist man sich im Präsidium einig. Das lädt oft zum Schmunzeln ein, denn genau auf diesem Niveau bewegt sich der dramaturgische Kontext der Serie. So ist Grimmers Affäre die typische Assi-Schnalle, die im Plattenbau lebt, ihr Leben nicht im Griff hat, ihre Kinder nicht im Griff hat und sich ein paar Kröten bei einer Telefonsex-Hotline verdient. Wenn diese dann mit Nachnamen auch noch „Ludar“ heißt, dann ist das schon ziemlich platt. Dann gibt es noch den Vorgesetzten Seiler, der gerne mal, in Tradition amerikanischer Vorbilder, rumschreit, weil die SOKO keine Ergebnisse vorzuweisen hat. Auch die rechtsradikale Szene ist recht drollig geraten. Statt sich differenziert mit Rechtsradikalen auseinanderzusetzen, was gerade in der heutigen Zeit Sinn machen würde um ein vielseitiges Licht auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu werfen, charakterisiert Alvart sie als Bomberjacken und Springerstiefel tragende Asoziale, die bei Bier und den Klängen der alten deutschen Nationalhymne im schummrigen Sitzungskeller ihre Parolen schwingen. Das wirkt an mancher Stelle etwas befremdlich, da sich die Serie auch mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen will. Immerhin ist der ermordete Türke ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft, ein Vorbild und Aushängeschild für Integration und Toleranz. Edle Absichten, die Herr Alvart hier an den Tag legt, die aber immer mehr verwässern, weil alle Figuren aus dem Lehrbuch für platte Charakterisierungen zu stammen scheinen.
Die Gangster des Kovac-Klans sind natürlich die schmierigen Jugos, die im Hinterzimmer eines Wettbüros ihre Geldscheine zählen und auf ihren Zahnstochern rum kauen. Die Mitglieder von Tarik-Amir sind indessen die Art von türkischen Mitbürgern, wie sie sich der AFD-Opa am Stammtisch vorstellt. Skrupellose Mörder und Drogenschieber, die mit protzigen Karren und dicken Goldketten die Straßen unsicher machen. Bevorzugte Wörter wie Hurensohn, Mistgeburt oder Yallah sind dabei an der Tagesordnung. Keine Frage, diese Art von Überzeichnung macht irgendwo auch ziemlich viel Spaß, weil man sich an der Over-the-Top Attitüde, und den daraus resultierenden Dialogen, stets erfreuen kann, wenn man sich darauf einlässt. Diese kommt insbesondere im Finale zum Tragen, welches quasi die deutsche Variante von DEATH WISH 3 (1985) darstellt. Witzig! Ansonsten kann man noch sagen, dass die Darsteller einen guten Job machen. Felix Kramer und Fahri Yardim geben ein gutes Duo ab, welches immer wieder Abzweigungen nehmen muss, um voran zu kommen. Mit Anna Maria Mühe, Katrin Sass, Katharina Schüttler und Hannah Herzsprung geben sich noch weitere bekannte Namen die Ehre, die in unterschiedlichen Rollentypen zu Gefallen wissen. Selbst Herzsprung macht eine gute Figur, auch wenn ihre Rolle, die Agentin „Trinity“ im Auftrag des DFB, ziemlich an den Haaren herbeigezogen wirkt. Gleiches gilt für die Seite der Gangster, die zwar, trotz akuter Überzeichnung, von ihren Darstellern mit Spaß und Hingabe portraitiert werden. Es ist wirklich die stimmige Besetzung, die die Serie aufwertet, ansonsten hätte das, auf der dramaturgischen Ebene, ziemlich doof und peinlich wirken können.
Fazit:
Christian Alvarts NETFLIX-Serie DOGS OF BERLIN (2018) wird nicht jedem gefallen, ist sie doch ziemlich klischeebeladen und strotz nur so vor konsequenter Überzeichnung, welche oftmals zur unfreiwilligen Komik neigt. Wer allerdings ein Herz für deftigen Pulp hat und sowieso gerne Stoffe konsumiert, die in entsprechenden Milieus angesiedelt ist, der dürfte mit dieser Serie seinen Spaß haben. Nicht zu leugnen ist die handwerklich sehr gute Qualität, die beweist, dass Deutschland durchaus konkurrenzfähig ist, wenn man will!
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