NETFLIX geht wieder in die Asia-Offensive und präsentiert seit ein paar Tagen einen weiteren Actionknaller aus Fernost, der wieder vornehmlich auf deftige Handkantenschläge und akrobatische Kicks setzt. Ob der, hierzulande mit dem spritzig originellen Titel ER KENNT KEINE GNADE (2018) versehene, Martial-Arts-Kracher bei Fans einen weiteren Begeisterungssturm auslösen wird, wie zuletzt THE NIGHT COMES FOR US (2018), erfahrt ihr in unserer ausführlichen Kritik!
Originaltitel: Revenger
Drehbuch: Bruce Khan
Regie: Lee Seung-Won
Darsteller: Bruce Khan, Park Hee-Soon, Yoon Jin-Seo, Kim In-Kwon, Kim Na-Yeon…
Artikel von Christopher Feldmann
Ich bin ja wirklich zufrieden mit meinem NETFLIX-Abonnement, denn immer wieder entdecke ich Filme, und auch Serien, die ich wahrscheinlich sonst nie wahrnehmen, geschweige denn sehen würde. Großer Pluspunkt in meinen Augen ist die Tatsache, dass der Streaming-Magnat auch gerne Streifen aus Fernost in sein Programm aufnimmt, und das aus unterschiedlichen Genres. So findet der geneigte Zuschauer, wenn er denn genau sucht, viele kleine Perlen aus Indien, Thailand, Indonesien, Japan oder eben Südkorea. Ganz besonders bei Fans von Actionfilmen der östlichen Breitengrade hat der VOD-Anbieter mittlerweile ein Stein im Brett. Groß war der Zuspruch, als etwa Timo Tjahjantos HEADSHOT (2016) noch vor Heimkino-Start exklusiv bei NETFLIX veröffentlicht wurde, und das ungeschnitten mit SPIO-Freigabe. Als man dann noch Geld investierte, damit der eben genannte Filmemacher einen Streifen ganz exklusiv für das Portal drehen konnte, rasteten alle komplett aus, denn mit dem eingangs erwähnten THE NIGHT COMES FOR US befindet sich eine absolute Schlachtplatte von Actionfilm im netflixschen Portfolio, die ebenfalls nie eine FSK-Freigabe erhalten hätte. Natürlich ist man als Konsument und Actionfan umso euphorischer, wenn man auf der Startseite einen ganz neuen, aus Südkorea eingekauften, Titel vorgeschlagen bekommt, bei dem es auch ordentlich auf die Mütze zu geben scheint. Wenn der Titel dann noch ER KENNT KEINE GNADE (im Original REVENGER) lautet, dann reibt man sich schon genüsslich die Hände. Allerdings sollte man, falls man mit der Sichtung noch liebäugelt, die Erwartungen etwas nach unten schrauben, denn der Kampfkunst-Reißer kann den bereits erwähnten Gassenhauern nicht das Wasser reichen.
Handlung:
In einer nahen Zukunft werden Kriminelle und Schwerverbrecher auf einer abgelegenen Insel beherbergt, sich selbst überlassen, ohne jegliche Form der Kontrolle. Während sich einige zu einer kleinen Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, hat der Gangster und mehrfache Mörder Carlos Kun (Park Hee-Soon) eine Schreckensherrschaft errichtet. Wer nicht folgt, der stirbt. Mali (Yoon Jin-Seo) musste das am eigenen Leib erfahren, denn auch ihr Ehemann wurde grausam ermordet. Doch eines Tages landet auch der ehemalige Polizist Yool (Bruce Khan) auf der Insel. Er strebt nach Rache, da Kun einst seine Familie hinrichtete. Nun hat er nur noch ein Ziel: Seinen Feind vernichten, koste es, was es wolle!
Eigentlich lässt sich der Film ganz nett an. Es gibt erstmal eine schöne Kampfszene am Strand, in der Mali ordentlich gegen ihre Häscher austeilen darf. So lange, bis Neuankömmling Yool übernimmt und den Fieslingen gehörig die Leviten liest. Schöner Einstand für einen deftigen Martial-Arts-Kracher, jedoch gerät das koreanische Fäuste-messen mit weiterem Verlauf ziemlich dürftig, speziell unter dramaturgischen Gesichtspunkten. Jetzt brauch man natürlich kein OSCAR-Drama bei diesem Genre, jedoch hätte es doch etwas mehr Finesse im Drehbuch sein dürfen, denn selbiges ist der größte Schwachpunkt von REVENGER – Ich nutze mal bewusst den internationalen Titel, denn ER KENNT KEINE GNADE klingt schon arg trashig. Bruce Khan, von Beruf freischaffender Choreograph und Stuntman, hat nämlich besagtes Skript beigesteuert. Dieses könnte löchriger und unausgegorener gar nicht sein, denn die rudimentäre „Handlung“ bietet außer den Groben Eckpunkten keine nennenswerten Extras. Der Zuschauer erfährt weder, wie Yool auf die Insel kommt (er steht auf einmal im Wasser), noch versucht der Film das Modell der Gefängnisinsel irgendwie zu erklären oder auch nur auszuschmücken. Auch die Motivation Yools wird mit einer kurzen Flashbackszene erklärt, wirklich Tiefe erreicht der Charakter zu keiner Sekunde. Selbiges gilt auch für den Rest der Figuren, denn der Antagonist, der nur, gefühlt, zehn Minuten zu sehen ist, als auch die restlichen „Bewohner“ bekommen wenig bis gar keine Charakterisierung. Das Drehbuch holt aus dem Setting und seinen Figuren wirklich Nichts heraus, dabei könnte man damit so viel machen. Man fühlt sich stark an das Ray-Liotta-Vehikel FLUCHT AUS ABSOLOM (1994) erinnert, der sich bei einer ähnlichen Welt bediente. Jedoch hatte man sich bei diesem Vertreter mehr Mühe gegeben, eine eigene Welt zu zeichnen, REVENGER hat in dieser Form Nichts zu bieten.
Khan hat als Schreiberling anscheinend nicht viel auf der Pfanne, was man auch an den bemühten Versuchen bemerkt, immer wieder Humor einfließen zu lassen. So verkommen der Dorfvorsteher der „anständigen“ Insassen und seine Jungs zu recht nervigen Comic-Reliefs, die die ganze Zeit irgendwelche Faxen machen und wild herum grimassieren. Das ging mir von der Sekunde an tierisch auf die Eier, da sich der Film ansonsten recht ernst nimmt und sich diese Kniffe dadurch noch dämlicher anfühlen, als ohnehin schon. Das trifft auch auf einen Opa im Dorf zu, der anscheinend homosexuell sein soll und die ganze Zeit herumhampelt. Bei solchem Blödsinn rollen sich mir immer die Fußnägel hoch, besonders wenn ein Film sonst nichts zu erzählen hat, um diese Ausfälle vergessen zu machen. Ein weiteres bizarres Element ist die Sprache, denn natürlich bekommt man REVENGER nur im koreanischen Originalton mit deutschen Untertiteln präsentiert, was ja auch kein Problem darstellt. Aber aus irgendeinem Grund wechseln die Darsteller immer wieder zwischen ihrer Muttersprache und nuschelndem Englisch, inklusive fiesem Akzent, hin und her. Warum das so ist, hat sich mir über die ganze Laufzeit nicht erschlossen. Genauso wenig, wie und warum Yool auf die Insel gekommen ist und warum Kun nicht schon längst die Dorfbewohner platt gemacht hat. Alles ist sehr schwammig und dürftig geschrieben, weshalb man die deutschen Untertitel auch ausschalten kann. Die dünne Handlung erschließt sich auch alleine durch Bilder.
Diese sind auch das einzige Plus von REVENGER. Bruce Khan, der nicht nur ein schlechter Autor, sondern auch ein charisma- und ausdrucksfreier Schauspieler ist, kann immerhin kämpfen, was in durchaus ansehnlichen Martial-Arts-Szenen mündet, bei denen es ordentlich auf die Zwölf gibt. Dabei erreicht die Chose natürlich nie das WHAT-THE-FUCK?-Level von THE NIGHT COMES FOR US oder die umwerfend dynamische Eleganz von Gareth Evans Meisterstück THE RAID 2 (2014), jedoch ist das Gezeigte weit weg von schlechter Action. Natürlich geht es nie richtig brutal zur Sache aber für einen Film mit Freigabe ab 16 Jahren, geht das schon in Ordnung. Auch der Endkampf weiß zu gefallen und die Inszenierung von Lee Seung-Won kann sich sehen lassen. Die Inselkulisse kommt gut zur Geltung und durch diverse Schnitte und Zoomtechniken, fühlt man sich sogar hin und wieder an alte B-Klopper aus der SHAW BROS.-Schmiede erinnert, und die hatten ja meistens auch nicht so viel Story!
Fazit:
Der neue Martial-Arts-Streifen REVENGER (2018), oder auch ER KENNT KEINE GNADE, ist exklusiv auf NETFLIX verfügbar. Zwar kommt der Film zu keiner Zeit an die Perlen der letzten Jahre heran, bietet aber trotzdem stimmige und gut inszenierte Action. Das ist allerdings nur wenig Trost, denn das dünne und wirklich schlecht geschriebene Drehbuch hinterlässt immer einen nicht wirklich mundenden Beigeschmack, denn selbst gemessen an den Genre-Standards, ist das hier eine ziemliche Enttäuschung. Wer allerdings Fan dieser Gattung ist und nur etwas zum Weggucken sucht, wird keinen schlechten Schnitt machen!
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