Mit dem fünften „Edgar Wallace“-Film aus dem Hause Rialto-Film, steuerte die Reihe langsam aber sicher auf ihren künstlerischen Zenit und ihre erfolgreichste Phase zu. DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (1961) war nicht nur der, bis dato, größte Hit der eifrigen Krimi-Produzenten, sondern auch der Film, der den Ton für spätere Einträge in den fröhlichen Mörder-Reigen maßgeblich prägte und auch heute noch einer meiner liebsten Wallace-Krimis ist. 

„Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“

Drehbuch: Trygve Larsen
Regie: Alfred Vohrer

Darsteller: Joachim Fuchsberger, Karin Baal, Wolfgang Lukschy, Dieter Borsche, Eddi Arent, Klaus Kinski, Harry Wüstenhagen, Ann Savo, Ady Berber…

Artikel von Christopher Feldmann

Mit Beginn des Jahres 1961 wehte ein neuer Wind bei Rialto-Film. Schon für die letzte Wallace-Produktion, DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE (1961), wurde Horst Wendlandt ins Boot geholt, der fortan die Gesamtleitung der Reihe übernahm. Bereits vor Kinostart des, von Jürgen Roland inszenierten, Krimis wurde der Firmensitz von Frankfurt am Main nach Hamburg verlegt und die Hansestadt wurde nun zum Dreh- und Angelpunkt des gesamten Produktionsplans. Wendlandt selbst wurde daraufhin zum geschäftsführenden Mitgesellschafter ernannt, eine Entscheidung, die dem Unternehmen eine goldene Zukunft sichern sollte. Ursprünglich war DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN als nächster Film der Wallace-Reihe geplant, jedoch erforderte das Drehbuch von Egon Eis (unter dem Pseudonym Trygve Larsen) eine grundlegende Überarbeitung. Um im Zeitplan zu bleiben, beschloss man, DIE TOTEN AUGEN VON LONDON vorzuziehen, dessen Drehbuch (ebenfalls von Eis verfasst) auf breite Zustimmung stieß. So ging die Produktion am 16. Januar 1961 in den Dreh (bevor DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE überhaupt gestartet war) und erwies sich im Nachhinein als absolut treffsicher.

Handlung:
Als zum wiederholten Male ein reicher, älterer Herr tot aus der Themse gefischt wird, glaubt Inspektor Larry Holt (Joachim Fuchsberger) nicht an einen Unfall. Anhand der immer wieder auftretenden Muster, ist er der festen Überzeugung, dass „die toten Augen von London“ (eine Verbrecherbande blinder Hausierer) die Arbeit wieder aufgenommen haben. Da alle Opfer Klienten bei der ominösen „Greenwich-Versicherung“ waren, fühlt Holt dem Geschäftsführer Stephen Judd (Wolfgang Lukschy) auf den Zahn, der selbst von dem zwielichtigen Ganoven Flimmer-Fred (Harry Wüstenhagen) erpresst wird. Gemeinsam mit seinem Assistenten Sunny (Eddi Arent) und der schönen Nora (Karin Baal), die als ehemalige Blindenpflegerin zum Fall hinzugezogen wird, ermittelt Holt im Dunstkreis eines Blindenheims, um dem „blinden Jack“ (Ady Berber) habhaft zu werden, der mit den Verbrechen in Verbindung zu stehen scheint. Noch weiß der schlagfertige Ermittler nicht, dass der Fall eine unerwartete Wendung nehmen wird.

Ein weiterer Grund, weshalb man DIE TOTEN AUGEN VON LONDON als nächsten Teil der Reihe bevorzugte, war, dass der Roman von Edgar Wallace relativ einfach zu adaptieren war und das fertige Drehbuch von Egon Eis lediglich kleine Korrekturen erforderte. Diese wurden von Regisseur Alfred Vohrer vorgenommen, während Darsteller Wolfgang Lukschy ein paar Dialoge ergänzte. Trotzdem bat man den Autoren Werner Jörg Lüddecke, der bereits für den Regisseur Fritz Lang tätig war, mit einer alternativen Drehbuch-Version, die aber gleich wieder verworfen wurde.

Der Plot des Films gehört mit zu den besten der langlebigen Filmreihe und überzeugt auf ganzer Linie, finden sich darin doch zahlreiche Elemente, die einen klassischen Wallace-Krimi nach heutigen Maßstäben ausmachen. Es geht um Erbschaft, einen unheimlichen Bösewicht, zahlreiche halbseidene Figuren, ein großes Geheimnis, welches gelüftet werden muss und eine kleine Romanze findet auch noch ihren Platz. DIE TOTEN AUGEN VON LONDON ist ziemlich temporeich geraten und fällt nicht durch Leerlauf auf, wie es beim Vorgänger der Fall war. Zwar ist der Twist aus heutiger Sicht relativ erwartbar und die Auflösung zum Schluss nicht so richtig überraschend aber das liegt auch an den heutigen Sehgewohnheiten. Immerhin ist der Film recht frei von unsinnigen Handlungen und hanebüchenen Erklärungen, die Fäden fügen sich somit stimmig zusammen. Das größte Plus ist, dass man sich hier deutlich stärker auf den Grusel-Faktor konzentrierte, um den Geschehnissen etwas mehr Nervenkitzel zu verleihen, was bei DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE gänzlich fehlt. Auch der Humor funktioniert und wirkt nicht so deplatziert, wie in anderen Filmen, die noch folgen sollten.

Das größte Plus des Films ist zweifelsohne der Regisseur. Da Jürgen Roland nicht mehr zu Verfügung stand und Harald Reinl aufgrund einer Drehverschiebung anderweitige Verpflichtungen hatte, musste der Regie-Stuhl neu besetzt werden. Horst Wendlandt brachte schließlich den erfahrenen Synchron-Regisseur Alfred Vohrer ins Spiel, der daraufhin auch den Zuschlag erhielt. Vohrer erwies sich als absoluter Glücksgriff und DIE TOTEN AUGEN VON LONDON war die erste von zahlreichen Regie-Arbeiten für Rialto, davon dreizehn weitere für Edgar Wallace. Kein anderer Regisseur hat den Stil der Filme derart geprägt. Vohrers leicht übertriebene Schauspielführung, sowie sein Faible für experimentelle Kameraeinstellungen und einen pointierten Schnitt werteten die Marke deutlich auf. Auch sein Wallace-Debüt vereint zahlreiche Merkmale, die heute als essenziell für die Filme gelten.

DIE TOTEN AUGEN VON LONDON ist der erste Film der Reihe, der einen gewissen Pulp-Flair versprüht. So sorgen das düstere Blindenheim, die verwinkelten, von Nebelschwaden durchzogenen Gassen, sowie das verrauchte Nachtlokal für einen wohligen Schmier-Effekt, den die reißerische Story auch benötigt. Desweiteren war Vohrer darauf bedacht, die Mordszenen wesentlich spannender und intensiver zu gestalten, als es noch in den Vorgängern der Fall war. Die Überfälle vom blinden Jack haben etwas monströses an sich, so dass unweigerlich Assoziationen zu Frankenstein entstehen. Auch die interessanten Kamerascharmützel, wie die Aufnahme aus einem Mund heraus, und die zahlreichen Ideen (der Schuss aus dem Fernseher oder der Tod im Fahrstuhl) haben nichts an ihrem Reiz verloren. Alfred Vohrer fühlte sich im Wallace-Zirkus sichtlich wohl und die Geschichten waren wie maßgeschneidert für seine eigene Kreativität, allerdings auch nur, wenn die Drehbücher entsprechend gut waren. Zum Glück war das hier der Fall.

Ebenfalls hochkarätig ist wieder die Besetzung. Neben Veteran Joachim Fuchsberger, der wieder in seiner Paraderolle als heldenhafter Ermittler zu sehen ist, bekommt der Zuschauer mit Karin Baal eines der wohl besten Wallace-Girls geboten. Baal, die eher für rebellische und freche Frauenrollen bekannt war, meisterte ihren Auftritt mit Bravour. Die Rolle der verfolgten Schönheit steht ihr gut zu Gesicht und ihre optischen Reize sind auch nicht zu verachten, weshalb sie noch in zwei weiteren Filmen der Reihe zu sehen war. Neben den beiden Hauptdarstellern sind hier Dieter Borsche, Ann Savo, Rudolf Fenner und Ady Berber zum ersten Mal in einem Wallace-Film zu sehen. Die Rolle des tumben Ungetüms war Berber auf den Leib geschrieben, weshalb er diese auch bei seinen zwei weiteren Auftritten innerhalb der Serie verkörpern sollte, für Wolfgang Lukschy hingegen war es die einzige Rolle bei Edgar Wallace. Harry Wüstenhagen war ebenso ein Rückkehrer wie der fast schon unverzichtbare Eddi Arent, der hier mehr im Vordergrund agiert. Im Gegensatz zu anderen Filmen ist seine Rolle aber noch nicht so sehr mit Klamauk behaftet. Auch für Klaus Kinski, der es später zu Weltruhm bringen sollte, war dies die erste Rolle in der Reihe, es sollten noch viele folgen. Kinski verdiente sich bei Wallace seine Sporen als Schauspieler und bereits sein Part als zwielichtiger Sekretär Edgar Strauss legte schon den Figurentypus fest, auf den der polarisierende Mime in Zukunft festgelegt werden sollte. Ursprünglich sollte auch Ernst Fritz Fürbringer wieder als Sir Archibald, der Chef von Scotland Yard, auftreten. Da Fürbringer krankheitsbedingt nicht zur Verfügung stand wurde sein Part in Sir John umbenannt und von Franz Schafheitlin übernommen.

Gedreht wurde vom 16. Januar bis zum 21. Februar 1961 in Hamburg und Umgebung. Während die Eingangsszene am Sandberg in Hamburg-Altona entstand, wurden die Aufnahmen der Themse in der Speicherstadt realisiert, unter anderem diente das historische Fleetschlösschen als Kulisse. Die Innenaufnahmen wurden zum zweiten Mal in den Realfilm-Studios gedreht, für die London-Aufnahmen griff man abermals auf Archivmaterial zurück. Heinz Funk lieferte zum dritten und letzten Mal den Score für einen Wallace-Film. Dies ist fast der einzige Kritikpunkt am Film, denn bis auf ein paar nette Sounds ist der Score relativ belanglos. DIE TOTEN AUGEN VON LONDON feierte am 28. März 1961 seine Premiere in Frankfurt am Main und wurde zum bis dato größten Erfolg für Rialto. 3,4 Millionen Zuschauer konnte der Krimi generieren und rangiert heute unter den erfolgreichsten Wallace-Filmen auf Platz drei. Von der FSK bekam der Film eine Freigabe ab 16 Jahren, seit 1991 ist die ungekürzte Fassung ab 12 Jahren freigegeben.

Fazit:
DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (1961) läutete eine Wende innerhalb der Serie ein. Mit dem Regisseur Alfred Vohrer hatte man den richtigen Mann, der die Marke Edgar Wallace in eine gute Zukunft führen sollte. Sein Debüt ist ein unterhaltsamer, temporeicher Kriminalfilm, der Spannung, leichten Grusel und Humor gekonnt unter einen Hut bringt, eine tolle Besetzung bietet und stilistisch genau die Merkmale vereint, die die Reihe heute auszeichnen. Einer der besten Filme der Reihe!

4 von 5 Schleudergängen in der Waschmaschine 

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