Das Weihnachtsfest rückt unaufhaltsam näher und das stellt Unsereins, die zwischen den Fressorgien gerne auf der heimischen Couch verweilen und sich von entsprechenden Filmen berieseln lassen, vor die alljährliche Wahl des Programms. Capelight Pictures hat mit SILENT NIGHT – UND MORGEN SIND WIR TOT (2021) kürzlich einen etwas anderen Festtagsfilm im Heimkino veröffentlicht, der die ausgelassene Stimmung um eine tragische wie auch nachdenkliche Note ergänzt, die auffallende Parallelen zur aktuellen gesellschaftlichen Situation aufweist. Ob es sich hierbei um sehenswertes Programm für die Feiertage handelt, erfahrt ihr in unserer Kritik.
Originaltitel: Silent Night
Drehbuch & Regie: Camille Griffin
Darsteller: Keira Knightley, Matthew Goode, Roman Griffin Davis, Annabelle Wallis, Sope Dirisu, Lily-Rose Depp, Kirby Howell-Baptiste, Lucy Punch…
Artikel von Christopher Feldmann
Es ist doch immer dieselbe Situation zu Weihnachten. Die Liebsten wurden beschenkt, das Festtagsessen wurde verzehrt und man selbst, meist schon sichtlich von der Fressorgie gezeichnet, sehnt sich danach, in den Gammel-Dress zu schlüpfen und sich auf die Couch zu werfen, damit der qualvolle Verdauungsprozess starten kann. Lediglich der Fernseher sorgt dabei für die Ablenkung von der körperlichen Verfassung und was gibt es denn schöneres, als sich in die Decke einzukuscheln und Weihnachtsfilme zu gucken. Natürlich greift man dabei auf alt bewährtes zurück, nämlich die Klassiker. Egal ob KEVIN – ALLEIN ZU HAUS (1990), SCHÖNE BESCHERUNG (1989), TATSÄCHLICH… LIEBE (2003) oder die etwas härtere Gangart mit STIRB LANGSAM (1988) und TÖDLICHE WEIHNACHTEN (1996), mindestens einer dieser Kandidaten landet eigentlich immer im Player. Da ist es doch auch mal erfrischend, sich von einem Film überraschen zu lassen, der das klassische Geplänkel unter dem Weihnachtsbaum aufgreift, daraus aber etwas ganz ungewöhnliches macht. Dieser Film könnte SILENT NIGHT – UND MORGEN SIND WIR TOT (2021) heißen, der das Ganze zur Dramedy umfunktioniert und eine interessante Variante des alljährlichen Trubels abbildet. Das ist wirklich sehenswert, auch wenn die Realität den Film leider längst überholt hat.
Handlung:
Die Familie rund um das Ehepaar Nell (Keira Knightley) und Simon (Matthew Goode) lädt Freunde und deren Anhang zu einem ausgiebigen Weihnachtsfest ein. Gefeiert wird in einem großen Haus auf dem Land und die Harmonie zwischen allen Beteiligten entpuppt sich als nicht immer so rosig wie gedacht. Ein typisches Weihnachtsfest also. Doch ein Umstand macht daraus dann doch etwas Besonderes, denn am Folgetag steht der Untergang der Menschheit vor der Tür. Eine giftige Wolke zieht über die Welt und wird einen qualvollen Tod mit sich bringen. Erleichtert wird den Menschen das Ende der Welt durch eine sogenannte „Exit“-Pille, die das Ableben schmerzlos macht. Und so ergibt sich ein letztes Weihnachtsfest für die Feiernden, das eine ganze besondere und tragische Note mit sich bringt…
SILENT NIGHT wirft die Frage auf, wie es denn wäre, wenn der Weihnachtsabend den letzten Abend überhaupt darstellen würde. Würdet ihr in Selbstmitleid versinken und euch gar verkriechen? Oder würdet ihr diesen besonderen Abend noch einmal zelebrieren und ein letztes Mal in Sorglosigkeit mit euren Liebsten schwelgen? Eine wirklich interessante Frage, wobei der Film Letzteres abbildet. Dabei bedient man sich bei den üblichen Feiertagsfilmklischees, indem allerlei Menschen eintrudeln, die alle auf ihre Art und Weise ihr Päckchen zu tragen haben, um sie am aufeinander krachen zu lassen. So gibt es das übliche Chaos und besonders Gastgeberin Nell hastet von einem Brandherd zum nächsten, um ein möglichst perfektes Fest zu gewährleisten. Das sind eben die klassischen Turbulenzen, die natürlich für eine gewisse Lockerheit sorgen, sich vertraut anfühlen und den Figuren auch einige schöne Screwball-Elemente zugestehen.
Die herannahende Bedrohung bringt natürlich eine ganz eigene Dynamik ins Spiel, mit der der Film zu jonglieren versucht. Es werden Geheimnisse aufgedeckt und unausgesprochenes wird sich von der Seele geredet, wodurch das Ganze vom locker leichten Festtagsgebaren schnell in ein schwarzhumoriges, teilweise bitteres Kammerspiel umschlägt, fast wie DER GOTT DES GEMETZELS (2012) in der Christmas-Edition. Allerdings kratzt das Drehbuch schlussendlich lediglich an der Oberfläche. Die Ansätze sind gut und dennoch wünscht man sich, dass das Drehbuch konsequenter wäre, den nahenden Tod noch mehr einbeziehen und mit den unterschiedlichen Dynamiken noch weiter gehen würde. Es fehlt das gewisse Etwas, weswegen man das Gefühl hat, dass SILENT NIGHT irgendwie mit etwas angezogener Handbremse fährt und es an wirklichem Biss mangelt. Das Szenario bietet darüber hinaus Platz für etwas Öko-Kritik, zumindest habe ich die tödliche Wolke als Anspielung auf die Klimakrise interpretiert. So nehmen die Erwachsenen dies einfach hin und bereiten sich auf das daraus resultierende Ableben vor, während lediglich Sprössling Art noch Hoffnung sieht und das Leben nicht abschreiben möchte. Ob dies eine Versinnbildlichung der „Fridays-for-Future„-Bewegung sein soll, sei dahingestellt, es würde zumindest Sinn machen.
Allerdings hat der Film mit der gegenwärtigen Corona- und Impfpolitik zu kämpfen und das, obwohl er bereits vor der Pandemie gedreht wurde, was von der Regisseurin Camille Griffin auch unnachgiebig betont wird. Wer möchte, kann hier ziemlich auffallende Parallelen entdecken, die fast schon erschreckend das aufzeigen, was Verschwörungsheinis so von sich geben. Hier hat die Regierung nämlich eine Art Selbstmordpille ausgegeben, die ein schmerzfreies, friedliches Ableben ermöglicht, noch bevor die Todeswolke die Menschen ereilt. Art zweifelt an der Maßnahme und äußert die Hypothese, dass die Wolke vielleicht gar nicht tödlich ist und man per Exitus-Pille die Möglichkeit auf ein Weiterleben im Keim erstickt. Es ist eben fast so, als würde ein Impfgegner behaupten, dass das Corona-Virus gar nicht so schlimm ist und man sich nicht bedenkenlos einer Injektion unterziehen sollte, auf die Vater Staat pocht. Diese Interpretation muss man natürlich nicht teilen, es ist allerdings auch unübersehbar. Pandemie-Leugner und Impfverweigerer sollten sich diesen Film deshalb lieber nicht ansehen.
Trotz der Schwächen und des faden Beigeschmacks rettet die gut aufgelegte Besetzung vieles. Keira Knightley, die ich komischerweise schon lange nicht mehr gesehen habe, ist als Hausherrin, die auf Krampf das „letzte Abendmahl“ unbeschwert feiern möchte, ganz fantastisch. Auch die restliche Besetzung, bestehend aus Matthew Goode, Annabelle Wallis, Sope Dirisu, Lilly-Rose Depp und Kirby Howell-Baptiste, ist ebenfalls ein Genuss mit viel Spielfreude und guten Dialogen, was bei einem kammerspielartigen Film wie SILENT NIGHT auch unerlässlich ist. Der größte moralische Kompass ist allerdings Roman Griffin Davis, der bereits in JOJO RABBIT (2019) großartig aufspielte und auch hier glänzen kann. Die Inszenierung von Camille Griffin (übrigens die Mutter des Jungstars) weiß ebenso gefallen und findet stimmungsvolle Bilder, die sowohl die ausgelassene Weihnachtsstimmung als auch den Drama-Aspekt gut einfangen.
Die Blu-ray, die uns Capelight Pictures freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatten, überzeugt mit glasklarem Bild und guter Tonqualität. Neben einem Wendecover ohne FSK-Flatschen bietet die Scheibe lediglich eine Trailershow als Bonus.
Fazit:
SILENT NIGHT – UND MORGEN SIND WIR TOT (2021) ist der etwas andere Weihnachtsfilm, der für Abwechslung im Festtagsprogramm sorgen könnte. Stimmungsvoll inszeniert, gut geschrieben und hervorragend gespielt, in letzter Konsequenz aber nicht bissig und kraftvoll genug, um wirklich begeistern zu können. Den faden Beigeschmack, für den der Film per se nichts kann, möchte ich dabei gar nicht so arg in die Waagschale legen.
Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film