Vor zehn Jahren wurde das Horrorgenre um den von vielen Fans gefeierten BEUTEGIER aus der Feder Jack Ketchums reicher. Der Horrorautor lieferte persönlich das Drehbuch zu dem Schocker, in dem eine zurückgezogen lebende Kannibalensippe in einem kleinen Städtchen für Angst und Schrecken sorgte. Dabei ging es so saftig zu Werke, dass sowohl die FSK, als auch die SPIO eine ungekürzte Freigabe verweigerten. Die zwei Jahre später erschienene Fortsetzung THE WOMAN hatte es da schon einfacher und erschien ungekürzt mit FSK 18 Segen bei CAPELIGHT PICTURES. Jetzt, weitere acht Jahre später, kehrt „The Woman“, die „Titelheldin“ der Reihe ein weiteres Mal zurück. Leider ohne die Mitwirkung des letztes Jahr verstorbenen Ketchum, dafür aber ungekürzt mit Jugendfreigabe. CAPELIGHT PICTURES wirds freuen, doch ist der deutlich harmlosere Streifen auch ein Segen für die Fans?
Drehbuch und Regie: Pollyanna McIntosh
Darsteller: Lauryn Canny, Cooper Andrews, Aubree Ann Dupree, Pollyanna McIntosh, Bryan Batt, Nora-Jane Noone
Artikel von Christian Jürs
Wie aus dem Nichts taucht urplötzlich ein junges, verwahrlostes Mädchen (Lauryn Canny) auf der Straße vor einem Krankenhaus auf und wird von einem Fahrzeug erfasst. Als Darlin, so heißt die junge Dame, wieder zu sich kommt, reagiert sie auf den Pfleger Tony (Cooper Andrews) wie ein scheues, wildes Tier. Auf allen Vieren faucht das eigenartige Kind den freundlichen Mann an und kann nur mit Hilfe starker Medikamente ruhig gestellt werden.
Wer mehr über die genaue Herkunft Darlin´s wissen möchte, dem lege ich den Vorgängerfilm The Woman ans Herz. Um es so spoilerfrei wie möglich zu halten, sei hier nur erwähnt, dass sie mit der dort titelgebenden Frau (Pollyanna McIntosh), die einem Kannibalenstamm entstammt, ein Leben in der Wildnis für mehrere Jahre seither geführt hat. Eben diese Frau ist es auch, die Darlin´ zu dem Krankenhaus bringt, vor dessen Tür sie schließlich angefahren wird. Danach verschwindet die Fremde spurlos. Ihre Beweggründe bleiben zunächst im Dunkeln.
Das verstörte Mädchen hingegen, wird in eine katholische Schwesternschule gebracht, wo sie wieder zu zivilisiertem Verhalten erzogen werden soll. Da sollten sich die Betreiber jedoch selbst erstmal an die eigene Nase fassen. Der schmierige Bischof (Bryan Batt) handelt nämlich nicht aus Nächstenliebe. Stattdessen nutzt er die juge Frau als Werbemaßnahme für seine Kirche. Ihre erneute Eingliederung in die Gesellschaft soll deshalb per Videokamera dokumentiert werden, um Geld durch Sponsoren in die leeren Kirchenkassen zu spülen. Die Nonne Jennifer (Nora-Jane Noone) unterstützt ihn bei seinem Vorhaben.
Zunächst tut sich Darlin´ mit der neuen Situation schwer, zumal sie auch das Sprechen erst wieder neu erlernen muss. Auch die anderen Schülerinnen begegnen ihr zunächst distanziert und abweisend. Doch nach und nach verliert Darlin´ das Wilde in ihrem Inneren und schließt sogar Freundschaft mit einem der Mädchen. Alles scheint sich für die Kirche zum Guten zu wenden. Was niemand ahnt: Die wilde Frau ist bereits auf der Suche nach ihrer Ziehtochter und hinterlässt dabei eine blutige Spur…
Der erste Roman rund um die Kannibalensippe mit dem Titel Beutezeit erschien bereits 1979 und wartet noch heute auf eine filmische Umsetzung. Die Fortsetzung Beutegier aus dem Jahr 1991 hingegen wurde 18 Jahre später verfilmt und erfreute die Horrorgemeinde mit knackigen Goreeinlagen, war aber qualitativ eher im Mittelmaß angesiedelt. Im Jahre 2011 schrieb Ketchum dann, zusammen mit Regisseur Lucky McKee, den dritten Teil The Woman, dem McKee dann auch zu filmischen Ehren verhalf. Ein ebenfalls nur leicht überdurchschnittlicher Reißer, der den Fokus von der Kannibalensippe hin zu der titelgebenden Frau verlagerte.
Deren Darstellerin Pollyanna McIntosh) verfasste und inszenierte nun ein weiteres Kapitel im Leben der Kannibalenfrau und widmete dieses dem mittlerweile verstorbenen Autoren. Ihre Geschichte von der schüchternen Wilden, die zurück in die angebliche Zivilisation geführt wird, in der jedoch, getreu den Ärzten, Männer nur Schweine sind, gibt es ab sofort im Handel. Tatsächlich haben, bis auf Ausnahme des sympathischen Pflegers Tony, die Männer in dieser Filmwelt alle Dreck am Stecken. So gibt es natürlich Missbrauchsfälle unter den Klosterschülerinnen und auch der schleimige Bischof reinigt die Seelen der Mädchen, indem er sie sich, natürlich vor seinen Augen, nackt dem Herrn präsentieren lässt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Ja, McIntoshs Geschichte ist Futter für die #MeToo – Bewegung und dürfte im Filmregal von Alice Schwarzer einen Ehrenplatz erhalten. Größter Pluspunkt von Darlin´ ist dabei Hauptdarstellerin Lauryn Canny, die das verängstigte, wilde Mädchen glaubhaft (und bis zu einem gewissen Punkt) zerbrechlich spielt. Frau McIntosh hingegen darf nicht viel mehr machen, als mit irrem Blick durch die Gegend zu streifen und böse, böse Männer ermorden. Dabei wurde die Gewaltschraube, die die beiden Vorgänger fest anzogen hatten, deutlich gelockert. Ein Großteil der Kills findet nur im Off statt oder ist weitestgehend unblutig (auch wenn hier und da mal ein Hemd aufgeschlitzt wird). Die Zielgruppe „horrorbegeisterte Frauen“ verträgt eben nicht so viel Gewalt (zumindest in den Augen der Filmemacherin anscheinend).
Man sollte den Stellenwert eines Filmes jedoch nicht am Gewaltgrad messen, sondern an seinen sonstigen Qualitäten. Doch die sind leider spärlich gesäht. Abgesehen von seiner Hauptdarstellerin liefert der Film nämlich nur eine ziemlich vorhersehbare und ziemlich dröge 08/15-Geschichte nach Schema F. Hinzu kommt, dass der böse Bischof eine echte Witzfigur ist, die nicht den Hauch einer Bedrohung ausstrahlt. Seine Aufforderung an Darlin´ sich vor ihm zu entkleiden kommt dermaßen lächerlich daher, dass man sich fragt, warum dem noch niemand den Wurm abgeschnitten hat. Nein, eine neue Genreperle haben wir hier nicht, auch wenn handwerklich (Licht und Kamera sind außerordentlich gut) kaum Grund zur Kritik vorhanden ist. Nützt aber nix, wenn der Inhalt schwach ist. Auch die Erklärung, warum Darlin´ denn jetzt in die Klinik gebracht wurde von ihrer Ziehmutter, ist wenig spektakulär. Was bleibt, ist ein zähes, kleines Filmchen mit einer ziemlich guten Hauptdarstellerin, von der wir hoffentlich noch mehr sehen werden.
Der Veröffentlichung von Capelight Pictures hingegen kann man nichts vorwerfen. Bild und Ton sind ausgezeichnet. Ebenso die deutsche Synchronfassung ist gewohnt gut. Als Bonus liegen eine entfallene Szene, ein Musikvideo und Trailer vor. Einziges Manko: Wer anstelle der Collectors Edition lediglich eine einfache Blu-ray erwerben möchte, muss hierfür noch bis Ende Mai 2020 warten.
Trailer: