Very British! Für den 22. Edgar-Wallace-Film ließ sich die Rialto-Film nicht lumpen und blies zum Angriff auf den internationalen Markt. Mit aufgestocktem Budget, einer größtenteils auswärtigen Besetzung und Original-Schauplätzen in London, sticht DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE (1966) aus der Reihe heraus. Ob sich der Aufwand gelohnt hat, erfahrt ihr in der neuesten Ausgabe unserer Retrospektive!
„Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“
Drehbuch: Derry Quinn, Stanley Munro
Regie: Cyril Frankel
Darsteller: Stewart Granger, Sophie Hardy, Susan Hampshire, Brigitte Horney, Robert Morley, James Culliford, Cathleen Nesbitt, Eddi Arent, Siegfried Schürenberg…
Artikel von Christopher Feldmann
Das Jahr 1966 gestaltete sich etwas turbulent im Hause Rialto-Film. Ursprünglich sollte DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE (1966) der erste große Edgar-Wallace-Krimi des Jahres werden, erstmals ko-produziert von einer britischen Tochterfirma, an der, neben Horst Wendlandt und Preben Philipsen, Ian Warren, T.L. Donald und Denise See beteiligt waren. Neben diesem Projekt waren auch noch andere Produktionen vorgesehen. Autor Derry Quinn wurde beauftragt, ein Drehbuch nach dem Wallace-Roman KATE PLUS TEN (1917), welches mit versierten Darstellern wie unter anderem Heinz Drache, Maria Perschy, Klaus Kinski und Eddi Arent verfilmt werden sollte. Allerdings kam es zu Verzögerungen, da man einen Verleihvertrag mit der amerikanischen Firma Seven Arts einging und die wiederum den vorgesehenen Regisseur Alfred Vohrer ablehnten. So kam schließlich Alvin Rakoff ins Spiel, der das Skript dermaßen änderte, dass der Drehtermin im April nicht gehalten werden konnte. Man feuerte den Filmemacher und engagierte Stanley Munro, der den Stoff überarbeiten sollte, so dass man im August mit den Arbeiten beginnen konnte. Um das Publikum nicht zu lange warten zu lassen, gab man DER BUCKLIGE VON SOHO (1966) den Vorzug, so dass dieser zuerst realisiert wurde. Durch die Verzögerung schieden auch einige bereits engagierte Darsteller aus, unter anderem Heinz Drache. So kam es, dass Wendlandt den Part des Ermittlers an Stewart Granger übertrug, dem der Produzent noch einen Film schuldete. Granger wurde in der, ebenfalls von Rialto produzierten, Karl-May-Serie als OLD SUREHAND etabliert, eine Fortsetzung zu dem, hinter den Erwartungen gestarteten, Western OLD SUREHAND 1. TEIL (1965) wurde verworfen, weshalb man den neuesten Wallace-Film nutze, um aus dem Vertrag mit Granger herauszukommen. Nach dem ganzen Heck-Meck bekamen die Zuschauer ein zweischneidiges Ergebnis. DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE gehört sicher zu den etwas verschmähten Wallace-Filmen, da der deutsche Charme hier gehörig flöten geht, auch wenn der Streifen an sich einen unterhaltsamen Krimi darstellt.
Handlung:
Mehrere Raubüberfälle auf Juwelenhändler in London halten Scotland Yard in Atem. Nachdem der ermittelnde Inspektor Thompson ermordet aufgefunden wird, der zuletzt eine heiße Spur auf dem Landgut der Familie Emberday verfolgte, und auch eine vorbestrafte Nonne, zu der der Ermittler Kontakt hielt, ebenfalls ihr Leben lässt, übernimmt Superintendent Cooper Smith (Stewart Granger) den Fall und fasst ebenfalls die Familie Emberday ins Auge, auf deren Anwesen zufälligerweise ein Nonnenorden lebt. Tatsächlich stecken die unscheinbar wirkenden Nonnen hinter den Raubzügen und gemeinsam mit dem Bankräuber Clossen (Eddi Arent), will sich die Oberin (Brigitte Horney) nun eine gehörige Menge Goldbarren aneignen. Von Cooper Smiths Verdacht ist Sir John (Siegfried Schürenberg) allerdings weniger begeistert und dennoch lässt der bärbeißige Ermittler nicht locker und kommt der verbrecherischen Gesellschaft schon bald gefährlich nahe.
Würde in den Credits nicht „frei nach Edgar Wallace“ stehen, würde man als Zuschauer nicht ahnen, dass es sich bei DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE um einen offiziellen Beitrag zur beliebten Krimi-Reihe handelt. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich die deutsch-britische Ko-Produktion bisher nur einmal gesehen hatte und auch etwas zögerlich an die erneute Sichtung für diesen Artikel gegangen bin. Wirklich schlecht in Erinnerung hatte ich den Film nicht in Erinnerung aber eben auch nicht besonders gut. Aber das schöne am fortschreitenden Alterungsprozess ist ja auch, dass sich Geschmäcker verändern und weiterentwickeln, weshalb ich nun auch dieser launigen Pulp-Schmonzette deutlich mehr abgewinnen konnte.
Man merkt dem Projekt deutlich an, dass Wendlandt hier hinaus in die große weite Welt wollte. Edgar Wallace sollte international werden oder zumindest so, dass man die Filme besser im Ausland vermarkten konnte. Dies vermittelt der 22. Wallace-Krimi in jeder Sekunde. Statt betulicher Erbschleicherei, überkandidelten Schurken und deutscher Schauer-Komik setzten die Macher auf ein temporeiches Potpourri aus Gangsterkrimi, Heist-Movie und Whodunit, welches durch und durch britisch wirkt. Die typischen Stilmittel, die unter anderem die Filme von Alfred Vohrer ausmachen, sucht der Zuschauer hier vergebens, stattdessen fühlt sich der DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNEN durchweg modern an. Es war wahrscheinlich eine gute Entscheidung, das Drehbuch von britischen Autoren schreiben zu lassen, die den schwarzen Humor und die allgemein britische Tonalität authentisch wiedergeben konnten, anders als die deutschen Kollegen. So punktet der Streifen vor allem mit progressiven Themen, die in einer deutschen Produktion dieser Zeit gar nicht vorstellbar gewesen sind. Recht explizit widmet man sich den Geschlechterrollen und dem sexuellen Identitätstausch. So wird der Embarday-Spross als leicht zurückgebliebener Crossdresser charakterisiert, der sich mehr als Frau fühlt. Und auch seine Schwester sehnt sich mehr danach, ein Mann zu sein. Beide kompensieren ihr Dasein im falschen Körper mit entsprechenden Outfits und Verhaltensweisen. Zwar wird, der in bunten Fummeln umherhüpfende, Luke Emberday zeitgemäß als armer Irrer abgewatscht, jedoch verschafft sich sein weibliches Pendent mit Mord und Totschlag die Genugtuung und bricht aus ihrer eigentlichen Geschlechterrolle aus. Natürlich muss auch sie letzten Endes einen brutalen Tod sterben aber die Tatsache, dass ein Film aus dem Jahr 1966 solche Themen überhaupt aufgreift, ist dann doch eher ungewöhnlich.
Aber wir schauen ja keinen Edgar-Wallace-Film aufgrund seiner sozialkritischen Elemente, sondern erfreuen uns an der gepflegten Krimi-Unterhaltung. Die kann sich durchaus sehen lassen, denn das Skript zaubert einen recht flotten Plot, der eigentlich alles bedient, was man von solch einem Werk erwarten darf. Sinistere Nonnen, ruchlose Bankräuber, etwas Freizügigkeit, einen vermummten Mörder und den heldenhaften Ermittler von Scotland Yard, der auch mal Ordensschwestern auf die Schnauze hauen darf. Das macht durchweg Spaß, die Spannung und die Überraschungsmomente bleiben aber größtenteils auf der Strecke. Normalerweise ist die Mystery das Kernelement, hier sind die Fronten klar geklärt. Dass die Nonnen nichts Gutes im Schilde führen, wird dem Zuschauer sofort offenbart und auch die Komplizen werden fröhlich präsentiert. Lediglich die Identität des Mörders mit der Gummimaske bedient etwas das Whodunit-Herz, die Auflösung ist allerdings doch sehr offensichtlich. Zwischendurch wird das Ganze dann sogar noch zum Heist-Movie, wenn die verbrecherische Vereinigung eine Bank mithilfe eines monströsen Raketenwerfers ausräumt, der fast schon aus einem James-Bond-Film entliehen sein könnte. Es sind viele schöne und vor allem spaßige Elemente vorzufinden, wenngleich der Funke nie so ganz überspringen will. Ein paar Überraschungen und Rätsel hätten der Geschichte gut gestanden, denn das titelgebende „Geheimnis“ ist eigentlich gar keins.
Nachdem sowohl Alfred Vohrer, als auch Alvin Rakoff das Projekt verließen, setzte man auf den britischen Film- und Theaterregisseur Cyril Frankel, der den Stoff angemessen umsetzen sollte. Frankel hat definitiv einen guten Job gemacht, denn DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE sieht recht hochwertig aus, lässt aber die Alleinstellungsmerkmale der Wallace-Reihe schmerzlich vermissen. Dem Regisseur fehlte vermutlich einfach das handwerkliche Geschick eines Harald Reinl oder die kreative Finesse eines Alfred Vohrer. So wirkt der Film inszenatorisch recht glatt, fast schon steril und vor allem zu hell, denn man findet keine einzige Nachtszene vor, in der man mit der Schauerromantik eines alten Nonnenklosters hätte spielen können, eine vertane Chance eben. So geht auch der charmante Grusel-Faktor, den die Wallace-Filme bis Dato eigentlich immer hatten gänzlich flöten. Diese leicht biedere Sterilität vermittelt auch die Besetzung von Stewart Granger, der hier sein einziges Gastspiel in einem Wallace-Film gibt. Granger gehörte zu jenen Stars, die in den 1960er Jahren keinen Erfolg mehr in Hollywood hatten und ihr Glück in Europa suchten. So bekleidete auch er Hauptrollen in Euro-Streifen wie DAS GEHEIMNIS DER GELBEN MÖNCHE (1966) oder dem in Hongkong gedrehten Krimi DAS GEHEIMNIS DER DREI DSCHUNKEN (1965) – man merkt schon, Granger hatte damals viele Geheimnisse zu lüften. Dazu kamen eben noch die Western aus der Karl-May-Serie, von denen er aber in nur zwei zu sehen war. Seine Beteiligung an diesem Edgar-Wallace-Film diente lediglich, wie Eingangs beschrieben, dazu, den Vertrag mit Horst Wendlandt zu erfüllen. Gemessen an der filmischen Qualität passt Granger ganz gut ins Bild, seine Performance lässt sich leicht mit „wenn man Blacky Fuchsberger auf Wish bestellt“ beschreiben. In klassischer Dandy-Manier darf er flirten, prügeln und trockene Sprüche vom Leder ziehen. Wirklich charismatisch ist er dabei nie aber eben auch kein Totalausfall.
Auch bei der restlichen Besetzung setzte man zur Abwechslung auf größtenteils englischsprachige Darsteller, unter anderem Susan Hampshire, Cathleen Nesbitt und Robert Morley, den die Zuschauer bereits aus der Agatha-Christie-Verfilmung DER WACHSBLUMENSTRAUß (1963) und dem Abenteuerklassiker AFRICAN QUEEN (1951) kannten. Er ist als leicht unterdrückter, ständig nervöser Treuhänder Hubert schon fast das heimliche Highlight des Films. Allein seine Gesichtsausdrücke sind zum schießen. Für optische Reize sorgt derweil Sophie Hardy, die bereits in DER HEXER (1964) zu sehen war. Allerdings besitzt ihre Rolle in diesem Film so gar keine Relevanz und er würde genauso gut ohne sie funktionieren. Dafür darf sie etwas Haut zeigen, was wiederum ein Pluspunkt ist. Von deutscher Seite darf Brigitte Horney als Oberin mitmischen, die mit ihrer augenzwinkernden und immer höflichen Kälte das schauspielerische Glanzlicht des Films darstellt. Auch für sie war es nach NEUES VOM HEXER (1965) der zweite und auch letzte Wallace-Auftritt. Allerdings beinhaltet DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE auch den letzten Auftritt Eddi Arents innerhalb der Reihe. Nach 21 Rialto-Produktionen nahm der legendäre Schauspieler und Humorist Abschied von der Serie, für die er fast schon eine Art Maskottchen war. Als Bankräuber Clossen darf er hier auch zum dritten Mal eine negativ angelegte Figur spielen, die letzten Endes auch den Filmtod stirbt. Sein letzter Satz „Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen!“ sind dabei wörtlich zu nehmen. In der britischen Originalfassung ist James Robertson-Justice als Sir John zu sehen, für die deutsche Kinofassung wurden diese Szenen nochmal mit Siegfried Schürenberg gedreht, damit das deutsche Publikum auch auf den beliebten Scotland-Yard-Chef nicht verzichten musste. Alle anderen Szenen sind mit der Originalfassung identisch, Horney und Arent sind auch in dieser Version mit ihren eigenen Stimmen zu hören und synchronisierten sich für den deutschen Markt selbst. Aus deutscher Hand stammt auch der Score, nämlich von keinem geringeren als Peter Thomas, der mit seinem Thema eine ausgezeichnete Komposition ablieferte.
Die Dreharbeiten fanden vom 15. August bis zum 07. Oktober 1966 an Originalschauplätzen in London und Umgebung statt. Als Kulisse für Emberday Hall diente das Gebäude der St. Mary’s University, Innenaufnahmen wurden in den Shepperton Studios gemacht. Mit Produktionskosten von rund vier Millionen D-Mark war der Film der teuerste der gesamten Serie. Die Uraufführung fand am 16. Dezember 1966 in Saarbrücken statt. Die Kritiken fielen gemischt aus und auch an den Kinokassen spielte der Film weit weniger ein als die Vorgänger, entwickelte sich aber dennoch zu einem soliden Geschäft. In Deutschland zählte man rund 1,6 Millionen Zuschauer. Die FSK vergab für die ungekürzte Fassung eine Freigabe ab 16 Jahren. Für die TV- und spätere Videoauswertung wurde allerdings massiv die Schere angesetzt, so dass diese Fassung 1991 ab 12 Jahren freigegeben wurde. Erst mit der DVD veröffentlichte man wieder die vollständige Originalversion, die wiederum das 16er-Siegel trägt.
Fazit:
Edgar Wallace International. DAS GEHEIMNIS DER WEIßEN NONNE (1966) sticht in allen Belangen aus der Reihe heraus und fühlt sich zu keiner Zeit wie ein klassischer Teil selbiger an. Lediglich Arent und Schürenberg bringen etwas deutschen Schwung in den launigen Gangsterkrimi, der vor allem ordentliche Abwechslung zum sonstigen Einerlei bietet und über weite Strecken gut unterhält, auch wenn die Geschichte mehr hergegeben hätte, zumindest in Sachen Spannung. Unterm Strich ein solider Film!
3 von 5 eingeschmolzenen Goldbarren!
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