Nach all dem Popcornkino, welches wir bei den Medienhuren besprochen haben, wird es heute einmal Zeit, ernsthaftes, deutsches Kulturgut zu besprechen. Da trifft es sich hervorragend, dass aus dem Hause MR. BANKER FILMS / CARGO RECORDS diese erwachsene Märcheninterpretation für ein intellektuell ausgereiftes Publikum bei mir eingetrudelt ist. Karl Dall, der später in Sunshine Reggae auf Ibiza seine Qualitäten als ernstzunehmender Charaktermime vorzeigen konnte, tritt hier allerdings nur in einer Nebenrolle in Erscheinung und spricht mit fremder Zunge.
Alternativtitel: Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald
Drehbuch und Regie: Franz Josef Gottlieb
Darsteller: Dagobert Walter, Francy Fair, Barbara Scott, Karl Dall, Herbert Fux
Artikel von Christian Jürs
Dass die Märchen der Gebrüder Grimm ursprünglich nicht als Gute-Nacht-Geschichten für unsere Kleinsten gedacht waren, ist bekannt. Gert Günther Hoffmann, jahrelang Stammsprecher von Sean Connery, weist uns aus dem Off trotzdem erstmal auf diesen Umstand hin. Ebenso auf die Ambition der Filmemacher, hier eine authentische, nicht jugendfreie Version des Hänsel und Gretel Stoffes zu vermitteln. Welchen Stoff Drehbuchautor und Regisseur Franz Josef Gottlieb (Zärtliche Chaoten) während der Produktion eingenommen hat, bleibt aber sein ewiges Geheimnis.
Hänsel (Dagobert Walter) ist in dieser Version kein Kind (von Traurigkeit) mehr, sondern ein stattlicher, junger Mann, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben scheint, es Gretel (Francy Fair) unbedingt besorgen zu wollen. Bevor Ihr jetzt empört im Strahl kotzt – nein, das Hänsel und die Gretel sind diesmal keine Geschwister, sondern ein frisch verliebtes Pärchen. Doch die fesche Gretel, die gerne mal zwei neckische Zöpfe trägt, das kleine Luder, ist nicht bereit für Hänsels versprochene 20cm (das sind nicht 20 Zentimeter, nie im Leben, kleiner Hänsel). Sie ist der Auffassung, dass derartige Schweinereien der Ehe vorbehalten sind. Doch damit will sich der Hans nicht abspeisen lassen. „Sei doch mal progressiv!“ raunzt er ihr immer und immer wieder entgegen (echt, der Typ ist derart aufdringlich, dass er heute bestimmt einen Haufen Klagen am Hals hätte!). Verwirrt, nutze ich die Google-Funktion meines Handys und stelle fest, dass „progressiv“ ein heute nicht mehr gebräuchlicher Begriff für modern ist (hätte ich mir auch denken können). Außerdem stelle ich bei seinen Ausrufen fest, dass der komplette Film synchronisiert wurde und Dagobert Walter mit der sympathischen Stimme von Uwe Friedrichsen seine fragwürdigen Sätze von sich gibt. („Ich könnte auch in den Puff gehen, aber ich will nicht, da Du mir etwas bedeutest.„)
Doch Gretel denkt gar nicht daran, progressiv zu sein, sie läuft dem Hänsel lieber davon und in den Wald hinein. Dort steht plötzlich die Knusperhexe vor dem uneinigen Pärchen, hoch zu Ross mit herauslukenden Sahnetüten. Gespielt wird sie von der Schwedin Barbara Scott und nicht, wie auf dem Cover erwähnt, von „Ellen Fenech„, wer immer das sein soll?! Vielleicht die Schwip-Schwägerin der wundervollen Edwige Fenech (Der Killer von Wien)?
Diese bietet den beiden jedenfalls an, einige Zeit auf ihrem Schloss zu verbringen, was das Pärchen, dass scheinbar nichts besseres vorhat, gerne annimmt. Vor Ort bittet Gretel die Dame des Hauses dann um zwei Einzelzimmer, um die Etiquette zu wahren, was Hänsel erneut aufgebracht Progressivität von seiner Gretel fordern lässt (was findet sie eigentlich an dem aufdringlichen Spinner?). Doch ihr Wunsch wird ihr gewährt, sie bekommt tatsächlich das „Gretelzimmer“ für die Nacht. Doch leer ausgehen muss Hänsel nicht, denn die sexy Hexe lässt nix anbrennen und baggert zunächst Hänsel und anschließend auch die Gretel an, die zwar dem Hänsel widerstehen kann, bei der Schlossbesitzerin aber gern die prallen Möpse hüpfen lässt…
So – und nur so, haben sich die Gebrüder Grimm mit Sicherheit ihre Geschichte gedacht, unterlegt mit schräger Beatnikmusik und schalen Witzchen aus der Klamottenkiste. Womit wir endlich bei Karl Dall angekommen sind, der als Oswald der Schnitzer gerne obszöne Figürchen aus Holz schnitzt und aus der Ferne als Spanner dem wilden Treiben immer wieder beiwohnt. Leider will das Karl Dall-Feeling aber nicht so recht aufkommen, hat man ihn doch mit fremder Stimme nachsynchronisiert. Ich weiss nicht, ob Karl keine Zeit hatte oder mit dem Schwachsinn schlichtweg nichts mehr zu tun haben wollte. Da er aber später in Machwerken wie Dirndljagd am Kilimandscharo ebenfalls zugegen war, schließe ich letzteren Punkt aus. Immerhin sprach sich Herbert Fux selbst ein. Dieser gibt den Haus- und Stallmeister, der gerne über die Magd (Erika Kambach) ´rüberrutscht und Gretel im späteren Verlauf auch unsittlich bedrängt. #metoo gab es damals halt noch nicht.
Lass uns knuspern, Mäuschen kann auf der Habenseite mit drei vorzeigbaren, des Öfteren nackig auftretenden Damen aufwarten. Hier und da gelang Regisseur F.J. Gottlieb auch die ein- oder andere atmosphärisch-schöne Aufnahme, wie eine surreale Albtraumsequenz Hänsels, in der die Hexe in Suspiria-artiger Farbgebung die Vampirbeißerchen fletscht. Größtenteils gibt es aber nur Humor der geistig gesunde Gehirne zum Schmelzen bringen dürfte. Neben dem ständig dauerkaspernden Dall müssen wir zum Beispiel Situationen beiwohnen, wie die, in der Hänsel seinen Gaul nicht in den Griff bekommt. Diesen benötigt er, um durch die Gegend zu galoppieren, damit er seine Gretel finden kann, die aber gerade nackig mit der Hexe durch die Büsche hüpft. Sie ist halt progressiv veranlagt.
Wer hier „gute“ Unterhaltung vermutet, den muss ich bitter enttäuschen. Dafür dürfen Trashfans ein Fest feiern, denn selten gar war das Videoband im Verleih von VMP – Video Medienpool. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, diese Hülle irgendwo mal in einer hiesigen Videothek erblickt zu haben (aber ich hab auch nicht danach gesucht, ehrlich gesagt).
Es ist immer wieder erstaunlich, was so mancher Verleiher da aus den Untiefen der Videohölle ausgräbt und auf DVD bannt. So ist es hier dann auch nicht verwunderlich, dass qualitativ leider nur ein VHS-Rip, anstelle eines glänzenden 4K-Masters zum Einsatz kam. Guckbar ist der Film in dieser Qualität allemal und es ist unwahrscheinlich, dass jemals eine bessere Qualität in den Untiefen irgendwelcher Verleihkeller aufgefunden wird. Als Bonus liegt noch die US-Fassung bei, die einen Offkommentar vom lieben Oswald besitzt. Diesen kann man, aufgrund der wirklich miesen Tonqualität dieser Version, jedoch kaum verstehen. Beim Bild sieht es leider nicht besser aus. Ist aber nicht so wild, ich bleibe bei Uwe Friedrichsen, der immer wieder fordert: „Nun sei doch endlich mal progressiv!„