Was passiert, wenn man Zerstörungs-Maestro Michael Bay 150 Millionen US-Dollar vor die Füße wirft und ihn einfach mal machen lässt? Richtig, es kommt ein Film wie 6 UNDERGROUND (2019) dabei heraus. Dass man kein sonderlich tiefgründiges Werk erwarten sollte, versteht sich dabei von selbst. Ob sich der Actionfilm mit DEADPOOL-Star Ryan Reynolds aber wenigstens als krachende Stunt- und Explosions-Parade eignet, erfahrt ihr in unserer Kritik!
Originaltitel: 6 Underground
Drehbuch: Paul Wernick, Rhett Reese
Regie: Michael Bay
Darsteller: Ryan Reynolds, Mélanie Laurent, Manuel-Garcia Rulfo, Ben Hardy, Corey Hawkins, Adria Arjona, Dave Franco, Lior Raz…
Artikel von Christopher Feldmann
Man kann einem Streaming-Anbieter wie Netflix Einiges vorwerfen, sicher aber keinen Mangel an Selbstbewusstsein. Immerhin liefert der VoD-Riese regelmäßig eigens produzierten Content ab, der nicht selten die Aufmerksamkeit von Zuschauern und Presse auf sich zieht. Während mit Martin Scorseses Mafia-Abgesang THE IRISHMAN (2019) und dem Ehe-Drama MARRIAGE STORY (2019) gerade erst zwei preisträchtige Werke aus der Netflix-Schmiede, denen große Chancen bei der bevorstehenden Oscar-Verleihung eingeräumt wird, ihren Weg auf die Plattform gefunden haben, lässt man es kurz vor Jahresende nochmal richtig donnern. Statt Arthouse-Fans, richtet man sich mit 6 UNDERGROUND (2019) einmal mehr an ein Massenpublikum, dass sich weniger an schwerfälligem Dialogkino laben möchte, sondern nach beherzter „Hirn aus, Film ab“-Manier große Schauwerte erwartet. Die gibt es in dem Blockbuster von TRANSFORMERS-Schöpfer Michael Bay zuhauf und entspricht dabei ganz klar dem Mainstream. Dabei gelingt es Bay, trotz offensichtlicher Mängel, ein bildgewaltiges Inferno zu entfachen, dass einmal mehr beweist, dass Netflix in Sachen Abwechslung die Nase noch deutlich vor dem aufmarschierenden Anbieter Disney+ hat. Der turbulente Actionfilm geizt nicht mit ausufernder, waghalsiger und auch brutaler Action und wischt mit sämtlichen Blockbustern des Jahres rein auf dieser Ebene den Boden auf. Inhaltlich lässt das Ganze aber dennoch zu wünschen übrig.
Handlung:
One (Ryan Reynolds), ein Milliardär und Technologie-Genie, hat vor Jahren seinen Tod vorgetäuscht, um das Böse auf der Welt zu bekämpfen, aus dem Untergrund heraus. Ihm zur Seite stehen weitere Personen, die denselben Weg gegangen sind. Darunter befinden sich unter anderem eine ehemalige französische Spionin (Mélanie Laurent), ein ausgedienter Auftragskiller (Manuel-Garcia Rulfo) und ein diebischer Parkour-Sportler (Ben Hardy). Gemeinsam und mit modernsten Waffen ausgerüstet, gehen sie auf verschiedene Missionen, die von den aktiven Behörden und Geheimdiensten nicht erledigt werden. Ihr neustes Ziel: Ein erbarmungsloser Diktator (Lior Raz).
Wenn Michael Bay Hand anlegt, kann man sich eines sicher sein: Es kracht gewaltig! Das hat uns der einstige Musikvideo-Regisseur mehrfach bewiesen. Egal ob in BAD BOYS (1995) und BAD BOYS 2 (2003), in ARMAGEDDON (1998) oder in der gesamten TRANSFORMERS-Reihe (2007-2017), wenn Bay von der Leine gelassen wird, kommt dabei meistens eine visuelle Zerstörungsorgie erster Güte heraus. Dabei pfeift der oft geschmähte Filmemacher auf Tiefgang, differenzierte Charaktere oder gar logische Drehbücher. Bay stellt ganz klar den Stil über die Substanz und ist damit, zum Ärger vieler Filmkritiker, ziemlich erfolgreich. Für seinen neusten Streich tat er sich nun mit Netflix zusammen und 6 UNDERGROUND (2019) ist somit der erste Bay-Blockbuster, dem die Kinoleinwand vorenthalten bleibt. Schon die ironischen Werbeclips machten Lust auf mehr und letztendlich hielten diese auch, was sie versprachen. 6 UNDERGROUND ist kompletter Schwachsinn, macht oft keinen Sinn und ist inhaltlich, gelinde gesagt, eine Zumutung. Auf visueller Ebene rockt Bay dafür so sehr wie seit Jahren nicht mehr.
Das macht sich schon in den ersten 20 Minuten bemerkbar, in denen der Zuschauer eine abgefahrene Verfolgungsjagd quer durch Florenz serviert bekommt. Schon hier zelebriert Bay den absoluten Overkill, den Spaß am filmischen Exzess. Im aufgemotzten, knallgrünen Alfa Romeo brettern Reynolds und seine Kollegen durch die italienische Metropole, in der danach kein Stein mehr auf dem anderen sitzt. Es kracht und zischt an allen Ecken und Enden, Autos fliegen durch die Luft, Passanten werden niedergemäht, die Kugeln fliegen einem nur so um die Ohren, während auf dem Rücksitz eine Schusswunde operiert wird, bei der das Blut nur so über die Sitze und Gesichter spritzt. Schon zu Beginn feuert der Film aus allen Rohren und zelebriert ein Maß an Action, die für die meisten Filme auf ganzer Länge reicht. Zwar wird hier wieder hektisch hin und her geschnitten, trotzdem brauchte ich erstmal eine Verschnaufpause. Bevor es wieder in die Vollen geht, versucht 6 UNDERGROUND erstmal eine Story zu etablieren und da liegt wie zu erwarten der ganz große Schwachpunkt.
Die Geschichte um eine Gruppe von tot geglaubten Elite-Kämpfern ist zugegeben eine echte Zumutung. Eigentlich könnte man das Drehbuch der beiden DEADPOOL-Autoren Rhett Reese und Paul Wernick als absoluten Haufen Scheiße bezeichnen. Die dünne Handlung dient lediglich dazu, groß angelegte Actionszenen miteinander zu verbinden, Charaktere bleiben reine Abziehbilder, die Dialoge sind meistens ziemlich dämlich, Logiklöcher gibt es en masse und mit Spannung hat das Ganze mal so gar nichts zu tun. Viel mehr wirkt der Film, als hätte man sich im Vorfeld die rasanten Szenen ausgedacht und nachträglich irgendeinen Hauch von Skript drum herum geschustert. So gibt es immer wieder Szenen, die ins Nichts führen, die keinen Zweck haben oder einfach nur dazu dienen, einen halbgaren Spruch von Hauptdarsteller Ryan Reynolds unterzubringen.
Aber ich kann damit leben, da ich auch keinen spannenden Actionthriller erwartet habe. Wenn man das Schaffen von Michael Bay kennt, dann weiß man, dass die einzelnen Einträge in seiner Vita nicht selten grenzdebilder, stellenweise menschenfeindlicher Unsinn sind. Und nachdem ich in den letzten Jahren schon Galle gekotzt habe, wenn ich nur den Titel TRANSFORMERS gehört habe, keimte in mir die Hoffnung, dass mich 6 UNDERGROUND so kicken könnte, wie es einst BAD BOYS 2 (2003) tat. Okay, das war mit 14 Jahren aber trotzdem lasse ich gerne mein kindliches Ich Spaß haben, am liebsten mit dickem Action-Bombast. 6 UNDERGROUND macht nicht so viel Bock wie der zweite Auftritt von Will Smith und Martin Lawrence als Chaos-Cop, klotzt aber visuell stark an dessen Thron. Michael Bay inszeniert wieder auf Hochglanz gepimpte Bilder, es reiht sich ein Money-Shot an den Nächsten und in Zeitlupe gibt es einige peinliche Poser-Szenen zu „bewundern“. Das gehört eben zu einem Bay-Film wie der pathetische Unterton und die Funken sprühenden Explosionen. Dafür entschädigt man den Zuschauer mit reichlich Gagaismus, der von magnetischen Super-Yachten über Wolkenkratzer in Hong Kong reicht. Es werden Bauwerke platt gemacht, Körper zerfetzt und Kollateralschaden in gefühlter Milliardenhöhe verursacht. Und das immer stylisch und mit dem Spaß am groben Unfug.
Leider sind die Darsteller, wie schon das Drehbuch, nicht mehr als zweckmäßig für dieses rasante Inferno. Schauspielerisch muss sich hier niemand aus dem Fenster lehnen, im Falle von Mélanie Laurent (INGLOURIOUS BASTERDS) ist es allerdings eine echte Verschwendung. Richtig genervt, war ich allerdings von Ryan Reynolds, der seit DEADPOOL (2016) immer die gleiche Rolle spielt, nämlich den ironischen Witzbold, so auch in diesem Film. Reynolds Sprüche wirken so abgenudelt und sind dabei nicht mal lustig, stattdessen geht es mir total auf den Keks und beweist einmal mehr, dass der grinsende Schönling schauspielerisch absolut limitiert ist. Bay hingegen bekam von Netflix wohl keine Limits gesetzt, denn 6 UNDERGROUND ist überraschend brutal und blutig geraten. Hier bekommt schon mal ein Bad-Guy mit dem Granatenwerfer ins Gesicht geschossen, Zivilisten werden über den Haufen gefahren, Knochen brechen im Sekundentakt, Gegner werden mittels Magnetismus von zahlreichen Hieb- und Stichwaffen durchbohrt und Köpfe mittels Blendgranaten weggerissen. Die Gewalt wird hier auf die exploitativste Art und Weise zelebriert, und macht dabei sogar Spaß.
Fazit:
Mit 6 UNDERGROUND (2019) lässt Netflix einen echten Gnadenhammer auf das Publikum los. Michael Bay frönt mit Inbrunst der Zerstörung und dem visuellen Exzess. Das kann teilweise überfordernd sein und rein inhaltlich ist der Actionfilm eine einzige Zumutung, jedoch darf sich der umstrittene Regisseur voll und ganz austoben und mit seinem neusten Film einen absoluten Overkill inszenieren, der vor abgefahrener Action und überraschenden Härten nur so strotzt und wahrscheinlich dem gesamten Feuilleton den Mittelfinger zeigt. Michael Bay macht eben Filme für 14-jährige Jungs, die sich nicht um Anspruch kümmern. Und genau dieser hatte seinen Spaß.
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