Ein Urgestein des Giallo-Genres findet jetzt seine erneute und farbenprächtige Veröffentlichung. Mario Bava, der Inspirator späterer Dario Argento Filme, drehte 1964 einen eleganten Who-Done-It-Thriller mit zahlreichen Morden, der das Edgar-Wallace-Publikum der damaligen Zeit in Angst und Schrecken versetzt haben muss. Obwohl das Setting glatt einem Wallace-Film entsprungen sein könnte, zieht Bava, typisch für das italienische Genre-Kino, die Schraube gleich auf mehreren Ebenen an und führt somit ein erprobtes Genre in neue, künstlerische Sphären. Ob Thriller, Western oder Horror, die Italiener haben in den 60ern und 70ern phasenweise inspirierende Filmkunst geschaffen, die bis heute hohen Sammelwert hat. Selbst Werner Herzog outete sich einmal als Fan von Lucio Fulci. Zeit also, einen Abend in blutiger Seide zu verbringen.

Originaltitel: Sei Donne Per L´Assassino

Regie: Maria Bava

Darsteller: Eva Bartok, Camerio Mitchell, Thomas Reiner, Arianna Gorini

Artikel von Kai Kinnert

Die Contessa Christina führt zusammen mit ihrem Geschäftsführer Max eine erfolgreiche Modeagentur in Rom. Diese wird leider das Betätigungsfeld eines unheimlichen Mörders. Kurz hintereinander werden vom maskierten Mörder mehrere Mannequins ermordet. Das erste Opfer ist das Model Isabella. Die Ermittlungen in diesem Fall übernimmt Inspektor Silvestri. Aber weder in der Agentur, noch bei Isabellas Liebaher, dem Antiquitätenhändler Franco, findet er brauchbare Hinweise, geschweige denn ein Motiv für den Mord. Das Model Nicole entdeckt zufällig Isabellas Tagebuch. Das bedeutet aber für sie das Todesurteil, denn Stunden später wird auch sie vom Killer brutal ermordet. Und der Mörder ist noch lange nicht fertig mit seinem Untrieb.

Besonders originell ist der Krimi nicht. Der Inspektor kann ob seiner Naivität keine große Karriere als Ermittler gehabt haben und die Motivationen der Figuren sind allesamt nach Scherenschnitt getätigt worden. 1964 waren die Morde nicht besonders blutig. Meist wurde nur gewürgt und der Tod tritt in der Regel recht schnell ein. Ein Detail, das Dario Argento gestört haben musste, denn er gehört zu den Regisseuren, die später den Akt des Mordens als Katharsis zum visuellen Spannungsaufbau detaillierter aufschlüsselten. Es gibt jedoch ein Element in Bavas BLUTIGE SEIDE, das Argento nur als Suspense-Hammer verstand und es so zur schlichten, technokratischen Kopie in Filmen wie zB. SUSPIRIA einsetzte. BLUTIGE SEIDE macht deutlich, das Argento eigentlich ein schlechter Regisseur ist. Natürlich hat auch Argento seine Qualitäten, immerhin war er im Western- und Horrorfilm-Genre der richtige Mann am rechten Platz, jedoch griff er gerne zum optischen Holzhammer, um Mario Bavas Einfälle noch spezifizierter dem Publikum zu servieren.

Wenn man die Handlung von BLUTIGE SEIDE vergisst und die wenigen Dialoge nicht so ernst aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit wahrnimmt, eröffnet der Film eine Ebene, die ihn echter und zeitloser als die Streifen von Dario Argento macht. Denn im Gegensatz zu Argento beweist Mario Bava mit BLUTIGE SEIDE, das er wirklich was von Kino, Kamera und Musik versteht. Das Bild auf der vorliegenden BluRay ist in Sachen Farbe, Licht und Körnung hervorragend remastered und lässt die Technicolor-Farben des Streifens prächtig zur Geltung kommen. Und das ist sehr wichtig für den Genuss des Films, denn die Ursprünge des Giallo-Genres sind geprägt von expressionistischen Vollton-Farben und einem starken Licht-Und-Schatten-Spiel der Kamera.

Die Art und Weise, wie Mario Bava die Optik seines Filmes umsetzt, beeindruckt mich als Kameramann und Regisseur. Hier hat jemand durchdacht jede Einstellung seines Filmes schlüssig in der Handlung aufgehen lassen und liefert über die gesamte Laufzeit hinweg ein konsequentes, künstlerisch einwandfreies Bild zur Gestaltung der Story. Die Kunst des Giallos steht über dem Naturalismus einer reellen Darstellung der Umgebung und so gestaltet eine komplizierte Beleuchtung und Farbgebung den Film. Jeder natürlichen Einstrahlung zuwider baut Mario Bava eine knallig-prächtige Beleuchtung von Drehort und Schauspieler auf, das man mit den Ohren schlackert. Dazu kommt eine Farb- und Mustergestaltung, gepaart mit einer durchdachten Anordnung in der Geometrie des Raumes, dass es, selbst ohne Morde, ein Genuss ist, den eher lauen Ermittlungen des Inspektors beizuwohnen. Selbst das Muster der Tapeten stimmt in diesem Film. Hier passt alles zusammen. Warum kann das heute keiner mehr?

Was Bavas Film zum späteren Argento unterscheidet, ist die Erkenntnis über den Aufbau eines Bildes und natürlich der Umgang mit der Gewalt. Zur analogen Zeit musste man als Regisseur oder Kameramann noch wirklich durch den Sucher der Kamera blicken und auf die Tagesmuster aus dem Kopierwerk warten, um zB. über die Qualität der Licht- und Farbsetzung zu entscheiden. Damals musste man etwas von Film und Kamera verstehen, um zu wissen was man tut, heute braucht man nur Software und eine Digitalkamera um aus jedem Scheiß und ohne Können einen Film zu machen. BLUTIGE SEIDE wurde kompliziert auf drei Bildebenen gestaltet und alles liefert Spannung ab. Vordergrund, Mitte, Hintergrund – die Faustregel der Bildgestaltung hat Mario Bava wahrscheinlich schon mit der Muttermilch aufgenommen. Geflutetes Licht, gepaart mit Spots auf Augen und Gegenständen, im Zusammenspiel mit partiellen Volltönen im Licht, liefern ein prächtiges Spektakel der Kamera ab – eines der wichtigsten Elemente des Genres. Argento konnte dem nichts mehr hinzufügen und deklassiert sich selbst als Plagiator, in dem ihm nur der Kehlenschnitt, noch mehr Lärm in der Tonspur und noch mehr flächige Vollton-Farben als Steigerung einfielen.

BLUTIGE SEIDE ist ein klassischer, alter Krimi, der zeitlose, optische Brillianz besitzt. Blutig wird die Seide hier nicht, jedoch verplempert Mario Bava keine Zeit mir irgendwelchem handlungsfremdem Gedöns und gießt seinen Film in tolle, vielschichtige und somit sehr spannende Bilder, dass es eine Freude ist. Die Musik begleitet locker gekonnt, im teils lässigen jazzigen Beat der 60er, das Geschehen. Für Sammler des Genres ein Muss, denn hier versammeln sich die Ursprünge des Giallos in gekonnter, unschuldiger Eintracht.

Das Bild der BD ist angemessen analog. Teils etwas körnig und mit leichten Laufstrichen versehen, macht das Bild durch die prächtig hervorgebrachten Technicolor-Farben einen tollen Eindruck. Der Ton ist gut. Als Extras gibt es ein Bericht über Mario Bava und den Giallo, einen Audiokommentar von Prof. Dr. Marcus Stiglegger, ein Interview mit C. Mitchell, diverse Trailer und eine Postergalerie.

Trailer:

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