Nach NEVER GROW OLD wieder ein Streifen mit einer politischen Ausgangsidee, die filmisch im Rahmen eines Western transportiert wird, diesmal aus dem Hause DONAU FILM. Der Western, speziell der Italo-Western, hat eine bestimmte Bildsprache und einige dramaturgische Grundstimmungen, die dieses Genre zu einer recht autarken Kunstform machen, die man quasi jeder Art von Drehbuch einflößen kann. Sobald es der Regisseur versteht, in welchem Format er seine Idee inszeniert, entsteht ein gekonnter Genre-Film, der alle Faktoren des Genres subversiv bedient und es für seine Idee erweitert. Dieser südafrikanische Beitrag zur neuzeitlichen Gestaltung des Italo-Westerns ist Licht und Schatten, doch er birgt eine spannende Überraschung.
Regie: Michael Matthews
Darsteller: Vuyo Dabula, Zethu Dlomo, Hamilton Dhlamini
Artikel von Kai Kinnert
Zwanzig Jahre ist es her, dass die „Five Fingers“-Bande die südafrikanische Stadt Marseilles aus den Händen korrupter, weißer Polizisten befreit hat. Tau hat dafür einen hohen Preis bezahlt: Wegen zweifachen Mordes musste er damals in Gefängnis. Als er nun freikommt und nach Marseilles zurückkehrt, muss er feststellen, dass es einen neuen Feind gibt, der brutal versucht, die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Gegen seinen Willen muss der Outlaw ein weiteres Mal in den Kampf ziehen.
Regisseur Michael Matthews wird in jedem Fall etliche Videoabende mit Italo-Western und Actionfilmen aus Hong Kong verbracht und im Bett Stephen King gelesen haben, bevor er sich an FIVER FINGERS FOR MARSEILLES machte. Die Five Fingers beginnen als eine Kinderbande, Freunde, die mit Zwillen bewaffnet zum ZWEI GLORREICHE HALUNKEN Duell gegeneinander antreten und sich als Kämpfer sehen, die ihr Land vom Eindringling zurück erobern wollen. Zur Zeiten der Apartheid war Südafrika beherrscht durch korrupte Polizeieinheiten, die in den Townships Gelder einkassierten und somit von Schikanen im Viertel absahen. Allen voran ist es Tau, der „Löwe“, der die Provokation mit der Polizei sucht, nur um daraufhin in eine Eskalation zu geraten. Die Folge sind zwei tote Polizisten, von Tau als Kind erschossen. Seine Freunde sind entsetzt und Tau springt auf den nächsten Zug und macht sich davon. Auch später gerät Tau in Schwierigkeiten und landet letztendlich im Knast, aus dem er nach 20 Jahren entlassen wird. Tau ist jetzt ein ziemlich kräftiger Typ und hat neue Freunde gefunden, die ihm später helfen werden.
Als Tau zurück nach Marseilles kommt, hat sich das Township verändert. Es ist gewachsen und mit dem Ende der Apartheid ist ein Machtvakuum entstanden, in dem nun ein brutaler Clan-Chef die Macht im Ort übernehmen will und auch die Polizei wird nicht viel dagegen machen, denn der Bürgermeister von Marseilles ist schon von der Bande geschmiert worden. Auch die alten Freunde von damals haben sich zum Teil dem neuen Machtgefüge unterworfen und die Seiten gewechselt. Am Ende werden die alten Freunde im Duell gegeneinander antreten, doch dieses Mal sind es Colts und keine Zwillen, mit denen sie aufeinander schießen.
Freunde, die zu Feinden werden, eine fiese Bande mit genügend Präsenz, eine Taverne, ein Outlaw, der den Löwen in sich erst spät freilassen wird und ein großes Shoot-Out – das sind die Elemente von FIVE FINGERS FOR MARSEILLES, die Regisseur Matthews zu einem Neo-Western mixt, den zusätzlich noch der zarte Wind eines Stephen Kings umweht. Die Kamera und die Filmmusik erzeugen eine gute Stimmung für den Film, finden tatsächlich Zugang zur Metaebene des Genres und machen sofort klar, dass Matthews das Genre des Italo-Westerns verstanden hat. Als wäre das nicht genug, greift die Regie auch noch auf die Stimmung der Hong-Kong-Filme der 1990er zurück, in denen oft ehemalige Freunde gegeneinander antreten mussten.
Doch bis es soweit ist, vergeht einiges an Zeit im Film und hier offenbart sich eine kleine Schwäche von FIVE FINGERS FOR MARSEILLES. Vuyo Dabula als Tau ist klasse besetzt und auch die beiden Hauptgegner aus der Bande sind passend fiese Halunken. Doch nach einer guten Exposition beginnt der 2. Akt des Streifens zu straucheln. Das Tempo nimmt ab und die Inszenierung beginnt etwas zu künsteln, was sich auch in den Studiokulissen widerspiegelt, in denen der Film teilweise spielt. So schön die Landschaft Südafrikas auch ist, bei den Innenaufnahmen krankt es irgendwie durch eine gewisse Künstlichkeit in den Kulissen. Irgendetwas fehlt, man weiß nicht was, aber dennoch ist es nicht da. Dazu gesellt sich noch eine gewisse Länge im Drehbuch, dass sich eine Schlaufe zu viel Zeit nimmt, um Tau zu reaktivieren.
Doch plötzlich findet der Film zurück in echte Spannung und rettet so die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Die Sache spitzt sich auf ein gutes Finale zu, in dem Tau, trotz schwerer Verwundung, gegen den Rest seiner Gegner antreten muss und Hilfe durch seine coolen Freunde aus dem Knast bekommt. Jetzt tritt Tau mit seiner echten Gang zum Finale an. Jetzt ist FIVE FINGERS FOR MARSEILLES plötzlich HK-Kino und Spaghetti-Western gekonnt in einem Guss und die Sache wird angemessen und mit viel filmischer Liebe zum Genre aufgelöst.
FIVE FINGERS FOR MARSEILLES ist spannendes Kino aus Südafrika. Hier und da hat der Film seine Schwächen, für die man später mit einem stimmungsvollen, guten Finale entschädigt wird. Vuyo Dabula hat Hollywood-Format und gibt dem Film kernige Präsenz und glaubwürdige Nehmer-Qualitäten. Insgesamt ein überraschend guter Neo-Western-Mix, der den interessierten Zuschauer zu unterhalten vermag.
Das Bild der BD ist satt und klar, der Ton gut. Als Extras gibt es Behind the Scenes, Trailer und Teaser.
Trailer: