Wo Genre-Experte Enzo G. Castellari das Zepter schwingt, steht meist die launige Action mit kernigen Typen im Vordergrund. Nicht selten betrieb Castellari dabei einige Aufwand und sorgte an so manchen Stellen für eine überraschend originelle Optik. So auch in diesem Gassenhauer, dem beliebtesten Film Castellaris in Italien, für den er ursprünglich nur die Spezialeffekte machen und Originalaufnahmen von Luftkämpfen bearbeiten sollte. Doch mit einem Splitscreen sorgte Castellari für Aufregung bei den Produzenten, die sogleich Alberto De Martino den vorgesehenen Regiestuhl entzogen und Castellari das Kommando übertrugen. Ein Glücksfall für Freunde dieser Art von Kino, frisch und sauber aufgelegt von CARGO RECORDS.
Originaltitel: La battaglia d’Inghilterra (aka Eagles over London)
Regie: Enzo G. Castellari
Darsteller: Frederick Stafford, Van Johnson, Francisco Rabal, Evelyn Stewart, Luigi Pistilli
Artikel von Kai Kinnert
Während der Evakuierung von Dünkirchen im Jahr 1940 nimmt ein Team deutscher Saboteure die Identität toter britischer Soldaten an und können so nach England übersetzen. Dort wollen die Saboteure die Radarstationen zerstören, um so den Angriff der deutschen Luftwaffe auf London zu erleichtern. Doch Captain Paul Stevens ahnt schon in Südfrankreich böses, als er die toten britischen Soldaten ohne Erkennungsmarken und Papiere auffindet. Daher ist er in London dann auch der richtige Mann für die Jagd auf die Saboteure, die während der Luftschlacht über London das Kontrollzentrum des RAF Fighter Command in die Luft sprengen wollen.
Ursprünglich bekam Castellari nur die Aufgabe, die Aufnahmen echter Luftkämpfe so zu bearbeiten, das man sie in den Film einbauen konnte. Da Castellari allerdings zuvor den Splitscreen in Thomas Crown ist nicht zu fassen (1968) gesehen hatte, probierte er sich ebenfalls in dieser Technik aus und präsentierte das Ergebnis den Produzenten. So kam es dann, dass Castellari in letzter Sekunde Regisseur des Streifens wurde und abschließend nicht nur mit einem bunten Splitscreen zu begeistern wusste.
Stukas über London leistet sich überraschend viel Aufwand. Es gibt eine Menge an Ausstattung und Kriegsgerät, auch wenn der Fachmann sofort erkennt, dass da nicht alles echt ist und zusammenpasst. So gibt es aber in dem Film die letzten drei, damals noch flugfähigen, Junkers Ju 87 zu sehen, die im schönen Museums-Vorbeiflug ihre Angriffe simulieren und Bomben abwerfen, obwohl sie keine Vorrichtung dafür mehr haben. Trotzdem funktioniert der Trick, denn die Actionszenen sind überraschend breit angelegt. Castellari fährt Komparsen in Kompaniestärke auf, der Strand von Dünkirchen ist voll mit Soldaten und Booten, Explosionen aller Orten und dazu originelle Aufnahmen aus der Luft und Kamerafahrten zu Wasser. Christopher Nolan, dieser schmutzige Vergleich muss jetzt mal sein, ist in diesem Moment nicht fern, denn beide hatten für ihre Sequenz am Strand die gleiche Idee und Castellari schlägt sich dabei nicht schlecht. Mit wenig Geld, keinem einzigen Computertrick, dafür aber mit beiden Füssen im Italo-Kriegsfilm, mit viel Action und überraschend guten Aufnahmen, liefert Castellari das Beste an Dramatik in seiner gesamten Karriere ab.
Auch die anderen Szenen können sich sehen lassen. Es gibt eine lange Kamerafahrt durch eine zerstörte Panzerkolonne, ein voll besetzte Szene. Die Bilder füllen sich bis in den Hintergrund, was eine Seltenheit für Filme dieses Genres und das Budget sind. Auch wenn die historischen Details nicht stimmen und die Dialoge meist Unsinn sind – die Kamera ist gut und die Explosionen sind stimmig. Selbst die Panzerschlacht im Wald ist launig und so manches MG Nest wird, für die damalige Zeit, recht knackig gesprengt.
Aber auch in den Handlungsszenen gefällt die Kamera von Alejandro Ulloa, in dem sie stark mit den Vordergründen und der Bildtiefe spielt und sich in Minute 34 eine fantastische Handkamera-Sequenz leistet. Der spätere Luftkampf über London ist voll mit naiv-knalligen Modelltricks, wobei die Krönung die Modellplatte von London ist, hinter deren Kante die bemalte Studiowand und die darunter platzierten Leuchten zu sehen sind, die das Licht der Flakscheinwerfer simulieren. Herrlich. Was zu Lande gelang, gelingt in der Luft nicht. Da hatte es Christopher Nolan besser.
Dennoch. Der Charme ist da, denn auch was die Modelle angeht, wird hier unverdrossen Aufwand betrieben, gespickt mit herzlichen, simplen Tricks. Das macht insgesamt zwar die erste Hälfte des Films zur Besseren, rundet aber diesen Genre-Film passend ab. Denn Castellari nutzt für seine Luftkämpfe das Anfangs erwähnte Originalmaterial und federt dabei seinen Film mit den bunten, überraschenden Splitscreens ab.
STUKAS ÜBER LONDON ist der aufwendigste Film von Enzo G. Castellari und mit Sicherheit kein Meisterwerk des ernsthaften Kriegsfilms, dafür aber satte Italo-Kost mit hübschen Einfällen in der Gestaltung. Wer Fan solcher Filme ist, darf hier getrost zuschlagen, denn die Mischung aus Können und Begrenztheit gelingt. Das hat Spaß gemacht.
Das Bild der DVD ist gut, der Film ist in sauberer Qualität, der Ton ebenso. Extras gibt es keine.