Liebe ist stark und überwindet alle Grenzen. Schon in MOONLIGHT beschäftigte sich Barry Jenkins auf eine filmisch-literarische Art und Weise mit der Liebe und wirft nun seinen zweiten Film zum Thema nach, der die wachsende Liebe zwischen Fonny und Tish zeigt, zwei beste Freunde aus Kindertagen, im Harlem der 1970er. Sie ist 19 und schwanger und er ist 22 und sitzt wegen der Anschuldigung auf Vergewaltigung im Knast. Ist Fonny schuldig? Tish versucht alles, mit Hilfe ihrer Familie, um seine Unschuld zu beweisen. Dabei stößt sie auf eine Welt voller Rassismus und Ungerechtigkeiten. In Rückblicken und mit Tishs Off-Stimme erzählt BEALE STREET kunstvoll und feinfühlig davon, dass Ungerechtigkeiten austauschbar sind, die Liebe aber bleibt.
Originaltitel: If Beale Street Could Talk
Regie: Barry Jenkins
Darsteller: KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Teyonah Parris, Colman Domingo
Artikel von Kai Kinnert
BEALE STREET basiert auf dem Bestseller-Roman des preisgekrönten US-Autors James Baldwin und erzählt eine berührende Liebesgeschichte im Amerika der 70er Jahre, in dem Rassismus gegenüber Farbigen an der Tagesordnung stand. Die 22jährige Tish und ihr Verlobter Fonny sind ein junges Paar im ärmlichen Viertel Harlem. Fonny wird fälschlicherweise der Vergewaltigung an einer Puerto Ricanerin beschuldigt und kommt ohne Prozess unschuldig ins Gefängnis. Kurze Zeit später erfährt Tish, dass sie von Fonny ein Kind erwartet. Mit Zuversicht versichert sie ihm, ihn noch vor der Geburt aus dem Gefängnis zu holen. Mit Hilfe der Familie versucht sie mit allen Mitteln, seine Unschuld zu beweisen.
„Ich verspreche dir, ich halte dich. Ich halte dich, ich halte dich, dass Verspreche ich dir…“ Überglücklich und voller Zartheit hält Tish nach der Hausgeburt in der wassergefüllten Badewanne erstmals ihr Kind im Arm. Kiki Layne spielt als Tish glaubwürdig hingerissen und Barry Jenkins inszeniert mit viel filmischer Liebe auf allen Ebenen. Jenseits des Kitsches und mit viel Gespür für Gesichter und Gesten, gibt Jenkins seinen Schauspielern einen optisch durchdachten Freiraum, der viele Szenen des Films in eine erfrischende Nähe und Zärtlichkeit taucht – so auch hier in der Szene mit der Geburt. Tishs Freude und Liebe über ihr Kind ist glaubwürdig und schön, wie recht vieles an diesem Film.
Die Stärke des Streifens sind seine ersten 35 Minuten. Die Einführung von Tish und Fonny, ihre Entwicklung vom Freund aus Kindertagen zu Liebenden, ist einfach schön erzählt und entblättert sich in Rückblenden über weite Strecken des Films. Ein echter, packender Höhepunkt von BEALE STREET ist die Begegnung der beiden Familien von Tish und Fonny. Die Ungerechtigkeiten und der Rassismus, die Barry Jenkins immer wieder in dezenten Anflügen zum Thema der Szenen macht, finden hier eine geschickt inszenierte Zuspitzung, die deutlich macht, dass es nicht unbedingt Rassisten bedarf, um einem das Leben zur Hölle zu machen, sondern das verkorkste Familien mit ihren Moralvorstellungen nicht minder schlimm sind. Nachdem Tish Rivers ihrer Familie offenbart hat, dass sie schwanger ist, hagelt es keine Kritik, sondern Freude.
Ihr Vater, die Mutter und die ältere Schwester feiern, dass es Nachwuchs gibt und laden die Familie von Fonny, Familie Hunt, zum Umtrunk ein und wollen so die frohe Botschaft verkünden. Nur geht das gründlich schief, denn Mrs. Hunt (Aunjanue Ellis) ist mit ihren beiden Töchtern zur katholische Fundamentalistin geworden, findet überraschend harte Worte für die Situation und verflucht das Kind, was ihren Ehemann dazu bringt, ihr mitten im Satz eine zu Ballern. Denn der Ehemann sieht die Sache anders und stellt sich hinter sein zukünftiges Enkelkind.
Barry Jenkins gelingt hier eine feinfühlige und großartig gespielte Szene mit einem bestens besetzten Ensemble. Schon als die Famlie Hunt bei den Rivers eintrifft, ahnt man, dass wird nicht gut ausgehen. Und als Mrs Hunt ihren Irrsinn vom Stapel lässt, klappen sich einem die Nackenhaare hoch. Zurecht gab es da was auf`s Maul. In dieser Szene kondensiert Jenkins die Stärke seiner Inszenierung. Aufrichtig und ohne Klischees steht Tishs Familie hinter der Schwangerschaft und Jenkins lässt die Metaebene der Liebe, ständiger Motor dieses Films, liebevoll mitschwingen. Die Szene ist so gut, dass sie fortan Nährboden alles Folgenden ist, denn Jenkins ist es wichtig, dass Rückhalt im Leben durch Freunde und Familie als unabdingbar begriffen werden.
Nach diesen ersten 35 Minuten erzählt der Film weiter, wie Tish und Fonny zu einem Paar wurden und wie versucht wird, die Unschuld Fonnys zu beweisen. In der Mitte von BEALE STREET zeigt sich eine kleine Schwäche, denn Barry Jenkins schlägt vom Timing her eine Drehbuchschleife zu viel an literarisch erzählten Rückblicken ein und verweilt zu lange auf seinen Protagonisten. Es gibt den Spruch über die „akademische Viertelstunde“, der eben bedeutet, dass vermeintlich „wichtige Personen“ von sich aus gerne immer zu spät zum vereinbarten Termin kommen. Auch BEALE STREET hat seinen akademischen Moment, in dem Jenkins die Zügel ob seines eigenen Anspruchs locker lässt und schlichtweg einige Minuten lang den Film zum Stillstand bringt.
Hier beginnt der Film zu schwächeln, wenn auch eher auf ungefährliche Art und Weise. Jenkins hat gegenüber MOONLIGHT eine Lernkurve hingelegt und fasst die Gefühlswelt der Protagonisten in der Inszenierung deutlich geschlossener ein, als in seinem Vorgänger. Ab und an kreist die Kamera zu nachdenklich um Fonny, so manches wird optisch durch die Tragweite der Metaebene zu lange eingefangen und so bilden sich Minuten eines akademischen Überbaues, der nur knapp dem „Hallo, ich mache hier Kunst!“ entkommt. In Regisseur Jenkins schlummert ein feinfühliger Erzähler und Filmfreund, der gerade so eben den von sich selbst überzeugten Künstler bändigen kann, um so rechtzeitig eine Symbiose aus Kunst und Filmspannung erzeugen zu können.
Das muss man erst einmal drauf haben. Und so findet BEALE STREET im letzten Drittel wieder zu ganzer Form zurück und lässt Tish ihr Neugeborenes liebevoll im Arm halten. Ab da geht der Film noch einige Minuten weiter und entlässt den Zuschauer mit dem angenehmen Gefühl, nach langer Zeit mal wieder einen aufrichtigen und schönen Film über die Liebe gesehen zu haben.
Natürlich ist in BEALE STREET der Rassismus eines der Themen, die hier angeschnitten werden. Doch BEALE STREET ist in erster Linie ein Film über die Liebe und über Zusammenhalt und widmet sich ganz der Aussage, dass ein Kind stets unschuldig zur Welt kommt und eine Familie benötigt, die Rückhalt bietet.
BEALE STREET ist schönes, feinfühliges Kino und über weite Strecken dicht und mit viel Liebe zu seinen Figuren inszeniert. Das Ensemble ist großartig, nicht nur Regina King, die für ihre Darstellung als Mutter von Tish in diesem Film einen Oscar als beste Nebendarstellerin bekam. Wer MOONLIGHT schon mochte, wird hier den besseren Film vorfinden. Allen Anderen sei gesagt, dass BEALE STREET ein schöner Film über die Liebe ist. Wer sich vom weniger kommerziellen Kino ohne Klischees und mit einem gewissen Anspruch unterhalten lassen möchte, sollte bei BEALE STREET einen Blick wagen.
Als Extras gibt es auf der uns vorliegenden DVD ein „Behind the Scenes“.
Trailer: