Mit „Sobibor“ gibt der russische Schauspieler Konstantin Khabensky („Wächter der Nacht“ / „World War Z“) sein Debüt als Regisseur für einen Spielfilm. Dieser Film, basierend auf Ereignissen in einem polnischen KZ, die im Jahre 1943 stattgefunden haben, ist ein mehr als anspruchsvolles Thema für ein Erstlingswerk. Gelingt der Spagat zwischen geschichtlicher Aufarbeitung und anspruchsvoller Unterhaltung? Ich habe mir das knapp zweistündige Werk sehr genau angesehen, und möchte euch nun meine Eindrücke über Geschehnisse vermitteln, die in unseren Schulen eigentlich gar nicht behandelt werden. Ende April über New KSM in Handel erhältlich.
Regie: Konstantin Khabensky
Darsteller: Konstantin Khabensky, Christopher Lambert, Philippe Reinhardt, Ivan Zlobin, Joshua Rubin, Dirk Martens, Felice Jankell
Artikel von Victor Grytzka
Über die Verbrechen der Nationalsozialisten gab / gibt es in der Schule, insbesondere ab der neunten Klasse, eine Menge Stoff zu verarbeiten. Viel lernte ich über die NS-Zeit, das Konzentrationslager Auschwitz, die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Vom Lager Sobibor wusste ich allerdings nicht allzu viel, auch wenn ich irgendwo einmal davon gehört hatte. Gerade deshalb war ich auf den Film so gespannt, las mich in das Thema ein. Das Regiedebüt aus der Hand von Konstantin Kabhensky behandelt eine faszinierende Geschichte um den Mut einiger Gefangener, die durch ihr Handeln ein klares Zeichen gegen Unterdrückung gesetzt haben. Hier nun meine Eindrücke über „Sobibor“, die ich nach 117 Minuten gesammelt habe.
Oktober 1943 – Konzentrationslager Sobibor, Polen. Eine Gruppe von Juden wird in das Vernichtungslager, das unter der Kontrolle des SS-Oberscharführers und Kommandanten Karl August Frenzel (Christopher Lambert) steht, eingeliefert. An der Tagesordnung sind Massenvernichtungen in den Gaskammern, Gewalt, Unterdrückung und harte Arbeit. Eine Gruppe von Gefangenen plant dem unmenschlichen Treiben ein Ende zu setzen, und sich einen Weg in die Freiheit zu bahnen. Zu dieser Gruppe gehören der jüdisch-russische Alexander Pechersky (Konstantin Kabhensky), der junge Goldschmied Shlomo (Ivan Zlobin) und weitere Gefangene, die einen wagemutigen Plan in die Tat umsetzen wollen. Ihr Ziel – Die Befreiung des Lagers und Rache an ihren Peinigern.
Zunächst waren meine Bedenken groß, dass solch ein Regiedebüt womöglich eine „zu große Aufgabe“ sein könne, zumal die Gefahr bestünde, im Zuge der „Unterhaltung“ unfreiwillig in eine Schiene zu rutschen die den geschichtlichen Ereignissen nicht gut tun könnten, bzw. diese als zu glorifiziert oder einseitig darstellen. Doch weit gefehlt. Schon in den ersten Filmminuten packt „Sobibor“ unwahrscheinlich, und fesselt über die gesamte Laufzeit an den Bildschirm.
Zunächst einmal muss ich hier die Produktion loben. Der Eindruck eines Arbeits- / Vernichtungslagers mit allen Bretterbauten, Offiziersunterkünften, Wachtürmen, Gaskammern… Erschreckend überzeugend, so drücke ich es im besten Falle aus. Dass ein Konzentrationslager ein Ort des Unheils ist, das wird hier schnell klar. Dazu tragen natürlich auch die Uniformen der Nazis und der Juden bei, die mit viel liebe zum Detail gestaltet worden sind, und der gesamten Produktion diese realitätsnahe Note verleihen. Auch die Darsteller, mit bedacht wurde hier ein Cast aus russischen, jüdischen und deutschen Schauspielern gewählt, die dem ganzen Projekt ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit verleihen. Besonders hervorheben möchte ich hier Hauptdarsteller und Regisseur Khabensky, der den rebellischen Gefangenen sehr glaubwürdig und mit Ehrfurcht spielt. Christopher Lambert brilliert als eiskalter Lagerleiter ohne Gewissen. Eine Rolle, bei dem ihm seine Unfähigkeit zu allzu großer Mimik zugute kommt. Auch hervorragend – Dirk Martens als brutaler SS-Mann. Solche Rollen scheinen dem aus Film und Fernsehen bekannten Schauspieler wie auf den Leib geschrieben. Hervorragende Kameraarbeit und ein sehr passender und wunderschön orchestrierter Soundtrack runden das Gesamtbild ab.
Doch wichtiger als all diese Dinge, ja sogar unentbehrlich, ist hierbei die Dramaturgie und die Ausarbeitung der Geschichte. Der Film nimmt sich sehr viel Zeit alle wichtigen Charaktere vorzustellen, und deren Hintergründe sehr genau zu beleuchten. So erfahren wir, dass Pechersky schon einmal eine Aktion gegen das SS-Regime in Minsk ausgeführt hat, und diese Aktion von wenig Erfolg gekrönt war, so dass er große Zweifel hegt. Doch nicht nur die Angst vor dem Scheitern des Planes steht ihm im Weg. Im Lager befindet sich seine große Liebe die er nur ungerne in Gefahr bringen möchte. Das Schicksal des jungen Shlomo spielt eine Zentrale Rolle, dessen Familie im Lager besonders harte Zeiten durchstehen muss. Viele Eindrücke bekommt man als Zuschauer insbesondere in der ersten Stunde des Films, so dass eine gewisse Bindung zu den Charakteren entsteht, die die folgenden Ereignisse umso härter erscheinen lassen.
Auch Einblicke in den Alltag und die Machenschaften der SS werden dem Zuschauer gewährt, und dies mit der nötigen Härte, ohne dabei unangebracht zu wirken. Die Vernichtung einer Gruppe von Frauen in der Gaskammer – ziemlich früh im Film – wird hier nicht nur angedeutet, sondern sehr detailliert und dramaturgisch passend in den Film eingebaut. Schwer mit anzusehen und dennoch wichtig, denn in diesem Moment bekommen wir – wenn auch nur ganz kurz – einen Eindruck des Lagerleiters Frenzel, der an Kaltblütigkeit kaum zu übertreffen ist.
Geschickt hält das Drehbuch das Gleichgewicht zwischen abscheulichen Taten (willkürliche Erschießungen, Folter, herabwürdigen der Gefangenen zur Belustigung der SS), ergreifenden Momenten zwischen den Gefangenen, Spannung und Faszination. Es ist schwer in Worte zu fassen, denn auch wenn man eine klare Linie zwischen Gut und Böse zieht, so ist „Sobibor“ dennoch ein Film ohne wirkliche Helden. Viel mehr ist das Ganze fast schon dokumentarisch anzusehen. Sehr oft fühlt man sich als „stiller Beobachter“, der in den 117 Minuten eine Menge mit ansehen und verarbeiten muss.
In den letzten 30 Minuten, die den Ausbruch aus dem Lager zeigen, dreht man gehörig am Tempo, bringt ein wenig Bewegung in den Film und schafft es trotzdem das Ganze nicht wie eine platte Action-/Thriller Orgie wirken zu lassen. Auch hier ist man stets auf einen Stil bedacht, der genug Raum für Emotionen und Fassungslosigkeit lässt.
Die BluRay besticht durch ein scharfes Bild mit gewollt trister Farbgebung, kann mit einer gelungenen Abmischung in DTS-HD 5.1 überzeugen, und bietet obendrein noch eine sehr gute deutsche Synchro. Ich muss allerdings sagen, dass der Film sich atmosphärisch besser entfaltet, wenn man auf die original Tonspur zurückgreift, die in drei gesprochenen Sprachen (Russisch, Deutsch, Jiddisch) daher kommt, und dazu Untertitel zuschaltet.
Zu sehr ins Detail, die gezeigten Ereignisse betreffend, bin ich dieser Rezension nicht gegangen. Warum? Weil „Sobibor“ ein Film ist, der auf den Zuschauer wirkt, der etwas auslöst, etwas bewegt. Vielleicht neigt er in gewissen Momenten zwar dazu, das „Böse“ etwas zu sehr in den Vordergrund zu rücken, allerdings löste dies bei mir ein „angenehmes“ Gefühl der Betroffenheit aus, und hat seine Wirkung damit nicht verfehlt. Eine toll inszenierte Produktion mit starken Darstellern über einen Wunsch nach Freiheit, der – trotz aller Widrigkeiten – eine spektakuläre Flucht nach sich zog. Ich würde dem Film attestieren, dass er wichtig ist und somit für jeden interessierten Filmfan ein Pflichtkauf ist. Ich ziehe meinen Hut vor den Menschen, die im Oktober 1943 mit dem Glauben an Gerechtigkeit und Freiheit ein Zeichen gesetzt haben, ja, ihr wart wahre Helden!