Der gute alte Horror-Episodenfilm hatte seine fruchtbarste Zeit in den 1960ern und erfreut sich einiger Beliebtheit. Ganz im Stile der Amicus oder Hammer-Filme brachte der Genre-Regisseur Freddie Francis seinen Old-School-Beitrag des soften Sixtees-Horrors 1973 auf den Mark und verpasste so den Wandel der Sehgewohnheiten des Kinopublikums, denn Episodenfilme waren out. Nichtsdestotrotz haben Episoden ihren Charme und spannend besetzt ist dieser Streifen allemal. Ein klassisches 1970er-Genre-Movie also, das sogar auf Sam Raimis THE EVIL DEAD (1981) einen kleinen Einfluss gehabt haben könnte. WICKED VISION brachte den Streifen nun als Mediabook heraus.
Originaltitel: Tales That Witness Madness
Regie: Freddie Francis
Darsteller: Donald Pleasence, Joan Collins, Kim Novak, Jack Hawkins, Russell Lewis
Artikel von Kai Kinnert
In der psychiatrischen Klinik von Doktor Tremayne verwischen die Grenzen zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit auf erschreckende Weise.Tremayne „weiß“ um die meist blutigen Geheimnisse seiner vier besonders zu beobachtenden Patienten und schildert deren Geschichten dem eben eingetroffenen Klinik-Inspekteur. Da ist das zähnefletschende Trauma eines kleinen Jungen: ein Tiger, der dessen ewig streitende Eltern schließlich zerfetzt und sehr reale Spuren seines blutigen Tuns hinterlässt. Und da ist der seltsame Tod von Onkel Albert, dessen Blicke aus dem vergilbten Rahmen Feuer, Tod und Zeit zu bestimmen scheinen. Oder die Geschichte von Brian: Er liebt einen morschen alten Baum voller Geheimnisse mehr als seine attraktive Frau. Und schließlich Kimo: Der Hawaiianer zelebriert in aller Öffentlichkeit ein menschliches Blutopfer.
Freddie Francis war nicht nur ein umtriebiger Genre-Regisseur, er war auch als Kameramann recht gut im Geschäft und so für eine Reihe von Kinofilmen verantwortlich, wie zum Beispiel Der Elefantenmensch (1980), Glory (1989), Kap der Angst (1991) oder The Straight Story (1999). Doch Francis nimmt seinen Job als Regisseur ernst und mischt sich in Geschichten, die zum Wahnsinn führen wenig in die Kameraarbeit seines Kollegen ein – schade eigentlich, aber auch nicht schlimm. Dafür inszenierte er einiges für den damaligen Rahmen überraschend gut und gönnt dem Zuschauer in der dritten Episode eine frische Joan Collins, die im Nachthemd in einen dichten, kargen Wald flüchtet und dabei von den Ästen begrapscht, verletzt und …äh…das Nachthemd vom Oberkörper gepeitscht bekommt, so dass das Bodydouble für eine Sekunde mit einem Kratzer barbusig zu sehen ist. Und das 1973. Dazu kommt noch der schnell drehende Zeiger einer Standuhr in einer anderen Episode, so das man in dieser Kombination unweigerlich an The Evil Dead denken muss, der nur acht Jahre später erschien und beides deutlich härter aufgriff. Sollte Sam Raimi damals im Kino gesessen haben?
In Sachen Kamera wagt der Film keine Besonderheiten und ist so meist im konventionellen Kinobild gehalten. Spannend ist allerdings, das die Schauspieler in den richtigen Momenten den Vordergrund der Kamera bespielen und so die Konvention zur Spannung wird. Überraschender Weise spritzt in dem Film auch Blut. Die 1970er lassen Grüßen, wenn in der ersten Episode der Bengel (mit Weichzeichner inszeniert) am elektrischen Kinderklavier sitzt und seine manische Melodie spielt. Sein filmischer Cousin aus Ben (1972) war da zwar ob der Komposition eines Michael Jackson-Songs ungleich talentierter, aber bei dem waren es auch nur lausige Ratten, während hier gerade im Off die Eltern des Jungen von einem Tiger gefressen werden und das Blut neben dem Jungen an die Wand spritzt. Lustige Tigerpranken-Effekte „zerfetzen“ ein Keule Rindfleisch vom Schlachter nebenan und unterstreichen so das Geschehen. Why not. Die erste Geschichte überrascht trotz ihrer Vorhersehbarkeit mit einem schrägen Ende und einer angenehmen Kürze. In der zweiten Story gab es den drehenden Uhrzeiger und einen lustigen Gummimaskeneffekt, wobei die Geschichte um Onkel Albert schwach beginnt und zum Ende hin besser wird. Die Inszenierung leistet sich dabei ein paar Feuereffekte, die, für einen 1973 im Studio gedrehten Stunt, nicht so schlecht sind.
In der dritten Episode fällt Joan Collins im Nachthemd den Bäumen zum Opfer, denn ihr Ehemann hat ein merkwürdiges Verhältnis zu einem Baumstumpf als Kunstobjekt. In der vierten Episode macht Kim Novak eine gute Figur und auch die Inszenierung von Freddie Francis findet hier zu einem geschlossenen Stil. Der Mord in der Dusche ist mit wenigen Bildern für die damalige Zeit gut inszeniert und Kameramann Norman Warwick findet im Badezimmer die richtigen Einstellungen.
Insgesamt hat Tales That Witness Madness mehr Spaß gebracht, als angenommen. Donald Pleasence Rolle war als Klammer für die Stories wahrscheinlich schnell abgedreht, ist mit ihm jedoch passend besetzt und die Episoden kommen ob ihrer Laufzeit nie ernsthaft in Bedrängnis. Die Effekte sind dem Genre angemessen und aus heutiger Sicht gänzlich harmlos, überraschen dann aber doch, da Freddie Francis sein Genre-Movie im Griff hat. Fans des Genres bekommen hier einen recht straff angelegten Film mit launigen Momenten und einer gut aufgelegten Kim Novak. Allen anderen Filmsammlern sei gesagt, das hier der zukünftige Kameramann von David Lynch den zukünftigen Denver Clan-Star Joan Collins im Nachthemd und im Weichzeichner durch den Wald jagt und dabei verteufelt an The Evil Dead erinnert. Durchaus unterhaltend also.
Das Bild der Blu-ray ist gut und sauber, der Ton ebenso. Als Extras gibt es ein 24-seitiges Booklet mit einem Text von Dr. Rolf Giessen und Christoph N. Kellerbach, einen Audiokommentar mit Filmhistoriker Dr. Rolf Giessen, die Featurette „Can I Play with Madness?“, Erinnerungen an die Dreharbeiten mit Darsteller Leon und David Wood, die Featurette „What about Mel?“, der deutsche VHS-Vorspann, der Originaltrailer und eine Bildergalerie.
Trailer: