Dank der koreanischen Filmindustrie gibt es zur Zeit stetigen Nachschub an Filmen gelungenen Filmkönnens. Die Streifen aus Südkorea sind zur Zeit die einzig soliden Beiträge spannenden Genre-Kinos und ihrer waghalsigen Variationen davon, da gibt es viel zu entdecken. Wer sich also auf das asiatische Kino einlassen kann, sollte beherzt zu den Filmen aus Korea greifen, denn hier ist die Chance groß, auf einen solide gemachten Thriller mit überraschenden Wendungen zu stoßen. Filmisch haben es die Koreaner einfach drauf, da gibt´s nix zu rütteln. So auch in diesem Film von Kingdom-Regisseur Kim Seong-hun, der seinen Katastrophen-Thriller mit zwei extrem angenehmen Variablen versieht, die man so in einem Film aus Südkorea noch nicht gesehen hat. BUSCH MEDIA brachte den Streifen nun im Heimkino heraus.
Originaltitel: Teo-neol
Regie: Kim Seong-hun
Darsteller: Ha Jung-woo, Doona Bae, Oh Dal-su, Shin Jeong-geun, Nam Ji-Hyun
Artikel von Kai Kinnert
Lebendig begraben! Dieser entsetzliche Alptraum wird für den Familienvater Jeong-Su auf einen Schlag katastrophale Realität. Als er auf einer Geschäftsreise durch einen Autobahntunnel fährt, geschieht das Unfassbare: Der Tunnel stürzt ein und begräbt Jeong-Sus Auto unter Betonmassen und Geröll. Jeong-Su überlebt das Unglück in einer engen Luftblase. Fieberhaft läuft eine große Rettungsaktion an. Allerdings kann es Tage oder Wochen dauern, bis man zu ihm vordringt. Als Jeong-Sus Vorräte an Wasser und Nahrung zu Neige gehen und auch der Telefonkontakt abbricht, dämmert die entsetzliche Befürchtung, dass man ihn nicht mehr lebend bergen wird. Gibt es noch Hoffnung?
Hey, das war nicht schlecht. Obwohl die Story bei einer Laufzeit von zwei Stunden in der Theorie eher langatmig klingt, geht die Rechnung voll auf. Es dauert nur wenige Minuten und Jeong-Su ist in seinem KIA im Tunnel eingeschlossen. Quasi platt gemacht, denn während seiner Durchfahrt kommt der gesamte Berg herunter und schließt Jeong-Su komplett ein. Etwas Wasser, sein Handy, eine Sahnetorte und ein Klassik-Sender werden zukünftig den Familienvater am Leben halten, der wahrlich keine Chance hat, aus der staubigen, düsteren Enge des Trümmerhaufens zu entkommen. Er kann gerade noch einen Notruf absetzen und so eine Rettungsaktion in Gange setzen, doch ab dann heißt es nur noch: Warten und nicht den Verstand zu verlieren.
Während sich oben so langsam die Retter formieren und die Lage sondieren, stellt sich der Leiter der Rettungsaktion als einzig kompetenter Mann vor Ort heraus, der fortan mit Jeong-Su Telefonkontakt hält und ihm so mit souveräner Ruhe und Ehrlichkeit beisteht. Die Rettungsaktion entwickelt sich zum Medienhype, sogar die Innenministerin reist an den Unfallort um sich mit der Ehefrau Jeong-Sus fotografieren zu lassen und verspricht in die Kameras der Pressemeute, das man Jeong-Su bald befreit haben wird. Damit das passieren kann, müssen die teuren Bauarbeiten des eines zweiten Tunnels unterbrochen werden. Die Sprengungen am Berg könnten Jeong-Su verschütten. Doch die Aktion zieht sich hin, länger als erwartet. Anstatt den Verschütteten über das Handy zu Orten, verbringt man einige Zeit mit der Berechnung seiner Position im Tunnel und muss sich dabei auch noch auf fehlerhafte Baupläne verlassen.
Derweil hat sich Jeong-Su in der Enge seines Autos eingerichtet und empfängt über das Radio nur einen Klassik-Sender, der sich als einziger Medienvertreter wahrlich solidarisch mit Jeong-Su zeigt. Der Sender bringt zu festen Zeiten aktuellen Informationen über die Fortschritte der Rettungsaktion und übermittelt Nachrichten von seiner Ehefrau und seiner Tochter, steht Jeong-Su also moralisch bei. Und obwohl Jeong-Su zum Zeitpunkt des Einsturzes alleine im Tunnel unterwegs war, steht plötzlich ein kleiner Hund vor ihm. Irgendwie muss es dann wohl doch noch jemand gegeben haben, denn ein paar Trümmerbrocken weiter ist ein zweites Fahrzeug begraben. Eine junge Frau sitzt am Steuer, eingeklemmt und verletzt. Ihr gehört der Hund mit dem Anti-Bell-Halsband. Doch die Rettung zieht sich hin, Fehler passieren und die öffentliche Stimmung kippt. Der Bau des neuen Tunnels soll fortgesetzt werden, das Warten ist schlichtweg zu teuer, die Presse langweilt sich und auch für die Innenministerin ist kein Vorteil mehr aus der Situation zu ziehen. Die Rettung soll eingestellt werden…und Jeong-Su kann jetzt nur noch auf den souveränen Einsatzleiter hoffen.
Technisch ist Tunnel ein spannendes, solide gemachtes Katastrophendrama mit einem abwechslungsreichen Drehbuch und einer straffen Inszenierung, die sich kaum kitschig gibt und alle Rührseligkeiten knapp am Zügel hält. Die Besonderheit von Tunnel ist allerdings etwas ganz anderes. Kim Seong-hun inszenierte seinen Film frei von Testosteron. Hier frisst sich kein Held verwundet durch den Stahlbeton, hier steht kein Macker im Tanktop auf dem Autodach und sondiert die Lage, keine Stahlträger werden verbogen, keine Wunde genäht oder ein Bein amputiert…es gibt nicht einmal einen Wassereinbruch. Jeong-Su ist machtlos und kann nur Klassik-Radio hören, that´s it. Dementsprechend auch der charismatische Einsatzleiter. Er ist kein Held, sondern einfach nur ein Beamter des Öffentlichen Dienstes. Doch er nimmt seinen Job ernst, hat Courage, den richtigen Mut und eine glaubwürdige Menschlichkeit. Das Zusammenspiel zwischen den beiden Figuren ist angenehm gut durchdacht und gibt dem Film eine gewisse Ruhe. Die andere Besonderheit an dem Streifen ist seine versteckt eingestreute Gesellschaftskritik. Baupfusch war die Unfallursache, ausgelöst durch unmotivierte Arbeiter und gierige Bauunternehmer…und der Pfusch zieht sich durch alle Tunnel und Brücken Südkoreas. Nicht nur das der wichtige Bauplan gleich zu Anfang aus versehen durchgerissen wurde und mit Tesa wieder geklebt werden musste, es stehen auch überall Retter herum die ständig Tee trinken oder irgendetwas essen, dazu eine schamlos freche Medienmeute, profilierungssüchtige Politiker, fehlerhafte Unterlagen, dann ein Hinweis auf Tierquälerei durch Hundehalter und am Ende wird sogar die gesamte Bevölkerung Südkoreas als wenig empathisch dargestellt. Kaum einer nimmt seinen Job ernst, alle dödeln rum und nur Jeong-Su, seine Ehefrau, der Einsatzleiter und der Klassik-Sender sind hier die Sympathieträger der Story. „Bin ich denn hier nur von Idioten umgeben“ murmelt der Einsatzleiter dann auch an einer Stelle treffend. Schon die erste Szene an der Tankstelle ist ein Hinweis auf den Pfusch aller Orten, denn nicht einmal der Tankwart macht seinen Job richtig. Diese Art von kritischen Anspielungen sind wahrlich selten im Hochglanzkino der südkoreanischen Leistungsgesellschaft und formen Tunnel so zu einem unaufdringlich vielschichtigen Katastrophenfilm, der ganz auf den Bombast eines Actionhelden-Kinos verzichtet.
Tunnel ist spannend und abwechslungsreich, leicht und entspannt inszeniert und mit geschickten Anspielungen an gesellschaftliche Missstände gespickt. Das, und der Verzicht auf kernige Helden, macht Tunnel zu einer angenehmen Filmüberraschung, die einem nicht den Filmabend versaut.
Das Bild der mir vorliegenden Blu-ray ist gut, satt und sauber, der Ton und die Synchronisation sind gut. Als Extra gibt es diverse Trailer.
Trailer: