Oh, ein Hongkong-Klassiker! Frei von Shoot-Outs und brutaler Action, dafür aber ein flotter Genre-Mix aus Drama, Slapstick, Romanze und Musikfilm, wie ihn nur das HK-Kino gelungen unter einen Hut bringen konnte. Regie führte Tsui Hark, der mit diesem Film sein Debüt als Producer gab und so seine Firma Film Workshop qualitativ etablierte. Das Erstaunliche an diesem Streifen ist, dass er filmisch seiner Zeit voraus war, denn Tsui Hark ist Vollblut-Filmemacher und schaffte es, dank einiger gelungenen Komponenten, seinen Film aus der Masse herausragen zu lassen. CARGO RECORDS hat nicht nur ein Herz für Filme aus der 5. Reihe, sondern auch für die alten HK-Knaller und so darf hier der geneigte Fan seine Sammlung vervollständigen.
Regie: Tsui Hark
Darsteller: Kenny Bee, Sylvia Chang, Sally Yeh, Fui-On Shing, Hark-On Fung, Henry Fong
Artikel von Kai Kinnert
Shanghai im Jahre 1937: Ein bald abreisender Soldat trifft während eines japanischen Luftangriffs auf eine junge Frau unter einer Brücke. Sie geloben, sich nach Kriegsende zu treffen, aber sie wissen weder den Namen noch das Gesicht des anderen. Zehn Jahre später nimmt die junge Frau, eine Nachtclubsängerin, ein naives Mädchen frisch aus dem Land auf. Das Country-Girl verliebt sich in den Möchtegern-Songwriter im Obergeschoss, der, der Sängerin unbekannt, niemand Geringerer als der Soldat von der Brücke ist.
Das glitzernde Shanghai der 1930er Jahre war ein beliebtes Setting im HK-Film. Geradezu ein Garant für einen Kassenknüller, denn das alte Shanghai war mondän, voller Nachtclubs, pulsierendem Leben und internationales Drehkreuz für Geschäftsleute und Militärs, ein Schmelztiegel der Nationen eben. Reichtum und Armut lagen dicht beieinander, West und Ost verschmolzen in der Mode und in der Musik, man war voll des Aufbruchs und so formte sich Shanghai zu einem Ponton des ähnlich pulsierenden Berlins der 1920er. Tsui Hark hatte die Idee zu Shanghai Blues während seines Urlaubes in Neapel, als er dort durch die Gegend fuhr und ob einiger szenischen Ideen vor sich hin kicherte – bis ihn seine Frau fragte, was denn so witzig sei. Er erzählte ihr von der Idee und sie bekräftigte ihn, den zweijährigen Urlaub zu verkürzen und den Film selber zu produzieren.
Und so machte sich der damals 33jährige Kontrollfreak Tsui Hark an die Arbeit und gründete die Firma Film Workshop mit seiner Ehefrau als Teilhaberin. Ziel war es, jungen Schauspieltalenten Chancen in ambitionierten Projekten zu geben, die filmisch und tricktechnisch durch hungrige Nachwuchskräfte gestemmt werden sollten. Tsui Hark wollte kein Hollywood kopieren, er wollte einen technischen Gegenentwurf, der mit Qualität und Originalität die Sehgewohnheiten des heimischen Publikums bedienen konnte.
Gleich mit der ersten Produktion gelang Tsui Hark ein Kassenknüller, der sogar Ghostbusters alt aussehen ließ und bis heute in Hong Kong als beliebtester und bester Tsui Hark Film gilt. Aber auch international konnte Hark mit seinem Streifen bei den Kritikern punkten, denn Shanghai Blues wurde voller Aufwand gedreht und bestens besetzt. Die Kameraarbeit in Shanghai Blues ist gekonnt und elegant, die Ausstattung und Kulissen sind detailliert und opulent, die Szenen voller Leben und die Musik von seltener Qualität. Komponist James Wong lieferte einen perfekten und aufwändigen Soundtrack ab, wie man ihn später nur noch selten zu Ohren bekommen sollte. Hier wurde mal nicht auf dem Synthesizer geklimpert, sondern tatsächliche Instrumente bemüht und auch die Melodien finden ihren Weg ins Ohr des Zuschauers.
Ruhe kennt der Film nicht. Stets ist es voll, laut und hektisch – ein straffes Drehbuch und muntere Schauspieler sorgen für eine prall gefüllte Leinwand. Slapstick, Liebe und Musik rahmen die Handlung, und Sally Yeh darf bei jeder Gelegenheit ein charmantes Overacting abliefern, welches aus Augenrollen und einer Schmollschnute besteht. Dennoch spielt hier jeder präzise und die Inszenierung ist voller gelungener Einfälle, die Nummer geht also trotz des wuseligen Tempos auf.
Shanghai Blues ist ein harmloser Filmspaß, der viel Komik und Verstrickungen liefert und sich in der Action auf Treppenstürze, Gerangel und einem Messer im Po beschränkt. Selbst der Slapstick-Klassiker mit der Tuba, die in einer Szene auf die Köpfe der Umstehenden knallt, darf hier nicht fehlen. Wer ein Freund dieser Art von Film ist und sich gerne HK-Filme aus der Blütezeit ansieht, sollte hier einen Blick wagen. Tsui Hark lieferte hier wahrlich schwungvolles und gekonntes Asia-Kino ab. Wie gut, dass er auf den Rat seiner Ehefrau hörte.
Das Bild der DVD ist solide und die damalige Synchronisation überraschend gelungen.
Trailer: