Im Kino ein katastrophaler Flop, von Kritikern in der Luft zerrissen und mit sieben „Goldenen Himbeeren“ geschmäht, haftete SHOWGIRLS (1995) lange Zeit der Stempel an, einer der schlechtesten Filme aller Zeiten zu sein. In den letzten 25 Jahren hat sich Paul Verhoevens beißende und provokative Milieu-Studie zumindest in bestimmten Kreisen rehabilitiert und wird nicht mehr länger NUR als fehlgeleitete Titten-Revue bezeichnet. Pünktlich zum Jubiläum, hat sich Capelight Pictures dem Film angenommen und ihn in als restaurierte Fassung im schicken Mediabook veröffentlicht. Ob sich hinter SHOWGIRLS nun wirklich voyeuristisch misogyner Schrott oder gar ein verkanntes Meisterwerk verbirgt, klären wir in unserer ausführlichen Kritik!
Originaltitel: Showgirls
Drehbuch: Joe Eszterhas
Regie: Paul Verhoeven
Darsteller: Elizabeth Berkley, Gina Gershon, Kyle MacLachlan, Glenn Plummer, Robert Davi, Gina Ravara…
Artikel von Christopher Feldmann
Der niederländische Regisseur und Drehbuchautor Paul Verhoeven gilt gemeinhin als Visionär aber auch als Provokateur. Bereits in seiner Frühphase als Filmemacher eckte der studierte Mathematiker und Physiker in seiner Heimat an, zumeist für seine offenherzigen Darstellungen von Sex und Gewalt. Seine ersten beiden Spielfilme BUSINESS IS BUSINESS (1971) und TÜRKISCHE FRÜCHTE (1973) waren recht freizügig und sorgten für viele kritische Berichterstattungen, nicht immer zu Gunsten Verhoevens, so dass er schließlich im Jahr 1985 den Schritt über den großen Teich wagte, um in Hollywood zu arbeiten und seine Kreativität auszuleben. Nach dem finanziellen Flop FLESH AND BLOOD (1985), feierte er jedoch mit dem gesellschaftskritischen Science-Fiction-Actionfilm ROBOCOP (1987) einen künstlerischen wie auch finanziellen Erfolg, der ihn in der Traumfabrik schnell aufsteigen ließ. Mit TOTAL RECALL (1990) baute er diesen aus, bevor er mit dem Erotikthriller BASIC INSTINCT (1992) für weltweite Furore sorgte. Der, für die damaligen US-amerikanischen Verhältnisse, äußerst freizügige und provokative Film, der mit Sharon Stones legendärem Beinüberschlag eine Szene zu bieten hatte, die dafür sorgte, dass zahlreiche Stopptasten auf Fernbedienungen dauerhaft abgenutzt waren, wirbelte Staub auf und löste zahlreiche Proteste aus, die zum Boykott des Skandalfilms aufriefen. Auch sein nächster Film versprach Zündstoff, denn die von vielen Konservativen als unheilige Allianz angesehene Zusammenarbeit von Verhoeven und Drehbuchautor Joe Eszterhas wiederholte sich. SHOWGIRLS (1995) sollte schonungslos mit dem „amerikanischen Traum“ abrechnen und die Abgründe des Showbusiness aufzeigen, geriet aber zum kommerziellen und künstlerischen Fiasko und sorgte für einen gewaltigen Knick in Verhoevens Karriere, von der er sich nie wieder ganz erholen konnte. Für viele gilt SHOWGIRLS als erbärmlich schlecht, dabei versteckt sich hinter dieser Fassade weitaus mehr als nur nackte Tatsachen!
Handlung:
Nomi Malone (Elizabeth Berkley) will als Tänzerin Karriere machen und versucht als mittellose Tramperin ihr Glück in der Glückspielmetropole Las Vegas. Dort bewundert sie die pompösen Shows in den Hotels und Casinos und erhascht durch ihre neue Freundin Molly (Gina Ravera) einen Blick hinter die Kulissen der Tanzrevue „Goddess“, in der die Profitänzerin Cristal Connors (Gina Gershon) der Star ist. Doch die Realität sieht anders aus und Nomi fängt in dem Stripclub „Cheehtah’s“ an, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Mit einem intensiven Lapdance erregt sie die Aufmerksamkeit von Cristal und ihrem Liebhaber, dem Entertainment-Regisseur Zack (Kyle MacLachlan). Schnell öffnen sich die Türen für die talentierte Newcomerin, doch sie muss schnell lernen, dass in Vegas nur die Fassade aus Glitzer und Glamour besteht und es dahinter weitaus dreckiger und brutaler zugeht.
SHOWGIRLS war zur Zeit der Kinoauswertung eine sogenannte „Box-Office-Bomb“ und entwickelte sich zum waschechten Flop, spülte MGM allerdings durch die Auswertung auf VHS und später auf DVD noch genug Geld in die Kassen, um mittlerweile als finanzieller Erfolg zu gelten, was durchaus dem verruchten Ruf dieses Films geschuldet ist, der über die Jahre unter Fans von Trashfilmen einen gewissen Kult-Status erlangt hat. Heute sind sich viele Kritiker als auch Cineasten einig, dass Verhoevens sexuell aufgeladenes Portrait des Showgeschäfts weit weniger schlecht ist, als es damals propagiert wurde. Viele sprechen von einem verkannten Meisterwerk, manche von einem fehlgeleiteten Kuriosum des schlechten Geschmacks. Nun, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
SHOWGIRLS erzählt die altbekannte Geschichte von „American Dream“, vom naiven Unschuldslamm vom Lande, dass weit weg von der Heimeligkeit das große Glück und den Erfolg sucht. Solche Erzählungen gehören fest zum Kino und projizieren oftmals die Träume und Sehnsüchte des Publikums, geben ihm Hoffnung und vermitteln die abgedroschene „Du kannst alles schaffen, wenn du nur fest daran glaubst“-Botschaft. Verhoeven räumt mit diesem naiven Weltbild allerdings gehörig auf demontiert schonungslos den Traum vom ganzen großen Glück. In seinem Kosmos, ist der Glanz und der Glamour nur eine Fassade, ein Trugschluss für geifernde Zuschauer, die sich am Blendwerk ergötzen, denn letztendlich ist es nur eine Projektion für das Volk, dem schöne Körper, Reichtum und ein Leben ohne Sorgen verkauft wird. Das Treiben hinter der Fassade eröffnet somit einen gänzlich neuen Blickwinkel und zeigt, dass Erfolg seinen Preis hat und dies oftmals weit weniger erstrebenswert ist als man denkt. Dazu passt auch die Glückspielmetropole Las Vegas wie die Faust aufs Auge, denn auch dort werden Träume verkauft, zum Leidwesen derer, die dafür hart arbeiten müssen.
So geht auch Nomi Malone den schweren Weg des Underdogs und verdient sich ihre Sporen mit der Zurschaustellung ihres Körpers in einem Stripschuppen, in dem sie sich hier Gehalt aufbessert, indem sie Gästen nochmal über den Schoß rutscht. Ihr Traum ist es, in einer hochdekorierten Tanzrevue eines Nobel-Hotels aufzutreten. Dabei erschließt sich dem Zuschauer schnell, was später auch offen ausgesprochen wird. Die Arbeitsweisen unterscheiden beider Welten unterscheiden sich nicht wirklich von einander, im funkelnden Stardust-Hotel wird es nur effektiver kaschiert. Der Film nimmt uns mit hinter die Kulissen und zeigt uns Missgunst, Intrigen, Ausbeutung und sexuelle Gewalt, das Leben als vermeintliches Starlet ist nicht mehr als ein temporärer Lauf, bist du irgendwann zu alt, zu dick oder nicht mehr ganz so agil, wirst du rigoros aussortiert. Welcome to Las Vegas, Baby!
Warum der Film damals vermutlich nicht verstanden wurde, ist die Tatsache, dass die vorhandene Doppelbödigkeit, das Vorhalten des Spiegels, einfach nicht verstanden wurde und Verhoeven mit seiner satirischen Überzeichnung vermutlich viele Zuschauer als auch Kritiker vergrätzt hat, denn SHOWGIRLS geht wirklich in die Vollen und haut dem Publikum das grelle Antlitz der Stadt, die niemals schläft mit Anlauf um die Ohren. Auch in Sachen Sex lässt sich der niederländische Provokateur nicht lumpen und präsentiert Brüste und nackte Frauenkörper en Masse, inklusive einer wirklich unangenehmen und harten Vergewaltigungsszene und einem erinnerungswürdigen Lapdance. Verhoeven macht den Zuschauer zum Voyeur, denn bei all der Kritik am amerikanischen Traum und der sexuellen Ausbeutung von Frauen, geilt er diesen noch zusätzlich auf, so dass man sich schon selbst ein wenig schäbig vorkommt. Das ist eben der große Reiz, den der Film ausstrahlt.
Viele kritisieren oft das Drehbuch von Joe Eszterhas, der anno 1995 einer der bestbezahltesten Drehbuchautoren Hollywoods war. In meinen Augen ist Eszterhas ein überschätzter Schreiberling, der sich damit rühmen kann, mit BASIC INSTINCT (1992) einen Glückstreffer gelandet zu haben, wenn man bedenkt, dass er auch die Bücher zu FLASHDANCE (1983) und der Erotik-Gurke SLIVER (1993) geschrieben hat. Auch SHOWGIRLS ist nicht der Gipfel der Kunst, die Story ist zweckdienlich, die Dialoge stellenweise etwas schräg und künstlich und der Subtext vermutlich auch dem wachen Auge Verhoevens geschuldet. Auf dem Papier dürfte das Projekt vermutlich lediglich ein provokatives Drama mit ausufernden Sex-Szenen gewesen sein, dem der Regisseur noch den nötigen letzten Schliff verpasst hat. Wo hier Wahrheit und Irrtum liegen, ist im Prinzip auch egal, es zählt das Endprodukt und das ist, zumindest in meinen Augen, weit weg von dem Adjektiv „schlecht“, wenn auch nicht perfekt.
Das größte Problem ist vermutlich die Hauptdarstellerin Elizabeth Berkley, die zwar durch einen beeindruckend schönen Körper begeistert, schauspielerisch aber definitiv noch ausbaufähig gewesen wäre. Sie ist es auch, die dem Ganzen den oftmals angesprochenen Trash-Faktor verleiht, denn ihre Darstellung ist wahnsinnig exaltiert und übertrieben und besticht durch spontane Gefühlsausbrüche und merkwürdige mimische Entscheidungen. Wie ein Flummi wirbelt sie durch die 130 Minuten Laufzeit, als wollte Berkley zweihundert Prozent geben. Man kann es ihr nicht verübeln, für den Sitcom-Star hätte es das Sprungbrett zu einer großen Karriere sein können. Der Rest der Besetzung passt eigentlich. Gina Gershon spielt mit Bravour Nomis Spiegelbild Cristal, TWIN PEAKS-Star Kyle MacLachlan gibt wunderbar den Schmierlappen Gina Ravera ist der emotionale, unschuldige Ankerpunkt der Geschichte, den aber, Verhoeven-typisch, ebenso ein böses Schicksal ereilt.
Inszenatorisch ist SHOWGIRLS, wie auch schon Verhoevens Vorgängerfilme, auf höchstem Niveau. Man sieht der Produktion das stattliche Budget durchaus an, so bevölkern viele Statisten die großen Sets und Las Vegas kommt einfach hervorragend zur Geltung. Jede Szene trieft nur so vor Glitzer und grellen Farben, in denen nackte Frauenkörper präsentiert werden. Für manche dürfte das eine Art Reizüberflutung darstellen, für mich ist es ein Augenschmaus, vielleicht sogar das beste Portrait von Las Vegas, dass es je auf die Leinwand geschafft hat.
Capelight Pictures hat dem verschrienen Kultfilm nun eine schicke Mediabook-Edition spendiert, die Verhoevens grelle Bilderflut in bester Bild- und Tonqualität erstrahlen lässt. Neben der 4K-Version ist auch eine Edition erschienen, die lediglich nur die Blu-ray-Variante bietet. Diese stand uns freundlicherweise zur Verfügung und auch „nur“ in der einfachen HD-Version sieht SHOWGIRLS atemberaubend gut aus und besticht durch eine großartige Schärfe und satte Farben. Das Bonusmaterial beinhaltet neben einem informativen Audiokommentar von David Schmader auch ein neues Interview mit Kameramann Jost Vacano, sowie Interviews mit Cast und Crew, Featurettes und ein exklusives Dance-Tutorial. Daneben gibt es noch die B-Roll und den obligatorischen Kinotrailer. Ein 24-seitiges Booklet mit vielen Hintergrundinformationen rundet das Paket eigentlich perfekt ab, doch Capelight hat sich nicht lumpen lassen und noch eine Bonus-Disc dazu gepackt, die die Dokumentation YOU DON’T NOMI (2019) beinhaltet, ein 90-minütiger Blick auf das Vermächtnis des Films und seine Wirkung. Dabei wird vor allem auf die damalige Rezeption und die veränderte Wahrnehmung eingegangen. Ein tolle Sache!
Fazit:
SHOWGIRLS (1995) galt lange als einer der schlechtesten Filme, die je gemacht wurden. Dass die Wahrheit aber ganz anders aussieht, dürfte mittlerweile jedem bekannt sein. Natürlich hat das grelle Erotikdrama seine Macken und ist bei weitem nicht perfekt, trotzdem ist Verhoevens bitterböse Abrechnung mit dem amerikanischen Traum und der Naivität derer, die sich immer noch daran klammern, ein wahnwitziger, provokativer und extrem betörender Bilderrausch wie ihn nur Verhoeven selbst hätte inszenieren können. Auf jeden Fall eine Wiederentdeckung wert!
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