Welcher Filmfan kennt nicht die Sammelleidenschaft? Die Suche nach gefragten Titeln in limitierten Auflagen bei der Geld meistens keine Rolle spielt. Es geht um die Liebe zum Produkt. Der schwedische Regisseur Kristian A. Söderström liefert mit dem Independent-Streifen VIDEOMAN – VHS IS DEAD (2018) die passende Hommage zur Obsession für das Medium. Ein waschechter Nostalgie-Trip, der über Tiberius Film im Heimkino erscheint. Ob der Film auch mehr bietet, als Zitate und popkulturelle Verweise, erfahrt ihr in unserer Kritik!
Originaltitel: Videomannen
Drehbuch & Regie: Kristian A. Söderström
Darsteller: Stefan Sauk, Lena Nilsson, Morgan Alling, Amanda Ooms, Martin Wallström, Anna Wallander…
Artikel von Christopher Feldmann
In einem Alter von ungefähr 18 Jahren habe ich angefangen Filme zu sammeln. Dabei standen nicht nur Klassiker der Filmgeschichte auf meiner Wunschliste, sondern auch Vertreter des abseitigen Kinos. Horrorfilme der 1970er und 1980er Jahre, Exploitationfilme, Italo-Kult, Hongkong-Action oder rare Thriller aus einer Zeit, in der so ziemlich alles möglich und das Filmbusiness noch nicht so konditioniert auf Mainstream gepolt war wie es heute der Fall ist. Oft streifte ich durch einen nahen Laden, der Second-Hand-DVDs, Mediabooks und Hartboxen führt, um meine Gier nach immer neuen Perlen zu stillen und sie mir dann euphorisch ins Regal zu stellen. Jeder Filmnerd und Sammler kommt aber in seiner Laufbahn wahrscheinlich irgendwann an diesen einen Punkt, bei dem man sich die besondere Frage stellt: „Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?“. Unsummen an Geld für B-Movies ausgeben, die man teilweise nicht einmal wirklich gut findet, nur um sich toll zu fühlen, dass man sie besitzt. Während bei manchen Menschen (so wie bei mir) ein Umdenken stattfindet, bleiben manche auch in diesem Zyklus hängen, in dem das Hobby überhand nimmt. VIDEOMAN – VHS IS DEAD (2018) porträtiert dieses Verhaltensmuster erstaunlich gut und treibt es zugleich in das Extreme. Und auch wenn der Film am Ende einen eher halbgaren Eindruck hinterlässt, für Liebhaber und Retro-Fetischisten ist diese Veröffentlichung aus dem Hause Tiberius Film die Interessanteste seit langem.
Handlung:
Ennio Midena (Stefan Sauk) ist leidenschaftlicher Filmliebhaber und VHS-Sammler mit einer ausgeprägten Vorliebe für das italienische Genre-Kino. Einst führte der kundige Verleiher eine der beliebtesten Videotheken in ganz Schweden, mit dem Sterben des Mediums begann aber auch sein sozialer und finanzieller Abstieg. Heute sitzt ihm die Vollzugsbehörde im Nacken und soziale Kontakte beschränken sich auf das Ansehen alter Schmuddel-Streifen, während der maßlose Konsum von Alkohol langsam aber sicher den Rest erledigt. Seine Perspektive ändert sich schlagartig, als er durch die einsame Alkoholikerin Simone (Lena Nilsson) an eine seltene VHS-Auflage von Lucio Fulcis ZOMBI 2 (1979) gelangt, die ihm ein Unbekannter prompt für schlappe 10.000 Euro abkaufen möchte. Ein Glücksfall vor dem Herrn, jedoch verschwindet das Tape wenige Tage vor der Übergabe spurlos und Ennio bleibt nicht viel Zeit, es wiederzufinden.
Wie bereits erwähnt, findet bei manchen Menschen ein Umdenken statt. Man reduziert, verkauft und konzentriert sich wirklich nur noch auf die Titel, die man besitzen möchte (und die man sich im besten Fall auch ansieht). Ennio Medina allerdings gehört zum anderen Extrem. Als abgehalfteter Videothekar hat er nie die Kurve gekriegt und ist fast schon ein Relikt, das DVDs, Blu-Rays und das Streaming-Geschäft ablehnt. Für ihn ist die Kassette das einzig wahre Medium, dass er fein säuberlich hütet und pflegt. Regisseur und Autor Söderström spricht mit der Figur wahrscheinlich einigen Zuschauern aus der Seele, die sich in den Verhaltensweisen des bankrotten Alkoholikers wiederfinden. So weist er eine Frau zurecht, die das geborgte Tape durch den Regen trägt, da sich durch das Wasser das Cover verzieht und die Farben ausbleichen. Auch ein anderer Privatkunde muss erst seinen Rekorder reinigen, da die Gefahr von Bandsalat besteht.
Bei VIDEOMAN kommen viele Liebhaber auf ihre Kosten und können sich an den zahlreichen Referenzen ergötzen, die Söderström liebevoll in seinen günstig produzierten Thriller eingebaut hat. Immer dann, wenn Ennio über das italienische Genre-Kino referiert, Lucio Fulci als besseren Regisseur gegenüber Dario Argento anpreist, mit einem korpulenten Nerd darüber streitet, dass Anita Strindberg wesentlich sehenswerter als Rosalba Neri ist, die ja ohnehin in Hardcore-Szenen gedoubelt wurde, entsteht ein breites Grinsen beim kundigen Zuschauer. Der Film atmet den Geist einer ganzen Subkultur, die wir nur zu gut kennen. Das Reden über Filme und ihren Wert, das Hegen und Pflegen der eigenen Sammlung und der wehmütige Blick zurück in eine Zeit, in der Videotheken der Place to be waren.
Allerdings verfolgt Söderström mehr die Geschichte zweier Außenseiter, die sich über Umwege langsam annähern. Neben Ennio lernen wir Simone kennen, eine Büroangestellte in den Vierzigern, mit einem Faible für den Stil und die Musik der 1980er Jahre, sozial isoliert und dem harten Alkohol sehr zugeneigt. Auch sie ist eine Art Relikt, eine einsame Seele, die irgendwo auf der Strecke geblieben ist und deren Fotos nicht mal einen einzigen Like auf Instagram bekommen. Die Geschichte führt die beiden Charaktere zusammen, lässt eine Romanze aufkeimen, können beide den jeweils anderen doch zu gut verstehen. Der Film kann sich aber nicht so ganz entscheiden, was er letztendlich sein möchte. Eine düstere Romanze, ein Thriller oder doch reiner Fan-Porn? Das wird im Verlauf der schlanken 85 Minuten nie so wirklich klar, vor allem weil der Plot immer wieder springt. Mal beschäftigen wir uns mit der Suche nach dem verschwundenen Tape, bei der immer weiter Mystery und auch surreale Momente Einzug halten und mal begutachten wir Simones verkorkstes Leben. So stolpert die Handlung immer wieder vor sich hin, ohne dass VIDEOMAN wirklich etwas zu erzählen hat. Die Dramaturgie wirkt zerfasert und wirklich Tempo kann der Streifen nie generieren.
Optisch gelingt Kristian A. Söderström allerdings ein atmosphärisches Konzept, dass wunderbar mit dem Grundton harmoniert. Kalte Farben, eine körnige Optik und der wabbelige Synth-Score wecken Erinnerungen an die 1980er Jahre. Damit biedert sich VIDEOMAN offensichtlich an den aktuell noch anhaltenden Retro-Hype an, ist aber mehr Retro, als des die meisten Kollegen behaupten zu sein. Man spürt durchaus, dass der Verantwortlich hier weiß wovon er redet. So kann man sich als Fan an manchen Stellen ergötzen, was aber den schleppenden Plot nicht so richtig wett machen kann. Die doppelte Erzählung bremst den Flow immer wieder aus und für die Charaktermomente sind manche Schauspieler einfach nicht gut genug. Lediglich Hauptdarsteller Stefan Sauk macht einen hervorragenden Job. Gen Ende versucht sich VIDEOMAN noch an ein paar Giallo-Anleihen. Allerdings ist da etwas mehr nötig, als düstere Settings und ein aufblitzendes Rasiermesser. Letztendlich wirkt der Film zunehmend überfrachtet und unfokussiert. Schade eigentlich!
Die Blu-Ray und die DVD erscheinen über Tiberius Film. Da uns lediglich ein Screener zur Verfügung stand, können wir keine Aussage bezüglich Bonusmaterial und der finalen Bild- und Tonqualität treffen.
Fazit:
VIDEOMAN – VHS IS DEAD (2018) ist für Liebhaber gedacht. Ein rauschender, optisch atmosphärischer Retro-Trip für alle Nerds mit Sammelfetisch. Abseits dessen ist der schwedische Film leider zu sprunghaft, holprig erzählt und überfrachtet, so dass der rote Faden schwer zu greifen ist. Einen Blick kann man dennoch riskieren.
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