Hier wurde ein Lexikon verfilmt. Naja, eher die Entstehung des umfangreichsten Wörterbuchs der englischen Sprache – das Oxford English Dictionary. Bei der Produktion ging einiges schief: man drehte zu lange, man wurde zu teuer und es entstand ein langer Rechtsstreit zwischen dem Inhaber der Filmrechte, Mel Gibson, und der Produktionsfirma, Voltage Pictures, was dazu führte, dass am Film herum geschnitten wurde und Mel Gibson jedwede Zusammenarbeit mit dem Marketing verweigerte. Sogar der Regisseur bekam einen anderen Namen. Und so wurde aus dem Film ein qualitatives Auf und Ab und könnte fast als gescheitert bezeichnet werden, gäbe es da nicht Mel Gibson und eine recht spannende Grundidee in der Story. Demnächst bei uns von KSM Film erhältlich.

Regisseur: Farhad Safinia (P.B. Shemran)

Darsteller: Mel Gibson, Sean Penn, Steve Coogan, Natalie Dormer, Stephen Dillane

Artikel von Kai Kinnert

Mitte des 19. Jahrhunderts arbeitet Philologie-Professor James Murray (Mel Gibson) mit großer Leidenschaft an seinem ehrgeizigen Traum: der Erstellung der ersten Ausgabe des Oxford English Dictionary, dem bis heute umfangreichsten Wörterbuch der englischen Sprache. Unterstützung erhält er dabei von einem ominösen Dr. William Chester Minor (Sean Penn), der Murray über die Jahre 10.000 Beiträge schickt. Der Professor ahnt dabei nicht, dass sein leidenschaftlicher Unterstützer wegen Mordes sein Dasein in einer Hochsicherheits-Psychiatrie fristet. Doch zwischen den beiden ungleichen Männern, die aus völlig unterschiedlichen Gründen als „verrückt“ gelten, entwickelt sich eine starke Verbindung, um ein gemeinsames Vermächtnis zu erschaffen: das größte englische Wörterbuch aller Zeiten.

Das Fundament des Films bietet alles für eine spannende Verfilmung damaliger Ereignisse. Die vornehme Oxford Gesellschaft beschließt in ihrem Club der Bessergestellten das umfangreichste Wörterbuch aller Zeiten zu erstellen, da sie die englische Sprache auf dem Höhepunkt seiner kulturellen Entwicklung wähnt und es durch neue Wortschöpfungen des Pöbels in Gefahr sah. Ein Edel-Lexikon sollte die hoheitliche Stellung der englischen Sprache in aller Schönheit für immer konservieren. Doch neuzeitliche Strömungen durch den Verlag sorgten dafür, dass James Murray mit der Erstellung des Wörterbuchs beauftragt wurde – ein ungelernter Autodidakt ohne Doktortitel, jedoch belesen und bewandert in gefühlt 25 Sprachen und Kenner fast sämtlicher alt-englischer Schriften. Und Murray hat einen ganz anderen Plan als die Oxford Gesellschaft, denn er will jedes Wort, ob alt oder neu, ins Wörterbuch bringen und plant dafür einen weltweiten Aufruf zu starten, bei dem jeder, über alle Stände hinweg, Wörter und ihre Quellen einreichen soll.

Murray wollte ein Standartwerk erstellen, dass für Jedermann zugänglich und gebrauchsfertig sein sollte, also von der Idee her völlig konträr zum alt-elitären Gedanken der Oxford Gesellschaft steht. Das ruft Unmut hervor. Zwietracht und Missgunst macht sich bei einigen standesbewussten Herren breit und so versucht man Murray später zu seinem Nachteil zu beeinflussen. Zu ehrgeizig ist das Projekt, da soll es doch lieber scheitern. Diese Art von Nachschlagewerk ist revolutionär und bedarf eines neuen Systems der Gliederung und Auffindbarkeit. Murray findet eine, bis heute gültige, Lösung und legt so den Grundstein für den Aufbau und die Anwendbarkeit des Wörterbuchs. Mit einem mehrköpfigen Team beginnt Murray mit der Arbeit und bekommt aus aller Welt tausende von Zuschriften, die, zu jedem Wort sortiert, recherchiert, revidiert, lektoriert und eingeordnet werden müssen. Und das alles per Hand. Das Privatleben Murrays fällt zurück, die Jahre gehen ins Land und irgendwann eröffnen sich Lücken, die geschlossen werden müssen. Der erste Band des Nachschlagewerkes soll veröffentlicht werden und man scheitert an dem englischen Wort „Art“, Kunst. Denn die Herkunft des Wortes verschwindet im 17. Jahrhundert, einer Dunkelzone des Teams um Murray. Man findet keine Zusammenhänge zur Entstehung des Wortes.

Auf der anderen Seite steht Dr. William Chester Minor, ehemaliger US-Militärarzt, traumatisiert vom amerikanischen Bürgerkrieg und in England wegen Mordes in der geschlossenen Psychiatrie einsitzend. Minor ist schizophren und hat im Verfolgungswahn den Ehemann einer Frau (Natalie Dormer) erschossen., etwas, was Minor sich bis ans Ende seiner Tage vorwerfen wird. Doch zwischen der Witwe und Minor wird sich im Laufe der Jahre eine Art Freundschaft entwickeln, denn Minor läßt seine Armee-Rente der Frau zukommen, ermuntert sie Lesen und Schreiben zu lernen und findet außerdem den Aufruf von Murray in einem der Bücher, die er sich in die Klappsmühle kommen lässt. Als der belesene und hochbegabte Minor so davon erfährt, das Murray Schwierigkeiten mit dem 17. Jahrhundert und dem Wort „Art“ hat, kann sich Minor von seinem Wahn lösen und wird so der wichtigste Quellenlieferant für Murray und das Wörterbuch. Der Mann schickt kistenweise Wörter und Angaben zur Herkunft an Murray, der dann dankbar sämtliche Lücken im Buchstaben „A“ schließen kann. Doch Minor hat es nicht leicht, denn sein Wahn wiegt schwer und die damaligen Behandlungsmethoden steckten noch in der Kinderschuhen neuzeitlicher Ansätze und Ansichten. Und so bekommt Minor schwere Rückfälle in seinen Wahn, bei dem er sich auch noch den Penis abschneidet. Doch Minor und Murray haben sich zu diesem Zeitpunkt schon kennengelernt und pflegen eine Art Freundschaft, bei der Murray zu sehen muss, wie Minor sich zunehmend verliert.

Das klingt soweit gut, doch Regisseur Farhad Safinia (Autor von Apocalypto, 2006) traut dem Stoff nicht und fügt eine emotionale Ebene zwischen Minor und der Witwe ein, die er schlichtweg nicht im Griff hat. Unpassend kitschig und filmisch ratlos überlässt Safinia das Treiben ab Mitte des Films Sean Penn, der bei jedem schlechten Regisseur zum Overacting neigt. Ohne Peitsche am Set macht Penn was er will und dreht als irrer Minor auf. Zwar findet Mr. Penn hier und da zu einer geschlossenen Form des Schauspiels zurück, bekommt aber durch das emotional verschlaffte Drehbuch zu viel Freiraum für das große Theater. Das Drama um Minor und der Witwe nimmt dann Überhand und drückt die Story um das Wörterbuch in den Hintergrund. Der Film verliert eine gute halbe Stunde an einem gesamtkünstlerischen Abrutschen, dass man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte. Die Schuldgefühle Minors sind völlig erfunden und sekundär für die eigentliche Handlung und werden durch die überforderte Regie zur kitschigen Bremse des Streifens.

Mel Gibson rettet The Professor and the Madman. Er gibt seiner Rolle passendes Format und bringt erzählerische Spannung in die Entstehung des Nachschlagewerkes. Mel Gibson (hier synchronisiert von Jürgen Heinrich) spielt diszipliniert und zurückgenommen und ergattert sich so die gute Szene, in der er den Verlust seines Freundes erkennt. Sobald Gibson ins Spiel kommt, findet auch Sean Penn zur Form zurück und der Film zeigt auf, was alles aus ihm hätte werden können, wenn man auf den ganzen anderen Quatsch verzichtet hätte. Dazu leistet sich der Streifen einige Unzulänglichkeiten, die vermeidbar gewesen wären. The Professor and the Madman wurde zwar in England gedreht, allerdings nicht in Oxford. Das wollte Mel Gibson mit einem Nachdreh von fünf Tagen vor Ort ausbügeln, was jedoch von der Produktionsfirma verweigert wurde. Auch der künstliche Look des Films und ein paar Schwächen in den Effekten (der Rückblick bei Minor oder die Schneeballschlacht mit Murray) sind augenfällig. Aber wegen Gibsons Figur und seiner Aufgabe mag man das Thema des Films und ist gespannt, wie die Sache ausgeht.

The Professor and the Madman ist ein zweischneidiges Schwert. Bis zur Mitte des Films ist die Sache eigentlich ganz spannend und man fragt sich, wie die beiden Erzählstränge um Gibson und Penn zusammenfinden werden. Doch mit zunehmender Laufzeit verliert der Film an Geschlossenheit und verschludert sich zunehmend in emotionaler Augenwischerei. Mag es im Kern von The Professor and the Madman auch um Liebe und Vergebung gehen, so ist die Inszenierung darum schlichtweg in die Hose gegangen. Das macht The Professor and the Madman zu einem unausgewogenen, überzeichneten und etwas ratlosen Film, der sich einen guten Mel Gibson leistet und so für Fans sehenswert bleibt.

Das Bild der BD ist satt und klar, der Ton gut. Als Extras gibt es ein kurzes Making Of und Trailer.

Trailer:

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