Wir haben gerade einmal Ende Februar und ich kann jetzt schon das Hörspiel des Jahres verkünden, welches von FOLGENREICH / UNIVERSAL MUSIC kürzlich veröffentlicht wurde. Und seien wir einmal ehrlich, besser hätte das Timing für einen Pandemie-Endzeitthriller, der irgendwo zwischen „Die Tribute von Panem„, „Jahr 2022…Die überleben wollen“ und „The Last of Us“ angesiedelt ist, auch nicht sein können. Ganze vier Stunden beträgt die Laufzeit dieser ersten Staffel, die ich in Windeseile durchgesuchtet habe und deren Fortsetzung hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lässt. Warum ich süchtig auf die dystopische Endzeitgeschichte geworden bin? Nun, lest selbst…
Buch und Regie: Balthasar von Weymarn
Sprecher: Sarah Alles, Björn Schalla, Vera Teltz, Oliver Stritzel, Detlef Bierstedt, Derya Flechtner, Richard Barenberg
Artikel von Christian Jürs
Tagsüber jagt die Teenagerin Rhiannon (Sarah Alles) Luchse, Hunde und andere wilde Tiere mit ihrer Armbrust, um die Versorgung von 200 Bewohnern der Kolonie Novis, einem verlassenen, alten Bergwerk, nur wenige Tagesmärsche vom ehemaligen New York, zu sichern. Sie alle sind Überlebende einer Pandemie, die dem Großteil der Bevölkerung das Leben kostete.
Das Leben in der Kolonie ist hart. Die Technik, die uns heutzutage zur Verfügung steht, gibt es nicht mehr. Atomkraftwerke laufen ebenfalls nicht, die Städte sind verwildert und außerhalb der Kolonie ist den Mitmenschen nicht mehr zu trauen. Die Überlebenden müssen einen Gehörschutz tragen, denn aus irgendeinem Grund, der erst später offenbart wird, nimmt man die Umgebungsgeräusche als so unangenehm laut wahr, dass diese die Menschen in den Wahnsinn treiben, ehe sie in Ohnmacht fallen und schließlich sterben, sollten sie achtlos ihren Schutz weglassen. Auch als Hörer bekommen wir auf unangenehme Weise diese akustische Klangwelt auf die Ohren, was unfassbar glaubhaft gelungen ist, doch dazu später mehr.
Die jungen Männer dieser Welt sind dem Tode geweiht, wie wir nach kürzester Zeit erfahren. Wer die Geschlechtsreife erreicht und sich den körperlichen Freuden hingibt, ist verloren und hat nur noch eine ungewisse, kurze Lebensdauer zu erwarten. Keine schönen Aussichten, die außerdem dazu führen, dass nur noch wenige Babies das Licht der Welt erblicken. Dies geschieht dann innerhalb der Kolonie auch nur in akustisch abgeschirmten Schutzräumen, in denen die kleinen Hoffnungsträger die ersten Stunden ihres Daseins verbringen dürfen, ehe die raue Realität auf sie hereinbricht. Nur wenigen, enthaltsamen Männern ist eine lange Lebensdauer gewährt, wie etwa dem Kolonieleiter Krzysztof (Detlef Bierstedt). Dieser hat auch sogleich schlechte Neuigkeiten für Rhiannon, scheint sie doch die Tochter eines der Wissenschaftler zu sein, die einst das todbringende Virus auf die Welt losgelassen haben. Er erteilt ihr die Aufgabe, sich auf nach Manhattan zu begeben, wo die Katastrophe ihren Anfang nahm um Antworten und ein Gegenmittel aus den Laboren ihres Vaters zu besorgen. Versagt sie, wird ihr ein weiterer Aufenthalt in der Kolonie verweigert.
Die nach einem Abenteuer dürstende Lisa (Derya Flechtner), eine Freundin Rhiannons, erklärt sich bereit, den beschwerlichen Weg mit anzutreten, in der Hoffnung, endlich einmal etwas Neues in der immergleichen, tristen Welt zu erleben. So kommt es dann auch, denn nach kurzer Zeit machen die Reisenden bereits Bekanntschaft mit unliebsamen Gestalten, die Wegzoll verlangen, aber auch mit dem undurchsichtigen, jedoch erfahrenen und etwas älteren Ranger (Björn Schalla), der seine Hilfe anbietet, sofern er eine Gegenleistung hierfür erhält. Welche das ist, will er jedoch zunächst nicht verraten. Ein Weg liegt vor ihnen, voller tödlicher Gefahren, die nicht jeder heil überstehen wird…
Seit nunmehr vierzig Jahren höre ich begeistert Hörspiele, doch nur selten wurde ich so sehr und vor allem so professionell in den magischen Bann einer Geschichte gezogen. Dies hat verschiedene Gründe. Einer ist mit Sicherheit der aktuelle Bezug auf die Realität den Balthasar von Weymarns Geschichte unbewusst eingeschlagen hat (das Skript entstand vor dem Ausbruch von Corona). Seine Dialoge sind glaubhaft, die Figuren bestitzen Tiefe und Persönlichkeit, sodass man bereits nach kurzer Zeit eine Bindung auch zur kleinsten Nebenfigur entwickelt. Insbesondere Ranger habe ich ins Herz geschlossen, erinnert er mich doch an den von Nick Damici dargestellten „Mister“ im Endzeit-Horrorthriller Vampire Nation (Stake Land) von Regisseur Jim Mickle, den ich sehr schätze. Auch überrascht die Geschichte, die laut Coverangabe „empfohlen ab 12 Jahren“ ist, mit realistischer Härte des Geschehens. Nein, hier gibt es keinen Splatter und auch sexuelle Gewalt erstickt in der Androhung (diese ist allerdings enthalten), doch das Szenario allgemein ist ein beunruhigendes, was abgeklärte Kids aber problemlos genießen können. Von dieser Einschätzung kann man sich im Hause Europa mal eine Scheibe abschneiden mit ihrer müden, ab 14 Jahren empfohlenen, Grusel Serie für Anfänger.
Über mangelnden Erzählfluss oder zu wenig Abwechslung braucht man sich auch nicht zu beklagen, springt die Story doch zu einem Drittel an einen anderen Ort und in eine andere Zeit, nämlich in die Tage kurz vor dem Ausbruch der schrecklichen Krankheit, bzw. mitten hinein. Dieser Erzählstrang folgt anderen Figuren an einem anderen Ort (größtenteils in Deutschland), wo man die Pandemie mit allen Mitteln verhindern möchte, doch immer wieder Steine in den Weg gelegt bekommt (klingt vertraut). Obwohl der Ausgang dieses Teils der Geschichte wohl weitestgehend klar sein dürfte, immerhin spielt der Hauptteil des Hörspiels in der Endzeit von morgen, bleibt auch dieser Part ungemein spannend.
Die Sprecher sind allesamt eine Wucht und unglaubliche Profis. Hier bewies man im Hause Folgenreich, ebenso wie bei der von mir bereits besprochenen Johnny Sinclair – Reihe, ein glückliches Händchen. Auch habe ich selten zuvor eine so geglückte Klanguntermalung erlebt, die dem Zuhörer wirklich das Gefühl gibt, mitten in einem Kino einen großen Hollywoodstreifen mit Bildausfall zu verfolgen.
Ich weiss, ich gerate enorm ins Schwärmen, doch wirklich nicht zu Unrecht. Dies musste auch meine Frau feststellen, der ich die 239 Minuten lange Staffel 1 ans Herz lag und die, zu meinem Erstaunen, innerhalb kürzester Zeit diesen Marathon beendet hat und ebenfalls seither in den höchsten Tönen voll des Lobes ist. Kann ich auch Euch überzeugen?
Nun, vielleicht nicht ich, aber die folgende Klangprobe könnte dies erledigen…
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