Aus chronologischer Sicht neigen wir uns langsam aber sicher dem Ende der Edgar-Wallace-Reihe zu und obwohl noch vier weitere Filme folgen sollten, markierte DER MANN MIT DEM GLASAUGE (1969) bei Erscheinen schon einen gewissen Endpunkt, war der Krimi doch nicht nur der letzte Wallace-Reißer klassischer Bauart, sondern auch die letzte Regie-Arbeit Alfred Vohrers bei Rialto Film generell. Ob das verfrühte Abschiedsfest, in dem sich hübsche Tänzerinnen, Bauchredner und Messerwerfer aber auch sinistere Mädchenhändler tummeln, nach dem doch sehr trashigen DER GORILLA VON SOHO (1968) nochmal an alte Tugenden anknüpfen kann, erfahrt ihr im Artikel.
„Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“
Drehbuch: Paul Hengge
Regie: Alfred Vohrer
Darsteller: Horst Tappert, Karin Hübner, Stefan Behrens, Hubert von Meyerinck, Fritz Wepper, Christiane Krüger, Ilse Pagé, Rudolf Schündler, Jan Hendriks, Harry Wüstenhagen, Narziß Sokatscheff, Friedel Schuster, Harry Riebauer, Iris Berben…
Artikel von Christopher Feldmann
Mit dem schnell zusammengeschusterten DER GORILLA VON SOHO (1968), der sich zum Leidwesen der zahlenden Zuschauerschaft als lieblos alberne und ausgesprochen schmierige Neuauflage des Wallace-Klassikers DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (1961) entpuppte, erntete Produzent Horst Wendlandt viel Kritik und vor allem unvorteilhafte Presse. Und auch wenn sich das Projekt finanziell lohnte, verprellte man einige Fans, die der Krimi-Serie endgültig den Rücken kehrten. Trotzdem hielt man bei Rialto Film und dem Kinoverleih Constantin Film an dem Vorhaben fest, die Reihe fortzuführen. Bereits während der Arbeit am Vorgänger wurde das Drehbuch zu DER MANN MIT DEM GLASAUGE (1969) festgestellt, in dem Horst Tappert erneut den Ermittler geben sollte, wollte man ihn doch als neuen Inspektor der Wallace-Reihe aufbauen, nachdem Joachim Fuchsberger und Heinz Drache die Serie verlassen hatten. Jenes Skript stammte ursprünglich von Ladislas Fodor und trug den Titel DIE GRAUSAME PUPPE, wurde aber von Paul Hengge überarbeitet und in DER MANN MIT DEM GLASAUGE umbenannt, eine Prozedur, die auch schon bei IM BANNE DES UNHEIMLICHEN (1968) stattfand. Herausgekommen ist dabei ein Krimi, der zwar tonal und stilistisch perfekt in die späten 1960er Jahre passt und den Wandel der Edgar-Wallace-Filme nahtlos fortsetzt aber in seinem Erscheinungsjahr vermutlich auch schon etwas altbacken wirkte. Und trotzdem mag ich diesen Streifen aus unterschiedlichen Gründen. Aber dazu später mehr.
Handlung:
Als in einem Londoner Hotel der Geschäftsmann Mr. Jefferson (Kurd Pieritz) von einem unbekannten Messerwerfer ermordet wird, findet die Polizei lediglich ein ominöses Glasauge bei dem Toten. Kurze Zeit später fällt Jeffersons Geliebte, eine Tänzerin bei den berühmten „Las Vegas Girls“, einem Giftanschlag zum Opfer. Ein Fall für Inspektor Perkins (Horst Tappert) von Scotland Yard, der gemeinsam mit Sergeant Pepper (Stefan Behrens) die Ermittlungen aufnimmt und bald auf einen zwielichtigen Billardclub mit dem Namen „Das Glasauge“ stößt, in dem jenes als Zugang für besondere Dienste benutzt wird. Bald schon stoßen die Ermittler auf eine Verschwörung zum Menschenhandel und zum Drogenschmuggel, jedoch fordert der unbekannte Messerwerfer seine Opfer vorzugsweise auf der Seite der Gangster.
Mit DER MANN MIT DEM GLASAUGE endete in gewisser Weise die Edgar-Wallace-Reihe, war es doch der letzte Film, der nach klassischen Mustern gedreht wurde. Bereits kurz darauf folgte die erste deutsch-italienische Ko-Produktion, die die Marke mehr in Richtung Psychothriller lenkte und sich deutlich von der deutschen Machart abgrenzte. Dabei muss man feststellen, dass Alfred Vohrers letzter Beitrag zum Franchise sich auf der einen Seite durchaus den damals aktuellen Themen anbiedert und den Zeitgeist aufgreift, andererseits aber auch herrlich klassisch anfühlt und mit all den Albernheiten und Skurrilitäten daherkommt. die man als Wallace-Fan oder generell als Freund pulpiger Kost sehen möchte.
Man erkennt durchaus, dass man gewillt war, eine kleine Modernisierung vorzunehmen. Statt klassischer Erbschleicher-Story und der Frau in Nöten, die vom heldenhaften Scotland-Yard-Schnüffler gerettet werden muss, geht es hier etwas provokanter zur Sache. Mädchenhandel ist hier das zentrale Thema, werden doch hübsche Tänzerinnen von skrupellosen Gangstern verschleppt, um an südamerikanische Bordelle verschachert zu werden. Eigentlich ziemlich misogyner Tobak für die sonst so drolligen Whodunits aber auch ein Zugeständnis an ein moderneres Publikum, für die die sonstigen Bausteine, mit denen die Autoren in den vergangenen Jahren ihre Krimis nach bewährtem Rezept zusammenbastelten „Opas Kino“ darstellten. Es galt die Wallace-Filme etwas flotter, knackiger und auch freizügiger zu gestalten, nicht umsonst gibt es vor dem ersten Mord in einem schicken Londoner Hotel erstmal nackte Brüste zu sehen. Allerdings hat man, und das ist das kuriose an dem Film, die Themen geändert aber die Erzählstruktur und die üblichen Ingredienzien beibehalten. So treten auch hier der Inspektor und sein alberner Sidekick in Erscheinung, es gibt konstruierte Plotlines, die ineinanderlaufen und am Ende wird der Täter entlarvt. Dazwischen gibt es ein paar Leichen und mindestens so viele Albernheiten und Altherren-Witze. Wirklich modern ist DER MANN MIT DEM GLASAUGE leider nicht aber interessant und spaßig, wenn man ihn im zeitlichen Kontext betrachtet. Mit der Originalität ist es auch so eine Sache, insgesamt ist das Fodor/Hengge-Drehbuch relativ vorhersehbar und natürlich absichtlich verkompliziert. Tatsächlich ähnelt die Geschichte auffallend stark der des Bryan-Edgar-Wallace-Krimis DAS PHANTOM VON SOHO (1964), für den Fodor ebenfalls das Skript beisteuerte. In beiden Filmen geht es um Mädchenhandel und einen Messermörder mit Rachemotiv. So geht Recycling!
Auffällig sind natürlich die „frivolen“ Gags, mit denen die Macher versuchten, ein junges Publikum zu begeistern. So gibt es direkt zu Beginn einen Barkeeper, der Sir Arthur etwas vom „Blasen“ erzählt, damit etwas schön steif bleibt. Dass die beiden über eine Dessertspeise reden, wird schnell aufgelöst. Insgesamt ist es natürlich hauptsächlich der leicht senile und über alle Maßen inkompetente Polizeichef, der für derartige Scharmützel sorgt, attraktive Tänzerinnen begafft und seiner Sekretärin gerne den Hintern tätschelt. Ein Humorlevel, auf dem auch in gewisser Weise Inspektor Perkins und sein Assistent Pepper agieren, wobei letzterer mit einer derartigen Blödel-Art aufspielt, dass es schon schwer erträglich ist. Aber dafür wird der Zuschauer mit hübschen Damen und überraschend blutigen Morden belohnt. Nicht dass hier der Lebenssaft in Strömen fließen würde, jedoch fließt hier mehr Blut als man es von Edgar Wallace gewohnt ist. Natürlich dürfen auch halbseidene Figuren wie ein creepy Bauchredner oder ein drogenabhängiger Lord nicht fehlen, der Besuch beim zwielichtigen Kuriositätenhändler ist dabei ebenso gesetzt wie die Bud-Spencer/Terence-Hill-Prügelei im Billardclub. DER MANN MIT DEM GLASAUGE bietet viel Quatsch aber mit genug Spaß am eigenen Material, dass es eine Freude ist. Zumindest hat man den Quatsch hier weitaus besser im Griff als noch beim Debakel DER GORILLA VON SOHO.
Natürlich bemüht man sich nicht mehr wirklich um Atmosphäre, wie dies noch in der Schwarz/Weiß-Ära der Fall war. Bereits die Credits präsentieren sich als bunte Leuchtreklame, Edgar Wallace ist anno 1969 eher grelle Krautsploitation-Ware, als stimmungsvolle Kriminalfilmkost mit Grusel-Faktor. Jedoch portraitierte diese Form von Schmier niemand besser als Alfred Vohrer, der hier zum vierzehnten und letzten Mal einen Film für die Wallace-Reihe inszenierte. Stilistisch hält sich das Ganze an die vorhergegangenen Filme, die ebenfalls alle von Vohrer gedreht wurden. Die übertriebene Schauspielführung, das komödiantische Timing, die skurrilen Einfälle und der schrille Mix aus Kriminalfilm und Pulp-Klamotte, alles bewährte Vohrer-Elemente, die auch hier zum Einsatz kommen. Lustigerweise geriet sein nächster Film SIEBEN TAGE FRIST (1969), ebenfalls mit Tappert als Ermittler, weitaus seriöser und auch düsterer.
Als Zuschauer bekommt man noch einmal ein Stelldichein aller Wallace-Darsteller, die der Reihe bis Dato noch erhalten geblieben sind. Zum zweiten Mal spielte Horst Tappert den Inspektor und auch wesentlich liebenswürdiger als noch im Vorgänger. Sein Partner Stefan Behrens, der hier den verhinderten Uwe Friedrichsen ersetzte, ist hingegen eine echte Zumutung und so ziemlich das Schlimmste am Film, da er lediglich den Comic-Relief gibt und dabei auch noch absichtlich spricht wie ein Vollidiot. Wenn man von einem Vollidiot spricht, sollte man auch direkt von Sir Arthur sprechen, der hier wieder von Hubert von Meyerinck verkörpert wird und das in gewohnt liebenswürdig schriller Art. Natürlich ist die Figur vollkommen überdreht aber ich habe meinen Spaß mit ihr, genauso wie mit der liebenswürdigen Ilse Pagé, letztmals als Miss Finley zu sehen. Die weibliche Hauptrolle verkörpert indes Karin Hübner, die zuvor in der deutschen Version des Musicals MY FAIR LADY berühmt wurde. Sie spielt die Rolle der Yvonne Duvall hervorragend zwischen warmherzig, traurig und unangenehm kühl. Weitere bekannte Wallace-Gesichter sind Ewa Strömberg, Rudolf Schündler, Harry Wüstenhagen, Jan Hendriks, Tilo von Berlepsch und Harry Riebauer. Mit Ausnahme von Riebauer waren alle zum letzten Mal in einem Film der Reihe zu sehen. Ursprünglich sollte Günther Stoll die Rolle des drogensüchtigen Bruce Sheringham übernehmen, da er aber zu alt für den Part war, wurde er von Fritz Wepper ersetzt, der hier zum ersten Mal mit Horst Tappert zu sehen ist. Beide avancierten fünf Jahre später zum beliebten Ermittlerduo und drehten gemeinsam 281 Folgen DERRICK (1974-1998). Ihr Schauspieldebüt hingegen gab hier Iris Berben und wie vor kurzer Zeit erst bekannt wurde, entwickelte sich zwischen ihr und Wepper eine kleine Set-Romanze.
Für die Filmmusik zeichnete sich abermals Peter Thomas verantwortlich, dessen Kompositionen hier wieder deutlich besser funktioniert und auch griffiger waren als noch beim vorhergegangenen Film.
Gedreht wurde der Film November/Dezember 1968. Die Innenaufnahmen fanden ebenfalls zum letzten Mal in den Ateliers der CCC-Studios statt. Für die Außenaufnahmen drehte man ebenfalls in Berlin, unter anderem diente das Hotel Gehrhus als Kulisse für Schloss Sheringham und das Theater des Westens fungierte als Londoner Odeon-Theater. Die Hafenszenen wurden derweil in Hamburg gedreht. Regieassistentin Eva Ebner und Kameramann Karl Löb flogen noch nach London und filmten das Nachtleben in der Stadt. Daraus wurde schließlich der Vorspann gebastelt. Wer den Film sieht wird merken, dass komischerweise das Schicksal des von Harry Riebauer gespielten Gangsters Bob offen bleibt. Tatsächlich wurde dessen Verhaftung gedreht, aus unerfindlichen Gründen aber nicht in die Kinofassung integriert. Die Tanzszene der „Las Vegas Girls“ stammt übrigens aus dem Revuefilm SCALA – TOTAL VERRÜCKT (1958).
Mit einer Freigabe ab 16 Jahren feierte DER MANN MIT DEM GLASAUGE am 21. Februar 1969 seine Premiere. Die Kritik war zwar wohlwollender als es noch bei DER GORILLA VON SOHO der Fall war, allerdings fielen die Besucherzahlen etwas schwächer aus und bei Umfragen kam der Film schlechter weg, als sämtliche Rialto-Produktionen der Saison 68/69. Dieser Umstand und auch die Tatsache, dass sich der Publikumsgeschmack verändert hatte, bewegten Wendlandt zu einer Neuausrichtung der Marke. Aber dazu an anderer Stelle mehr.
Fazit:
Mit DER MANN MIT DEM GLASAUGE (1969) endete noch als klassisch zu betitelnde Ära auf einer soliden Note. Alfred Vohrers Abschiedsvorstellung bietet nochmal ein Sammelsurium an Kuriositäten, albernen Zoten und gefälligen Krimi-Zutaten, wie man von Edgar Wallace gewohnt ist, zumindest in der Farbfilm-Ära. Ein unterhaltsames Vergnügen.
Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film
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