In den letzten Wochen haben sich die Schüler aufgrund der Pandemie einen faulen Lenz gemacht. Jetzt aber, wo die Schulen nach und nach wieder geöffnet werden, ist es auch für uns an der Zeit, einen „Lenz“ zu machen und uns einer DEUTSCHSTUNDE zu widmen. Grund dafür ist, dass CAPELIGHT PICTURES die Neuverfilmung des erfolgreichen, gleichnamigen Siegfried Lenz Romans kürzlich im Heimkino veröffentlicht hat. Wir haben streberhaft geprüft, ob es sich dabei um eine gelungene Neuinterpretation des Buches von 1968 oder doch nur um öden Wiederholungsunterricht handelt und was wir aus der Geschichte gelernt haben.

Regie: Christian Schwochow

Darsteller: Tom Gronau, Levi Eisenblätter, Ulrich Noethen, Tobias Moretti, Johanna Wokalek, Sonja Richter

Artikel von Christian Jürs

„Die Freuden der Pflicht“ lautet das Thema eines Aufsatzes, den Siggi (Tom Gronau), der sich im Jugendarrest befindet, im Deutschunterricht der Anstalt schreiben soll. Der auf einer Elbinsel aufgewachsene und gerade erwachsen gewordene junge Mann bekommt jedoch kein Wort zu Papier, denn zu schwer belasten ihn die Erinnerungen aus Kindheitstagen, die bei dem Wort Pflicht dabei in ihm aufkeimen. Insbesondere die letzten Jahre des zweiten Weltkriegs sind es, die in ihm arbeiten und ihn letztlich in seine Situation gebracht haben. Zuviel war damals geschehen, so dass Siggi einfach keinen Ansatz findet. Doch die Anforderungen waren streng in den frühen 50er Jahren und so landet der verstörte junge Mann in Einzelarrest, wo er in aller Ruhe seinen Aufsatz verfassen soll.

Tatsächlich findet er schließlich einen Ansatz und schreibt sich seine Kindheitserinnerungen von der Seele. Wir erfahren, dass Siggi unter seinem strengen Vater, einem diensttreuen Dorfpolizisten namens Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) litt, der die Erfüllung seiner Pflichten, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, vor alles andere stellte, Freunde und Familie eingeschlossen. Insbesondere der Maler Max Ludwig Jansen (Tobias Moretti) war dem Dorfsheriff ein Dorn im Auge. Zwar waren die beiden Männer bereits von Kindheitstagen an befreundet, doch Jansen wurde nun von den Nazis als entarteter Künstler mit einem Berufsverbot versehen, welches dieser, wie es sich für einen wahren Künstler gehört, natürlich nicht einhalten konnte und wollte. Siggi (jetzt Levi Eisenblätter), zudem das Patenkind des Künstlers, nahm er dabei ins Vertrauen. Doch dessen Vater ahnte von den Aktivitäten Jansens und forderte von seinem Sohn, dass dieser den Maler ausspionieren solle.

Siggi war fortan hin- und hergerissen zwischen der Freundschaft zu Jansen, der ihm anbot, ihn im Malen zu unterrichten und der strengen Hand seines Vaters, dem er unbedingt gefallen wollte. Doch der Dorfpolizist kam hinter die Aktivitäten Jansens und beschlagnahmte die Werke seines Inselnachbarn. Nur wenige Werke konnte Siggi heimlich davonbringen und verstecken. Als eines Tages auch noch sein älterer Bruder Klaas (Louis Hofmann), ein desertierender Soldat, schwerverletzt auf der Insel auftauchte, drohte die Situation zu eskalieren. Dieser fand dank der Hilfe Siggis Unterschlupf beim Maler Jansen, der den blutenden Soldaten, zusammen mit seiner Frau (Sonja Richter) versorgte. Doch Jepsen ahnte von der Sache und ordnete eine Durchsuchung des Künstleranwesens an…

Gleich vorab, ich habe den Schmöker von Herrn Lenz, ebenso wie seine anderen Werke, niemals gelesen. Auch die erste Verfilmung, ein TV-Zweiteiler mit knapp vier Stunden Laufzeit aus dem Jahre 1971, ging an mir vorbei. Diese dürfte, schon aufgrund ihrer Minutenzahl, werkgetreuer vonstatten gehen, denn so mancher Kritiker warf dieser Neuverfilmung vor, sie würde Nebenfiguren und Handlungen einfach weglassen. Doch dahinter steckt Absicht, wie Regisseur Schwochow (Novemberkind) im Bonusmaterial bestätigt, denn er wollte, zusammen mit seiner Mutter Heide Schwochow, die das Drehbuch verfasste, sich auf den Kern der Geschichte konzentrieren und warf den Ballast einfach über Bord.

Gott sei Dank, kann ich nur bestätigen, denn auch so misst der Film eine stattliche Laufzeit von 125 Minuten, gerät dabei aber niemals langweilig. Erstaunlich, denn die Geschichte, die uns hier außerhalb der Rahmenhandlung in der Jugendanstalt präsentiert wird, besticht nicht gerade durch ihre temporeiche Erzählweise. Ich nenne es mal nordische Ruhe, was wir hier serviert bekommen. Und diese harmoniert wunderbar mit der wirklich hervorragend fotografierten Umgebung der Nordseeinsel (teilweise musste in Dänemark gedreht werden, da dank deutscher Bürokratie auf den Dünen nur wenige Drehgenehmigungen erteilt wurden). Ja, hier wussten Regie und Kamera (Frank Lamm), was man auf welche Art einfangen muss, um eine gelungene Atmosphäre zu verbreiten.

Hinzu kommt, dass die Darsteller durch die Bank weg hervorragend agieren. Das gilt sowohl für die Kinder- und Jugenddarsteller, als auch für die alten Hasen. Ulrich Noethen, der schon als Heinrich Himmer in Der Untergang Erfahrungen als ekelhafter Untermensch sammeln konnte, spielt den pflichtbewussten Kotzbrocken großartig hassenswert. Wenn er etwa auf einer Trauerfeier die Bürger zur Pflicht aufruft oder seine erzieherischen Strafen mit einer heißen Herdplatte durchzusetzen versucht, kann man nicht anders, man muss ihm einfach wünschen, der Blitz würde ihn…ihr wisst schon. Für mich war aber die größte Überraschung der ehemalige Hundepolizist Tobias Moretti, den ich zuletzt in Jud Süß – Film ohne Gewissen sah, wo ich ihn einfach furchtbar fand (korrigiere: Der ganze Film war ein Haufen Dreck). Hier jedoch zeigt er sich von seiner leisen und gefühlvollen Seite und weiß dabei vollends zu überzeugen. Ein schönes Beispiel, wie gut ein Film werden kann, wenn sowohl vor-, als auch hinter der Kamera Leute arbeiten, die mit Herzblut bei der Sache sind.

Bild- und Tonqualität der mit vorliegenden Blu-ray sind hervorragend. Wer es gerne in 4K hat, muss jedoch zum Stream greifen. Als Bonusmaterial befinden sich auf der Scheibe ein Making Of und diverse kleine Featurettes, sowie der Kinotrailer.

Insgesamt eine wirklich gelungene Deutschstunde, deren Titel doppeldeutig zu verstehen ist, denn nicht nur Siggi, sondern auch wir lernen hier etwas über die Vergangenheit und bekommen so eine, bzw. zwei Unterrichtsstunden, die durchaus empfehlenswert sind.

Trailer:

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