Verbrechen lohnen sich doch. Sie müssen nur schwer genug sein, dann wird irgendwer daher kommen und einen Film über mich machen – Bücher, Interviews und Artikelstrecken inklusive. Es ist kein Wunder, dass Amokläufer und Serienmörder gerne alles über inspirierende Wahnsinnige sammeln, bevor sie selber zur Tat schreiten. Nun also wieder ein Film über Ted Bundy, einem Vorzeigeirren, der bis kurz vor seiner Hinrichtung keinen seiner über 30 Morde gestanden hatte. Ist No Man of God also ein Film, der das reale Grauen der Opfer erneut für den Thrill ausnutzt und Ted Bundy als charmant-manipulative Plaudertasche darstellt, in seiner Kindheit stöbert und ihn letztendlich zum Gewinner macht? Mitnichten. Das Drehbuch ist ein echtes Kammerspiel und basiert auf originale Tonbandaufnahmen, die der FBI Profiler Bill Hagmaier mit Ted Bundy machte, und der im Laufe der vielen Gespräche am Ende zu seinem besten Freund wurde. Doch neben einem spannenden und sehr konzentrierten True-Crime-Drehbuch, erfährt der Film auch noch eine fulminante Regie durch Amber Sealy, die für diesen Film einen fantastischen Ansatz fand. CAPELIGHT PICTURES bringen das Thriller-Kleinod nun u.a. als Mediabook heraus.
Originaltitel: No Man of God
Regie: Amber Sealy
Darsteller: Elijah Wood, Luke Kirby, Aleksa Palladino, Robert Patrick
Artikel von Kai Kinnert
Im Jahr 1980 wird Serienmörder Ted Bundy (Luke Kirby) zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt und im Staatsgefängnis von Florida inhaftiert. In den Jahren danach legt er kein umfassendes Geständnis über die 30 Morde ab, die er begangen haben soll. FBI-Profiler Bill Hagmaier (Elijah Wood) soll das ändern. Tatsächlich lässt sich der charismatische Straftäter auf den sanftmütigen Täteranalytiker ein. Hagmaier gelingt es, eine persönliche Bindung zu Bundy aufzubauen, die mit jedem Gespräch intensiver und komplizierter wird. 1989 ist der Serienkiller endlich bereit, über die Details seiner Verbrechen zu sprechen – aber nur mit einem Mann: Bill Hagmaier.
In diesem kleinen Film stimmt einfach alles. Mein Güte, die Regisseurin hat es drauf. Eigentlich ist der Streifen sogar genial. Doch, Obacht. Natürlich ist dies Interpretationssache. Das hier ist kein blutiger Film, hier gibt es keine Rückblicke in die Vergangenheit, hier bleibt man weitestgehend an einem Tisch… wechselt mal den Raum, fährt auch mal Auto, bindet eine Krawatte oder steht am Fenster. In No Man of God gibt es nur das Wort und die Geste – die Bewegung am Tisch, einen Blick, das Klappern der Fußfessel, einen Einstellungswechsel.
Profiler Hagmaier findet den richtigen Weg zur Öffnung Bundys, das Drehbuch zitiert in den Dialogen die originalen Tonbandaufnahmen und Amber Sealy findet den richtigen Weg zur Übermittlung des Grauens, ohne das Grauen je zu zeigen. Stattdessen gibt es einen gut gespielten Dialog und diese kleinen Details, die an der richtigen Stelle, wohl dosiert, eine enorme Wirkung zeigen. Etwa, wenn Bundy sich im Gespräch bewegt und die Kette der Fußfessel bedrohlich spannt, die Hand sich bewegt, eine plötzliche Körperbewegung sprengt die Stille… Ted Bundy ist impulsiv und gefährlich, unter seiner gefälligen und gebildeten Oberfläche lauert der Abgrund. Ihm gegenüber sitzt der unscheinbare Agent Hagmaier, der sich auf das Gespräch einlässt. Er wird den richtigen Weg zu Ted Bundy finden.
Der große Clou in diesem Film ist seine Atmosphäre, die Verlagerung der Spannung auf kleine Details und einem großartigem Schnitt. Amber Seady unterbricht das Verhör an einigen Stellen, streut dokumentarisches Material ein, welches aber nichts mit dem Bundy Fall zu tun hat, sondern nur die private und gesellschaftliche Zeit beschreibt, in der Bundy…und die lauernde Gefahr…ihr Unwesen trieb. Noch immer, heute wie damals. Es ist Teil von uns, wie Ted Bundy es Hagmaier weis zu machen versuchte. Er, Ted Bundy, sei nicht verrückt, er hätte sich nur anders entscheiden. In dem Hagmaier ihm folgen kann… und will… öffnet sich Bundy, ohne dabei je seine Bedrohlichkeit zu verlieren. Luke Kirby spielt Ted Bundy gut, er ist austauschbar und energetisch zugleich, ihm gegenüber Elijah Wood als Hagmaier, beide zusammen tragen den Film in bestens gespielter Spannung, zu keinem Zeitpunkt verliert der Film seinen Fokus und treibt so, im Understatement, die Spannung zwischen den Figuren stets voran. Und als der Film endlich zum Klimax findet, Bundy gesteht, ist es nur der Wahn, der aus Bundy spricht, ein akustisch verwaschener Zusammenhang, Andeutungen, Wortfetzen, Blicke und Tränen von Hagmaier,
Mögen diese auch zu viel gewesen sein, die einzig schwachen Sekunden im Film sind die Tränen von Elijah Wood, leistet Amber Sealy, mit ihrem Blick auf das verbriefte Gespräch zwischen Ted Bundy und Agent Hagmaier, doch großes filmisches Können. Das Tolle an dem Streifen ist, das man ihn auch für 10.000 Euro hätte drehen können – nur ohne die Besetzung und ohne die Regie. Jede Einstellung ist überlegt, das minimalistische Setting zu keinem Zeitpunkt langweilig, alles erzählt nach vorne, man ist gerade zu gespannt darauf, wann Ted Bundy endlich den Mund aufmacht, wann sein Gehirn endlich den Abgrund frei gibt, den es sich mit Normalität zu erklären versuchte.
Der Film lässt Ted Bundy keinen Gewinn, er war der Typ, der mit allen Tricks an bildungseifriger Geschwätzigkeit seine Hinrichtung aufzuschieben hoffte. Ein Irrer, der im Gegenüber die Erklärung für sein Handeln suchte und bei dessen Hinrichtung die Bevölkerung vor der Gefängnismauer Grillpartys veranstaltete. Die Aufnahmen vom Gefängnis sind die einzigen Originalaufnahmen in diesem Film. Das Volk jubelt.
No Man of God ist ein packendes Thrillerdrama, bestens gespielt durch Luke Kirby und Elijah Wood. Regisseurin Amber Sealy betrachtet Ted Bundy durch eine nüchterne Brille und führt so die Gespräche in eine atemlose Spannung. Brillant ist der langsame Zoom auf eine Assistentin während des letzten TV Interviews mit Bundy, das Erschrecken, das sich langsam in ihren Augen abzeichnet, während Bundys Worte verwischen und die Filmmusik in perfekter Stimmung übernimmt. Überhaupt der Soundtrack. Die Filmmusik von Clarice Jenkins ist hervorragend.
Einen gewichtigen Teil an der gelungenen Atmosphäre in No Man of God macht nicht nur die gute Lichtsetzung und spannende Kameraführung aus, gepaart mit einem gekonnten Schnitt, sondern auch die stimmige Filmmusik. Elektro-Sound der 80er, reduziert und sphärisch. Der Sound webt sich durch die Bilder, es kommt fast Stimmung wie in Maniac auf. Nicht ganz so, aber es gibt so analoge Vibes in Bild und Ton, die diesen Streifen in ähnlich atmosphärische Metaebenen heben.
Rundum ein spannend fokussierter Profiler-Film, mit wenig Geld bestens inszeniert, groß in der Spannung und in der Atmosphäre, gekonntes Kino eben. Jede Minute ist packend, dies ist ein kleiner-großer Serienkillerfilm, der ohne körperliche Gewalt den Abgrund nahbar macht. In dem Film ist nichts harmlos, hinter jedem dokumentarisch eingestreuten Ausschnitt des Alltags lauert die Gewalt, richten sich die Härchen auf, weiten sich die Pupillen. Hagmaier begibt sich auf seinen Pfad.
No Man of God ist ein 100minütiger Spannungsbogen, der Agent Bill Hagmaier zum Zentrum der Handlung hat und die Zügel nicht locker lässt. Ein tolles Kammerspiel, das ganz in einer Reihe mit David Finchers spannender Serie Mindhunter (2017-2019) steht, in der die Profiler-Interviews von Agent John Douglas verfilmt wurden. Definitiv gelungen.
Das Bild der Blu-ray und DVD ist gut, satt und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es interessante Interviews mit Elijah Wood, Luke Kirby und Aleksa Palladino, Kinotrailer, den deutschen Kinotrailer und ein informatives 24seitiges Booklet.