Kai E. Bogatzki hat sich vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Independent-Horrorregisseur Marcel Walz einen Namen gemacht. So war er bei Filmen, wie „Blood Feast“, „Seed 2“ oder „Le Petite Mort 2“ als Editor tätig. Als Kai E. Bogatzki im Jahre 2016 seinen erstes Spielfilmprojekt in Angriff nahm, welches er gemeinsam mit Hauptdarsteller Marc Engel und Sascha Goldbach (ausführender Produzent) finanzierte, stellte sich schnell heraus, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichten und so stand das Filmprojekt beinahe vor dem Aus. Quasi kurz vor knapp konnte man den Film mithilfe einer Kickstarter-Kampagne doch noch realisieren und ungefähr ein Jahr später erntete „Scars Of Xavier“ einige Auszeichnungen auf kleineren US-Festivals. Der Prophet gilt nichts im eigenen Land, wie es so schön heißt. Erst 2020 wurde der Film endlich auch in Deutschland veröffentlicht und bekam von WICKED VISION beim Unterlabel RAWSIDE ENTERTAINMENT eine sehr schöne Veröffentlichung spendiert.
Regie: Kai E. Bogartzki
Darsteller: Marc Engel, Alexia von Wismar, Isabelle Aring, Thomas Binder, Isabel Gründer
Artikel von Holger Braasch
Scars Of Xavier beginnt mit einem Zitat von Jeffrey Dahmer, das schon darauf hindeutet, dass wir es mit einem Zeitgenossen zu tun haben, dem Emotionen und Unrechtsbewusstsein weitgehend fremd sind. Xavier (Marc Engel) ist um die 40 und gerade von Italien nach Prag gezogen. Dafür hatte er einen gutem Grund, denn ihm rückte ein Sonderkommando der Polizei dicht auf die Pelle, nachdem er einige Frauen ermordet hat. Ansonsten verläuft sein Leben wenig aufregend. Eher schlecht als recht schlägt er sich mit einem öden Job als Autowäscher durchs Leben. Nachts zieht Xavier durch die Clubs und hält Ausschau nach attraktiven jungen Frauen. Natürlich nicht, um sie aufzureißen, sondern um sie aufzuschlitzen. Als er die Kellnerin Karolina (Alexia von Wismar) kennen lernt, ist es jedoch anders. Er fühlt sich zu der Frau hingezogen, da sie ihm verständnisvoll und sanft begegnet. Als Xavier heimlich beobachtet, wie ein Typ versucht Karolina in einer Seitenstraße zu vergewaltigen, fackelt er nicht lange und bricht dem Typen das Genick. Er trifft sich wiederholt mit Karolina, die nicht ahnt, was Xavier nachts sonst noch so treibt – noch nicht.
Serienkiller übten schon lange eine Faszination auf Kai E. Bogatzki aus, der nicht nur ein Kenner für Filme mit dieser Thematik ist, sondern sich auch mit echten Fällen beschäftigt hat. Diese Faszination kann er sich selbst nicht erklären, dennoch ging es ihm in seinem Langfilmdebüt keineswegs darum, seine Hauptfigur zu glorifizieren. Bisweilen erinnert er ein wenig an Jörg Buttgereits Schramm, der das banale Leben eines Serienkillers zeigt, welches wenig aufregend ist, sondern ziemlich monoton und trostlos. Allerdings kommt bei Schramm noch die raue 16mm-Optik dazu, die Buttgereits Film einen charmant-schmuddeligen Bahnhofskino-Charakter verleiht, der den sterilen HD-Bildern von Scars Of Xavier völlig abgeht. Und wo Triebmörder Frank in den beiden Maniac-Filmen (1980 / 2012) durchaus noch sympathische Züge hat, kann Xavier nicht gerade Sympathiepunkte sammeln, auch wenn er beginnt, für die Kellnerin Karolina so etwas wie Zuneigung zu entwickeln. So leidet Xavier zwar durchaus unter seinem Wahn, doch wird dieser Konflikt leider kaum herausgearbeitet. Gelegentlich finden sich leichte Anflüge von (tiefschwarzem) Humor, z. B. wenn Xaviers Arbeitskollege Petr sich über eine Kundin ärgert und zu Xavier sagt: „Wenn ich könnte, würde ich diese Fotze töten!“ und dieser daraufhin antwortet: „Ich kenne dieses Gefühl.“ Ein schwarzhumoriger Moment, wie er glatt aus John Mc Naughtons Henry – Portrait Of A Serial Killer (1986) stammen könnte. Und wenn sich Xavier für den Tag frisch macht, kommt einem unweigerlich die Titelsequenz von Dexter in den Sinn. Kai E. Bogatzki outet sich im Interview übrigens als Fan der Serie.
Scars Of Xavier peilt mitunter die Stimmung von Maniac (sowohl des Originals von 1980, als auch des Remakes von 2012) an. Zwischendurch gibt es immer wieder Flashbacks aus Xaviers Kindheit, welche den Zuschauer die Erinnerungen an seine Mutter aus der Ego-Perspektive erleben lassen – inklusive Wimpernschläge. Ein Stilmittel, das auch im Remake von Maniac zum Einsatz kam und zuvor recht effektiv von Gaspar Noé eingesetzt wurde, in Enter The Void (2009). Dass Xavier unter seiner herrischen Mutter gelitten hat ist nun nicht gerade überraschend und wird auch nicht weiter vertieft. So konzentriert sich der Film ganz auf den tristen Alltag, den Xavier eher unmotiviert über die Runden bringt. Erst bei seinen Mordtouren lebt er so richtig auf. Wir werden Zeuge, wenn Xavier sein Opfer durch eine voll belegte Disco verfolgt und schließlich mitten auf der Tanzfläche tötet. Da alle in Ekstase sind, nimmt keiner von dem Verbrechen Notiz. Höhepunkt ist eine Mordszene, bei der Xavier einer Frau die Kehle durchschneidet und das Blut nur so sprudelt. Interessant ist, wie diese Szene technisch umgesetzt wurde: Sie beginnt mit einer „Kamerafahrt“ direkt in ein Foto, welches das Gesicht der bereits Ermordeten zeigt. Danach erleben wir den Todeskampf der Frau rückwärts(!) in Super-Zeitlupe und anschließend noch mal in normaler Geschwindigkeit. Ein stilistisch netter Einfall, der aber auch recht selbstzweckhaft wirkt. Und er verpufft schnell, da dem Zuschauer ein Bezug zu den Figuren verwährt bleibt. Und das ist meiner Meinung nach das Problem des Films.
Der Film ist in tristen Farben gehalten und es wirkt fast so, als hätte man auf künstliche Beleuchtung weitgehend verzichtet. Bogatzki ging es offensichtlich darum, eine möglichst trostlose und „realistische“ Optik zu erhalten und entsprechend nüchtern ist dann auch die Inszenierung. Dadurch wird der Film aber auch schnell zäh und langatmig, zumal sich Xavier hauptsächlich durch seinen meist grimmigen Gesichtsausdruck und durch die eiskalte Mordlust definiert, die er bei seinen Taten an den Tag legt. Keine Frage – Scars Of Xavier ist von der Machart her böse, intensiv und düster, aber berührt oder geschockt hat er mich nicht. Dazu ist die Inszenierung zu unbeteiligt und kühl. Ähnlich, wie in Maniac stellt sich schließlich die Frage, ob Xavier seine Mordlust überwinden kann und fähig ist, eine halbwegs normale Beziehung mit einer Frau zu führen. Die Antwort ist, wie auch bei Maniac, wenig überraschend, doch im Gegensatz zu diesem hat sich mein Interesse an dem ganzen Geschehen bei Scars Of Xavier schon irgendwann im Mittelteil verabschiedet. Wenn Xavier dann am Ende von den Dämonen in seinem Kopf buchstäblich heimgesucht wird, ist das zwar visuell recht flashig umgesetzt, aber auch hier stellt sich kein bleibender Eindruck ein.
Scars Of Xavier setzt keine neuen Akzente und hebt sich auch nicht besonders von ähnlich gelagerten Serienkiller-Filmen ab. Zweifellos ist er aber ein Film, der polarisiert und bei dem die Meinungen stark auseinander gehen dürften. Und er zeigt, dass es auch hierzulande immer noch eine richtige Underground-Filmszene gibt, die der konventionellen Filmhochschul-Elite allemal die Stirn bieten kann und den „deutschen Film“ (was auch immer man darunter verstehen mag) immens bereichert. Der „deutsche Film“ braucht seine „düsteren Begleiter“ (frei nach Dexter), denn sie sorgen für kulturelle Vielfalt in der hiesigen Filmlandschaft und halten das Gleichgewicht aufrecht. Abseits von deutschen Filmpreisen und Filmförderung gibt es einiges zu entdecken!
Das Mediabook, das im Vertrieb von Wicked Vision / Rawside Entertainment erschienen ist, lässt dagegen keine Wünsche offen und bietet neben der ungeschnittenen HD-Version noch eine Menge Extras. Dazu gehören Interviews mit Kai Bogatzki, Marc Engel, Robert Prus, Robert Gondorf, Klaus Pfreundner und Sascha Goldbach (alle in deutscher Sprache), Audiokommentar von Kai Bogatzki, Marc Engel und Sascha Goldbach (sowohl in Deutsch als auch in Englisch anwählbar), Making Of, Deleted Scenes (in englischer Sprache), Making Of Synchro, Slideshow, Teaser & Trailer, Kurzfilm „Threshold“ (in englischer Sprache) und ein 24-seitiges Booklet mit Text von Mike Blankenburg.