Mit AMERICAN CRIME STORY etablierten Scott Alexander und Larry Karaszewski, gemäß dem aktuellen Trend, eine weitere Anthologieserie in der Fernsehlandschaft, die sich mit realen Verbrechen der jüngeren US-amerikanischen Kriminalgeschichte befasst. Seit Januar kommen deutsche Zuschauer in den Genuss der zweiten Staffel, mit dem Titel DER MORD AN GIANNI VERSACE, auf dem Streaminganbieter NETFLIX. Unser Fazit zu den neun erschienen Episoden findet ihr in unserer Kritik!
Originaltitel: The Assassination of Gianni Versace
Episoden: 9
Showrunner: Scott Alexander, Larry Karaszewski
Drehbücher: Jeffrey Toobin, Maureen Orth…
Regie: Ryan Murphy, Gwyneth Horder-Payton…
Darsteller: Darren Criss, Édgar Ramirez, Penélope Cruz, Cody Fern, Ricky Martin, Dasha Polanco…
Artikel von Christopher Feldmann
Crime-Serien gibt es wie Sand am Meer und glücklicherweise hat man sich in den letzten Jahren von dem ausgeleierten Erzählmuster solcher TV-Serien wie CSI: DEN TÄTERN AUF DER SPUR (2000-2015) abgegrenzt. Wenn man sich solche Meilensteine wie TRUE DETECTIVE, FARGO oder auch zuletzt THE SINNER ansieht, merkt man deutlich, dass die Produktionen anspruchsvoller geworden sind. Statt dem üblichen WhoDunIt der Woche, präsentieren uns die neuen Crime-Thriller ausgeklügelte Storys, gute Bücher und hochkarätige Schauspieler, verpackt in hochwertig inszenierte Unterhaltung. Die Anthologieserie AMERICAN CRIME STORY, die in jeder Staffel eine abgeschlossene Handlung bietet, ist dabei ebenso ein Musterbeispiel für High-Class Entertainment. Man hat sich zum Ziel gesetzt, reale, Aufsehen erregende Fälle der jüngeren Geschichte filmisch umzusetzen und dabei möglichst detailgetreu vorzugehen. Mit THE PEOPLE VS. O.J. SIMPSON erschien 2016 die erste, zehn Episoden, umfassende Staffel beim Sender FX, die wie ein Donnerhall durch die TV-Landschaft ging. Ich selbst war komplett geplättet von der Intensität der Serie, die sich weniger durch Sensationslust definiert, sondern um Realismus und einer differenzierten Aufarbeitung der Ereignisse. Selten war ich so gefesselt. Mit THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE knöpften sich die Produzenten nun ein weiteres Verbrechen vor, dass die Welt nachhaltig schockierte. Im Juli 1997 wurde der berühmte Mode-Designer Gianni Versace vor den Pforten seiner Villa in Miami Beach hinterrücks erschossen. Es kam zu einer achttägigen Jagd nach dem Mörder, der zwischenzeitlich unter den TEN MOST WANTED des FBI gelistet war. Ein wirklich prädestinierter Stoff für die Serie, der allerdings seine Mühen hat über die neun Episoden zu funktionieren.
Handlung:
Als am 15. Juli 1997 der berühmte Designer Gianni Versace (Édgar Ramirez) vor seiner Villa in Miami Beach mit zwei Kugeln hinterrücks erschossen wird, ist die Welt schockiert. Der Täter, Andrew Cunanan (Darren Criss), ein narzisstischer Psychopath, entzieht sich der Verhaftung. Während das FBI nach dem Mörder fahndet und die gesamte Stadt abriegelt, übernimmt Versaces Schwester Donatella (Penélope Cruz) die Geschäfte. Im folgenden Handlungsverlauf bekommt der Zuschauer einen Einblick in Versaces Leben und den Werdegang Cunanans, der sich vom ärmlichen, homosexuellen Schwindler zum mehrfachen Mörder und Psychopathen mausert.
THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE beginnt schon recht pompös, wie man es eigentlich auch erwartet, wenn die Prämisse in der schillernden Welt der Haute-Couture angesiedelt ist. Wir folgen dem Modezar zu schwülstiger Opernmusik durch seine prunkvolle Villa. Es glitzert, es glänzt und der Zuschauer wird sofort in eine fast schon surreale Welt ein gesogen, die jenseits von dem ist, was man sich so vorstellt. Eine Ode an eine Ikone der Modeindustrie, die mit den tödlichen Schüssen zerbirst. Ein großartiger Einstieg, der allerdings erstmal das einzig pompöse bleibt, was die Staffel zu bieten hat. Denn obwohl der Name Gianni Versace im Titel auftaucht, ist in der fertigen Season erstaunlich wenig Versace drin. Das mag daran liegen, dass das Verbrechen an sich wenig Stoff für neun Episoden spannende Unterhaltung bietet, denn obwohl die Person, ihre Lebensumstände und der Umgang mit seiner Homosexualität interessante Faktoren bietet, widmet sich die Serie der meisten Zeit dem Täter, Andrew Cunanan. Über mehrere Episoden bekommen wir quasi ein Portrait of a Serial Killer geboten, dass sich mit der Geschichte eines Mannes befasst, der krampfhaft um Bewunderung und Ruhm gierte und sich dabei mehr und mehr in einem Netz aus Psychosen und Lügen verlor. Hier muss man den Autoren eine große Stärke attestieren, denn man hat augenscheinlich den Fall bis in das kleinste Detail studiert, um ein schlüssiges Bild einer gestörten Person zu zeigen.
Cunanan ist eine Person aus ärmlichen Verhältnissen, der schon als Kind miterlebt hat, wie sein Vater durch Betrügereien zu Reichtum gekommen ist. Andrew legt ein ähnliches Verhalten an den Tag. Statt zu arbeiten, giert er nach der weiten Welt, nach Reichtum, Ruhm und Anerkennung. Er vermarktet sich selbst an reiche Männer und nutzt sie aus, lässt sich aushalten und legt sich falsche Werdegänge zurecht, um zu imponieren. Wird er verschmäht, tickt er aus. Immer wieder werden die Begegnungen zwischen ihm und Versace thematisiert, obwohl die Beiden nie viel miteinander zu tun hatten. Stattdessen begleiten wir Cunanan bei seinen Stationen, seinen Hochs und Tiefs, und seinen Morden, denn der Designer war sein letztes von insgesamt fünf Opfern. Es werden die Beziehungen zu den Opfern ausgelotet und man bekommt gen Ende ein schlüssiges Bild über die Abwärtsspirale, in der Cunanan vom einfachen Schwindler zum gestörten Mörder transformiert.
Allerdings birgt das auch einige Längen. Man hat das Gefühl, dass die Autoren jedes Detail nutzen, um die Staffel und die einzelnen Episoden auf die gewünschte Länge aufzublasen. So weicht man immer wieder von der Haupthandlung ab, um Nebencharaktere zu erzählen, deren Werdegang eigentlich gar nicht so wichtig ist. In einer Episode wird stark auf die Kindheit Versaces eingegangen, was für die Story nur wenig Neues bietet. Das führt dazu, dass man das Gefühl hat, mehr zu sehen, als man eigentlich muss. Wenn man mal genau hinschaut, könnte man auch die Episoden fünf, sechs, sieben und acht einfach auslassen und man hätte trotzdem alles gesehen, was nötig ist, um am Ende befriedigt zu sein. Auch störend ist die sprunghafte Erzählweise. THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE verweigert dem Zuschauer eine lineare Struktur und springt immer wieder wild durch die Zeit- und Handlungs Ebenen. Ein Stilmittel, das oftmals etwas ärgerlich wirkt, da man oft dazu neigt den Faden zu verlieren, was durchaus störend ist. Ganz ehrlich, man hätte das Ganze auch klassisch horizontal erzählen können. So muss der Zuschauer schon genau aufpassen, um alles zusammenzufügen zu können. Das ist ein kleiner Kritikpunkt an einer ansonsten sehr fesselnden Geschichte. Je länger man zuschaut, desto mehr vergisst man den Versace-Strang. Mich hätte auch die Modebranche interessiert, mit all ihren Mechanismen und Klischees, doch diese wird gar nicht behandelt. Allerdings schaffen es die Macher, wie auch schon in der Vorgängerstaffel, das zeitliche Kolorit gut einzufangen. In den 90ern hatte Homosexualität noch einen anderen Stellenwert, was hier gut zum Tragen kommt. Wie unangenehm es dem FBI, sowie der Versace-Familie, ist, sich mit dem Partner von Gianni auseinanderzusetzen, macht deutlich wie prekär dieser Umstand damals war.
Auf inszenatorischer Seite, ist THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE über jeden Zweifel erhaben. Es wechseln sich glanzvolle Bilder des Modegiganten mit den düsteren Eindrücken des Mörders ab. Die Serie wechselt zwischen prunkvollen Lebensumständen und Abgründen, betrachtet dabei auch die Grauzonen und erzeugt eine durchweg mitreißende Atmosphäre. Dazu tragen auch die Schauspieler bei, von denen sicher Darren Criss die beeindruckend-ste Performance abliefert. Wo ich am Anfang noch skeptisch war, dass mich diese Figur, in Kombination mit dem Schauspieler, über neun Episoden bei der Stange halten kann, war ich nach drei Episoden einer gänzlich anderen Meinung. Criss verleiht seiner Figur ein differenziertes Spiel, wechselt eindrucksvoll zwischen sympathisch, bedrohlich, traurig, verachtungswürdig und psychopathisch hin und her, so dass mir sein Andrew Cunanan zunehmend Angst einjagte. Zurecht wurde der Schauspieler mit zahlreichen Preisen prämiert. Ähnlich stark agiert auch Édgar Ramirez als Gianni Versace, der seiner Figur ebenfalls mehrere Facetten abgewinnt. Etwas unter, gehen dabei Penélope Cruz als Donatella Versace und Ricky Martin als Giannis Partner Antonio. Das ist wirklich schade, da beide ziemlich gut in ihren Rollen sind und beide auch Material hergeben, jedoch fallen sie etwas unter den Tisch, da man sich intensiv mit Cunanan beschäftigt. Von Beiden hätte ich gerne mehr gesehen, denn ihre Konflikte, die nicht unwesentlich waren, werden etwas stiefmütterlich behandelt.
Fazit:
Die zweite Staffel der Anthologieserie AMERICAN CRIME STORY ist, wie schon die vorhergegangene Season, Unterhaltung höchster Qualitätsstufe. Hervorragend gespielt, detailreich erzählt und bis zum Ende spannend. Allerdings übernehmen sich die Macher hier etwas mit ihrer sprunghaften Erzählweise und der Gewichtung der Figuren. Zwar steht Versace im Titel, trotzdem ist am Ende recht wenig Versace drin. Wer hier einen tiefen Einblick in die Welt der Haute-Couture erwartet, wird enttäuscht sein. Auch wenn die ein oder andere Länge und der ein oder andere unnötige Nebenstrang zu erwähnen ist, bleibt THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE eine fesselnde True-Crime Aufarbeitung, die man als Serien-Fan sehen sollte. Vielleicht würde es der Staffel mehr gerecht werden, wenn man einfach den Titel THE CUNANAN MURDERS gewählt hätte. Klingt zwar nicht so pompös, würde aber mehr Sinn machen. An die erste Season kommt das Ganze zwar nicht ganz heran, ziemlich gut ist es aber auf alle Fälle!
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