Seit mehreren Wochen prügelt sich wieder B-Haudegen Scott Adkins durch das Heimkino. Mit Mut zur Hässlichkeit geht er in AVENGEMENT – BLUTIGER FREIGANG (2019) auf einen erbarmungslos brachialen Rachefeldzug. Dabei mussten sich deutsche Fans leider mit einer gekürzten Fassung auf Blu-Ray und DVD begnügen, doch letztendlich schaffte Netflix glücklicherweise Abhilfe. Seit kurzem ist die B-Granate bei dem Streaming-Anbieter unangetastet verfügbar, weshalb auch wir nun eine Kritik und Sehempfehlung nachreichen.
Originaltitel: Avengement
Drehbuch: Jesse V. Johnson, Stu Small
Regie: Jesse V. Johnson
Darsteller: Scott Adkins, Craig Fairbrass, Thomas Turgoose, Nick Moran, Kierston Wareing…
Artikel von Christopher Feldmann
Scott Adinks hält seit Jahren die Fahne im B-Actionsegment hoch. Während die Filme der etwas älteren Kollegen, wie van Damme, Lundgren und Co., immer günstiger und auch bedeutsam schlechter werden, sorgt der Brite regelmäßig für ansehnlichen Content im Haudrauf-Bereich. Mit den Jahren bin auch ich Fan geworden, nicht weil die Filme besonders herausstechen, sondern weil sie, trotz kleineren Budgets, gut gemachte Actionszenen bieten und Adkins mit einer erstaunlichen Physis Martial-Arts-Choreographien aufs Parkett legt, die zumindest in den westlichen Hemisphären zur Speerspitze des Genres gehören. Natürlich habe ich mich auch auf AVENGEMNET (2019) gefreut, gerade weil auch Jesse V. Johnson wieder auf dem Regiestuhl saß, mit dem Adkins seit ein paar Jahren ordentlichen Output produziert. Kurz gesagt: Ich hatte richtig Bock!
Meine Vorfreude erhielt einen erheblichen Dämpfer, als bekannt wurde, dass der Streifen in Deutschland lediglich in einer geschnittenen Version erscheinen würde, da die gute alte FSK mal wieder die Freigabe verweigert hat und Black Hill Pictures als Verleiher wohl keinen Bock hatte, den Gang zur BPjM zu wagen. Die große Überraschung war nun, dass der Film auf einmal bei Netflix im Programm gelistet wurde, und zwar vollkommen ungeschnitten, was daran liegt, dass die Streaming-Plattform keinen FSK-Segen benötigt und sich letztendlich an das Jugendschutzgesetz halten muss. Immerhin ist AVENGEMENT nicht indiziert und kann somit in voller Pracht genossen werden. Und weil ich keine geschnittenen Filme gucke und deswegen keine Kritik geschrieben habe, wird dies nun nachgeholt, was sich rückblickend gelohnt hat. AVENGEMENT ist ein ziemliches Brett und mit ziemlicher Sicherheit einer der besten Filme, die Adkins bisher gedreht hat.
Handlung:
Cain Burgess (Scott Adkins) ging buchstäblich durch die Hölle. Nach einem verpatzten Raub, den er für seinen Bruder Lincoln (Craig Fairbrass) durchführen sollte, landet er im Gefängnis, wo ihm die Mithäftlinge nicht besonders wohlgesonnen sind. Täglich kämpft der gutmütige Boxer ums Überleben, was ihm zahlreiche Narben, Verbrennung und ein künstliches Gebiss einbringt. Zu seiner Überraschung muss er feststellen, dass die zahlreichen Attacken nicht zufälliger Natur sind und er aus dem Weg geräumt werden soll. Als es ihm gelingt, bei einem Krankenhausbesuch zu fliehen, kennt, der mittlerweile zum Berserker mutierte, Cain nur ein Ziel: Rache!
Die Story ist nicht neu, sondern setzt sich aus diversen Versatzstücken zusammen, die einen ziemlich langen Bart haben. Allerdings versteht es Johnson, der hier auch als Autor fungierte, diese Versatzstücke sehr effektiv zu kombinieren. Der Film spielt die meiste Zeit in einem Pub, in dem Londoner Straßengangster gerne ein gezapftes Bier genießen und miteinander schnacken. Schon zu Beginn des Films kehrt Adkins, der hier wie Frankensteins Türsteher zurechtgemacht ist, in die Spelunke ein und man wartet nur darauf, dass es gleich gehörig Schellen hagelt. Allerdings nimmt sich der Streifen erstmal Zeit, die Vorgeschichte in Rückblenden darzustellen. Der Zuschauer bekommt zu sehen, wie Burgess zu diesem Ungetüm geworden ist. Dabei springt die Handlung immer wieder in den Zeitebenen und erst gegen Ende hat man ein genaues Bild vom höllischen Werdegang eines Mannes, der für ein paar Kröten seinem Bruder einen kriminellen Gefallen getan hat, eingeknastet wurde und die härtesten Jahre seines Lebens durchleiden musste. Getreu der Devise „was dich nicht umbringt, macht dich härter“, sehen wir Adkins, der mit jedem Schlag immer tollwütiger und rabiater wird, bis wir letztendlich den Mann sehen, der gerade im Pub zum finalen Vergeltungsschlag gegen die Männer ausholt, die mehr oder weniger für die Hundejahre verantwortlich sind.
AVENGEMENT orientiert sich in seiner Dramaturgie bei Schwergewichten wie Guy Ritchie und Quentin Tarantino. Eine Portion RESERVOIR DOGS (1992) trifft auf die aufgelockerte Unterwelt Londons aus den Frühwerken Ritchies. Das heißt nicht, dass Johnson hier für zahlreiche Lacher sorgt, denn außer einer amüsanten Szene zu Beginn, bleibt AVENGEMENT durchgehend hart und ernst, streckenweise sogar dramatisch. Mit der Laufzeit baut man immer mehr eine emotionale Verbindung zu Adkins Figur auf, dessen Leidensweg, auch aufgrund der drastischen Darstellung, zunehmend an die Nieren geht. Das ist zu keiner Zeit wirklich tiefgründig und fein ausgearbeitet, erfüllt aber seine Zweck, was man bei einem B-Movie dieser Preisklasse wohl kaum erwarten würde.
So zeigt sich auch, dass Scott Adkins ein ganz passabler Schauspieler ist, der mehr kann als Martial-Arts Posen. Sicher ist kein Shakespeare-Mime aber in den richtigen Rollen kann der Gute glänzen und agiert auch hier bei Weitem nicht so hölzern, wie man vielleicht vermuten würde. Auch Craig Fairbrass macht als Antagonist und Bruder eine gute Figur. Den schmierigen, skrupellosen Kredithai nehme ich ihm auf jeden Fall ab.
Was bei einem Adkins-Film natürlich die zentrale Frage ist, ist, ob die Action überzeugt. Wer virtuose Kampfszenen alá UNDISPUTED erwartet, wird vermutlich enttäuscht sein, setzt AVENGEMENT doch auf rohe Prügeleien, anstatt auf geschmeidige Kicks und schnelle Hand-to-Hand Kombinationen. Johnson lässt seinen Hauptdarsteller wie einen Berserker wüten und zahlreiche Typen verdreschen, dass kein Gras mehr wächst. Die Kämpfe sind simpel gehalten, erzielen dadurch aber einen größeren Effekt. Hier tut jeder Schlag richtig weh, womit man den Streifen am ehesten mit BRAWL IN CELL BLOCK 99 (2017) vergleichen könnte, der in eine ähnliche Kerbe schlägt. Allerdings bietet die Adkins-Revue deutlich mehr Fausthiebe und streut immer wieder derbe Gewaltspitzen ein, die für knapp 90 Minuten ohne Leerlauf sorgen. Dabei ist die Inszenierung wunderbar roh, der Schnitt nie zu hektisch und immer im Geschehen. So müssen Actionfilme funktionieren, eine Arbeitsweise, die im Mainstream zunehmend verloren gegangen ist.
Black Hill Pictures scheiterte dreimal bei der FSK, denen AVENGEMENT anscheinend zu brutal war. Ich muss zugeben, der Film ist hart und die Gewalt ist nie selbstzweckhaft, sondern dient der Figur. Es werden Knochen gebrochen, Kauleisten eingedellt, Köpfe zerschossen, Kehlen aufgebissen und eine Gefängnistreppe sorgt für einen ziemlich bösen Shot. Diese Momente werden aber nie zelebriert, sondern sind kurz und knackig. Wenn ich bedenke, was momentan im Kino schon mit einer 16er-Freigabe durchkommt und in welchen Blutbädern sich derzeit Sylvester Stallone mit einer 18er-Freigabe zu suhlen scheint, hätte man auch AVENGEMENT ohne Probleme mit „keine Jugendfreigabe“ bewerten müssen. Knapp zwei Minuten fehlen in der Kaufhaus-Version, womit sicher niemand glücklich ist. Netflix macht es nun möglich und serviert euch die Prügel-Orgie ungekürzt im heimischen Wohnzimmer. Allerdings muss man auf eine Synchro verzichten, denn wer den Film genießen möchte, muss sich mit der Originalversion und wahlweise deutschen Untertiteln begnügen.
Fazit:
Mit AVENGEMNET – BLUTIGER FREIGANG (2019) haben Scott Adkins und Regisseur Jesse V. Johnson ein rundum gelungenes Brett abgeliefert, dass uns schonungslos eine brachiale Rachegeschichte serviert, dabei aber auch schöne Charaktermomente in petto hat. Natürlich ist das alles nicht wirklich tiefschürfend, jedoch macht Adkins eine gute Figur und darf mit voller Wucht 90 Minuten lang wie ein Berserker wüten, und das in knackigen Actionszenen, die eine gesunde aber auch fiese Härte an den Tag legen. Kein Meisterwerk aber ein überaus gelungener Film, der sich vom B-Action Durchschnitt ziemlich abhebt!
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