Auf zwei Beinen steht es sich bekanntlich besser als auf einem, dachten sich wohl Wicked Vision Distribution GmbH, als sie ihre „Black Cinema Collection“ auf den Weg brachten, gab es doch den zweiten Titel der vielversprechenden Reihe gleich hinterher. In ZEHN STUNDEN ZEIT FÜR VIRGIL TIBBS (1970) schlüpft Oscar-Preisträger Sidney Poitier zum zweiten Mal in die Rolle des hartgesottenen Ermittlers. Seit kurzem ist der Großstadt-Krimi ebenfalls als Limited Collector’s Edition erhältlich und ob er als ein würdiger Vertreter des Blaxploitationkinos bezeichnet werden kann, erfahrt ihr in unserer Kritik!
Originaltitel: They Call Me MISTER Tibbs!
Drehbuch: Alan R. Trustman, James R. Webb
Regie: Gordon Douglas
Darsteller: Sidney Poitier, Martin Landau, Barbara McNair, Anthony Zerbe, Edward Asner, Norma Crane…
Artikel von Christopher Feldmann
Wenn man über die größten afroamerikanischen Schauspieler Hollywoods spricht, kommt man an Sidney Poitier nicht vorbei. Ich wage sogar zu behaupten, dass der in Miami geborene Mime den Weg für veritable Darsteller mit dunkler Hautfarbe überhaupt erst geebnet hat. Bevor die Blaxploitation-Welle der frühen 1970er Jahre überhaupt ins Rollen kam, war Poitier bereits ein gefragter und überaus erfolgreicher Mime, darüber hinaus gewann er als erster Afroamerikaner den Oscar als bester Hauptdarsteller, für seine Rolle in LILIEN AUF DEM FELDE (1963), nachdem er bereits für FLUCHT IN KETTEN (1958) für einen Goldjungen als bester Nebendarsteller nominiert war. Einer seiner bekanntesten und erfolgreichsten Filme ist aber nach wie vor das Krimi-Drama IN DER HITZE DER NACHT (1967), in dem er als Detective Virgil Tibbs einen Mordfall im ländlichen Mississippi aufklären muss und dabei in einen Rassenkonflikt gerät. Der Film wurde für ganze sieben Oscars nominiert und gewann unter anderem den Preis für den besten Film. Poitier selbst ging bei der Verleihung leer aus, stattdessen gewann sein Leinwandpartner Rod Steiger die Trophäe für den besten Hauptdarsteller, obwohl sie, wenn man es genau nimmt, eher Poitier verdient gehabt hätte. Trotzdem zählt der tiefschürfende Kriminalfilm, der sich offen gegen Rassismus ausspricht zu den großen Klassikern des Kinos der 1960er Jahre. Auch finanziell war er überaus erfolgreich, was dazu führte, dass Produzenten drei Jahre später eine Fortsetzung auf den Weg brachten, die die Figur des Virgil Tibbs in den Mittelpunkt rückt und dabei schon weitaus mehr auf das klassische Unterhaltungskino dieser Zeit schielte. ZEHN STUNDEN ZEIT FÜR VIRGIL TIBBS (1970) ist nun der zweite Film, der es in die „Black Cinema Collection“ geschafft hat, passt er doch rein narrativ in das angepeilte Pulp-Schema, auch wenn er gegenüber dem Vorgänger ein paar Federn lässt.
Handlung:
Als in einem Nobel-Viertel von San Francisco eine Prostituierte nach dem Koitus brutal erschlagen wird, gerät schnell der politisch aktive Reverend Logan Sharpe (Martin Landau) in den Fokus der Ermittlungen. Prompt bittet Lieutenant Virgil Tibbs (Sidney Poitier) darum, den Fall zu bearbeiten, um die Unschuld seines langjährigen Freundes zu beweisen. Allerdings gerät Tibbs dadurch schnell selbst zwischen die Fronten von dubiosen Zeitgenossen.
ZEHN STUNDEN ZEIT FÜR VIRGIL TIBBS ist eine dieser klassischen Fortsetzungen, die augenscheinlich darauf aus sind, an der Kinokasse nochmal schnelles Geld mit einem bekannten Star in einer bekannten Rolle zu machen. Es war eben auch die Zeit, in der das Blaxploitationkino langsam aber sicher ins Rollen kam und afroamerikanische Bürger ihre eigenen Helden in den Kinos sehen wollte. Also nahm man einfach den durchaus eindrucksvoll eingeführten Charakter des Virgil Tibbs und verfrachtete ihn in eine deutlich urbaneres, dem Zeitgeist angepasstes Setting. Statt im staubig ländlichen Mississippi befinden wir uns im grellen San Francisco, zwischen toten Prostituierten, halbseidenen Ganoven, schäbigen Keller-Kneipen und undurchsichtigen Geschäftsmännern.
War der Mordfall in IN DER HITZE DER NACHT lediglich ein Aufhänger für eine Geschichte über das Ablegen der eigenen Vorurteile und Respekt gegenüber Minderheiten, steht der Krimi-Plot hier deutlich im Zentrum des Geschehens und das ist genau der Aspekt, der die Fortsetzung weitaus schmaler wirken lässt, besonders wenn man sich, wie ich es getan habe, beide Filme Back-to-Back ansieht. Es fehlt an einer höheren Komponente, die im Vorgänger sehr präsent ist und den eigentlich gar nicht mal so aufsehenerregenden Mord erst spannend macht. Im Nachzügler bekommen wir einen ebenfalls standardisierten Fall geboten, den man in solch einer Form auch in einer handelsüblichen Episode DERRICK (1974-1998) gesehen hätte und wahrscheinlich auch hat. Aufgrund des Ortswechsels spielt das Thema Rassismus auch keine Rolle mehr, weswegen der Plot durch seine Genre-Elemente funktionieren muss und die lassen leider noch zu wünschen übrig. Zwar spürt man deutlich den Pulp-Einschlag und auf dem Papier bewegt man sich durchaus näher an dem comicartigen B-Movie-Style der späteren Exploitationfilme, jedoch fährt ZEHN STUNDEN ZEIT FÜR VIRGIL TIBBS sein Rennen mit deutlich angezogener Handbremse. Kollegen wie SHAFT (1971) und SUPERFLY (1972) waren eben noch nicht in greifbarer Nähe, weshalb die Gangart noch ziemlich Old Fashioned wirkt und Poitier noch den allzu gesetzeskonformen Ermittler gibt.
Man kann an diesem Film gut erkennen, dass man sich anno 1970 auf der Schneide zwischen dem klassischem Hollywood-Kino und dem raueren wie auch poppigeren Blaxploitation-Stil bewegte. Ausstattung, Story, Nebenfiguren und Inszenierung sprechen schon sehr die Sprache des Genre-Kinos, während die Erzählweise und der Protagonist noch äußerst bieder wirken. So bleibt die Spannung oftmals auf der Strecke, da Poitier mehr damit beschäftigt ist, Personen zu verhören und Dialoge mit seinem Sohn zu führen, als auf den Straßen aufzuräumen. Zwei bis drei Jahre später hätte das vermutlich anders ausgesehen. Auch die Handlung an sich ist nicht so wirklich ergiebig und die Frage nach dem gesuchten Täter, dürften kundige Zuschauer irgendwann erahnen. Dazwischen herrscht oft Leerlauf, der zwar angenehm inszeniert und ordentlich gespielt ist aber trotzdem Leerlauf bleibt. Inszenatorisch ist der Streifen doch sehr hübsch, gerade die Momente, in denen San Francisco eingefangen wird können sich sehen lassen und auch gegen Ende, wenn es dann mal zur Sache geht, nimmt die Chose Fahrt auf aber letztendlich zu spät. Es war zudem einer der letzten Filme von Regisseur Gordon Douglas, der bereits Komödien mit Stan Laurel und Oliver Hardy drehte.
Schauspielerisch gibt es wenig zu bemängeln. Sidney Poitier gibt den strengen Ermittler einmal mehr hervorragend, hat allerdings keine Chance gegen Martin Landau, der als Prediger so richtig aufdreht und die restliche Besetzung mal eben an die Wand spielt. Allerdings bleibt er in seiner Rolle deutlich unterfordert und taucht nur punktuell auf, weswegen auch die hervorragende Chemie, die bei IN DER HITZE DER NACHT zum Tragen kam hier gänzlich fehlt. Man hat zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass Sharpe und Tibbs wirklich Freunde sind, gibt es doch kaum eine Szene, in der dies zum Tragen kommt. In einer schurkischen Nebenrolle ist zudem Anthony Zerbe zu sehen, den die meisten als fiesen Milton Krest aus dem James-Bond-Film LIZENZ ZUM TÖTEN (1989) kennen dürften. Der gibt mit Bravour den schmierigen Ganoven im 70s-Pimp-Stil. Obwohl der Film weitaus weniger erfolgreich lief, als der Vorgänger, folgte mit THE ORGANIZATION (1971) ein weiterer Fall für Tibbs und Darsteller Poitier.
Als Nummer 2 in der „Black Cinema Collection“ von Wicked Vision Distribution GmbH, kommt auch dieses Werk als limitierte Collector’s Edition daher, die neben der Blu-ray auch die DVD beinhaltet. Wie schon bei SLAUGHTER (1972) sind Bild- und Tonqualität hervorragend und lassen den Streifen in hochwertigem Glanz erstrahlen. Neben einem Audiokommentar von Dr. Gerd Naumann und Christopher Klaese wartet das Bonusmaterial mit einem weiteren Featurette auf, welches sich unter dem Titel „Von Mr. Tibbs zu John Shaft: Neue Stars und Perspektiven“ mit eben jenem Übergang in Richtung Blaxploitation beschäftigt und wieder fachkundig von Dr. Andreas Rauscher kommentiert wird. Eine Bildergalerie, der Originaltrailer und ein 24-seitiges Booklet von Thorsten Hanisch runden das Paket ab.
Fazit:
ZEHN STUNDEN ZEIT FÜR VIRGIL TIBBS (1970) zeigt Oscar-Preisträger Sidney Poitier einmal mehr in seiner Paraderolle aus IN DER HITZE DER NACHT (1967). Statt Südstaaten-Charme und ethnischem Kontext, geht es in diesem Krimi durchaus simpler und auch generischer zur Sache. Zwar überzeugen die Darsteller und auch die 70s-Pulp-Optik, allerdings bietet der Film nur selten wirklich Spannung und bewegt sich damit mehr auf TATORT-Niveau. Zwar ist der Streifen dennoch genießbar und hat sich seinen Platz in der Sammelbox durchaus verdient, allerdings sollte man hier keinen Reißer alá SLAUGHTER (1972) erwarten.
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