Was noch vor ein paar Jahren unmöglich erschien, ist nun Realität geworden. William Lustigs MANIAC, die Mutter aller verbotenen Filme und der erste Film überhaupt, der in der mehrere Jahrzehnte andauernden Aktion „Sauberer Filmmarkt Deutschland“ beschlagnahmt wurde, steht ab sofort in jedem gut sortierten Blu-ray- und DVD-Regal im heimischen Lebensmittelmarkt. Umso erstaunlicher, da Joe Spinells Killertour auch heute nichts von seiner rauhen, dreckigen Schale und der durchgehend unangenehm bedrohlichen Atmosphäre eingebüßt hat. Es ist mir ein Fest, in den Horrormonat Oktober mit dieser liebevollen, mit zahlreichen brandneuen Bonusmaterialien und einem neuen Bildmaster versehenen Scheibe aus dem Hause SONY PICTURES ENTERTAINMENT, die auch schon die Teufel wieder in Freiheit tanzen ließen, einzusteigen.
Regie: William Lustig
Darsteller: Joe Spinell, Caroline Munro, Abigail Clayton, Gail Lawrence, Rita Montone, Tom Savini, Tracie Evans
Artikel von Christian Jürs
New York 1980. Vierzehn jahre, bevor Bürgermeister Rudy Giuliani die Reißleine zog und endlich mit einem neuen Polizeichef für Ordnung in der Stadt sorgte, erleben wir die Millionenmetropole als ranziges Drecksloch voller Schmutz und Gewalt. In dieser Welt lebt der unauffällige Frank Zito (Joe Spinell), der einem seltsamen Hobby nachgeht: Er sammelt weibliche Skalps, mit denen er seine Schaufensterpuppensammlung, die überall in seiner Wohnung verteilt ist, dekoriert. Hierzu geht er nachts auf die Jagd, bei der er Frauen auf grausame Art und Weise mit Messer, Skalpell und Schusswaffe erlegt. Sollten die Damen in Begleitung sein, dürfen die Herren ebenfalls dran glauben. Gleichberechtigung musste schon damals sein.
Und so begleiten wir Frank bei seinen nächtlichen Tätigkeiten, etwa, wenn er eine Prostituierte aufsucht, deren Kopfhaut sich später selbstverständlich in seiner Sammlung wiederfindet. Wir erfahren, auf intensive Art und Weise, von Franks Schizophrenie und dass er ein äußerst gespaltenes Verhältnis zu seiner verstorbenen Mutter pflegte. Die war ein brutales Freudenmädchen, welche ihre Aggressionen an ihrem Sohn auslebte. Das hat tiefe Wunden hinterlassen und so führt er in seinem Kopf immer noch Zwiegespräche mit ihr. Eine schonungs- und hoffnungslose Charakterstudie. Eines Tages bemerkt Frank eine junge Dame im Park, die Fotos schießt. Er folgt ihr und findet heraus, dass es sich um die Künstlerin Anne D’Antoni (Caroline Munro) handelt. Er lauert ihr auf und so treffen beide scheinbar zufällig aufeinander. Frank gibt sich dabei ebenfalls als Künstler aus, da er Anne unbedingt gefallen möchte. Natürlich ist diese romantische Ader ein Trugschluss, denn der Serienmörder kann nicht aus seiner Haut. Und so stiehlt er heimlich den Schmuck von Fotomodell Rita (Gail Lawrence), die gerade ein Shooting bei Anne hat. Nicht aus Nächstenliebe, sondern aus purer Mordlust, sucht er das Mädchen zuhause auf. Unter dem Vorwand, ihr den „gefundenen“ Schmuck zurück zu bringen, holt er sich als Finderlohn im Gegenzug einen neuen Skalp ab. Es steht fest: Frank ist und bleibt immer ein Psychopath. Sein Hass auf Frauen sitzt zu tief und dieser entlädt sich vollends, als er eines Abends zusammen mit Anne das Grab seiner toten Mutter aufsucht…
Vor ein paar Jahren begann die Welle der De-Indizierungen und auch der schrittweisen Aufhebungen der Beschlagnahmungen in Deutschland. Doch auch wenn der Belzebub mittlerweile wieder frei tanzen- (die Tanz der Teufel Rehabilitierung geht ebenfalls auf das Konto von Sony Pictures Entertainment) und das Ledergesicht endlich sein Blutgericht in Texas servieren darf, ich hätte jede Wette dagegen gehalten, dass William Lustigs dreckige und unglaublich harte Psychostudie Maniac auf keinen Fall sobald den ungekürzten Weg in die heimischen Supermärkte finden würde. Zu dreckig, hart und unangenehm wirkt der Film auch heute noch. Sony Pictures Entertainment haben jedoch das unmöglich scheinende in die Tat umgesetzt und diesen fiesen, kleinen Klassiker wieder in die Freiheit katapultiert, ungekürzt versteht sich (auch die alte, verbotene Fassung war leicht geschnitten). Ein feiner Schachzug, hat der Film, den ich damals mit roundabout 15 Jahren erstmals als schrammeliges VHS-Band in den Händen hielt, doch bis heute nichts von seiner Intensität verloren. Nein, Maniac ist düster, eklig und vor allem von Joe Spinell unglaublich gut gespielt. Wenn der Mann nach dem Mord an einer Prostituierten minutenland wimmernd am Bettrand kauert, spürt man als Zuschauer förmlich den kaputten Charakter des Frank Zito. Ich hab damals beinahe eingenässt vor Angst.
Diese Erfahrung können jetzt auch die machen, die damals nicht in den Genuss kamen, eine seltene Kopie in ranziger Bild- und Tonqualität zu sichten. In Punkto Qualität hat sich auch so einiges getan. Mir lag zur Rezension die „einfache“ Blu-ray Doppeldisc vor, die bereits sehr liebevoll restauriert (verwendet wurde ein neues 4K-Master) und ausgestattet wurde. Das Bild vom neuen Bildmaster lässt nun wesentlich mehr Details erkennen. Leider natürlich auch den legendären Filmfehler der U-Bahnszene. Die darin verfolgte Krankenschwester steht plötzlich nicht mehr mutterseelenallein am Bahnsteig, denn aus dem Nichts tauchen plötzlich ein halbes Dutzend Menschen auf. Eine Einstellung, von der man sich die wohl unheimlichste Szene des Filmes aber nicht verderben lassen sollte. Herzklopfen pur. Als Wiedergutmachung für diesen Fauxpas gibt es jetzt einen gestochen scharfen Blick auf die brillianten Spezialeffekte von Tom Savini. Filmkorn ist dabei noch reichlich vorhanden und das ist auch gut so, denn glattgeleckt darf Maniac von 1980 auf gar keinen Fall aussehen. Die Tonqualität kann sich ebenfalls hören lassen. Der deutsche Ton liegt zwar nur in 2.0 Stereo vor und hat aufgrund seiner Geschichte auch etwas gelitten, ist aber trotzdem als gut zu bezeichnen. Wer den Film im Original schaut, kann auf einen glasklaren 2.0 Stereoton und einen neuen 7.1 Upmix zugreifen.
Das Bonusmaterial ist extrem umfangreich ausgefallen. Bereits auf der Hauptscheibe befinden sich zwei Audiokommentare (beide u.a. mit Regisseur William Lustig), reihenweise Teaser und Trailer, sowie zwei brandneue Featurettes, die vom Fanzine Neon Zombie erstellt wurden (A Maniac meets the Retromaniacs – 58 Minuten & The Making of a living pulp Movie – 45 Minuten). Auf der Bonusscheibe befinden sich haufenweise Specials zum Dreh, zur Promotion und zur Kontroverse, die Maniac bei so manchem Kritiker damals ausgelöst hat, aufgrund seiner Gewalt gegen Frauen. Dies ist alles höchst spannend anzusehen. Wer zu einer der Limited Editions greift, kann sich zudem noch entscheiden zwischen Directors Cut und Kinofassung. Einfach toll.
Wer sich schnell ängstigt und kein Blut sehen kann, sollte Maniac weitestgehend räumlich umfahren. Horrorfans werden aber beherzt zugreifen und können diesen zeitlosen Klassiker endlich in ungekürzter, deutscher Fassung ins heimische Regal stellen. Mal schauen wann das ebenfalls gelungene Remake mit Elijah Wood aus dem Jahr 2012 wieder im Verkaufsregal landet. Hier wurde das Verbot nämlich ebenfalls aufgeboben. Ein gutes Zeichen für die Zukunft.
Trailer: