Bei Turbine Medien wird bekanntlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Nun hat das Label einem der ambitioniertesten und zugleich auch teuersten deutschen Filme der jüngeren Geschichte eine Rundumsorglos-Veröffentlichung spendiert. Uli Edels bis die kleinsten Rollen starbesetzte Geschichtsaufarbeitung DER BAADER MEINHOF KOMPLEX (2008) ist just als, mit Bonusmaterial vollgepackte, Mediabook-Edition im hauseigenen Shop erschienen. Wir haben uns das Mammutwerk über das dunkelste Kapitel der deutschen Nachkriegszeit noch einmal angesehen und verraten euch, ob sich der Kauf lohnt.

Originaltitel: Der Baader Meinhof Komplex

Drehbuch: Bernd Eichinger, Uli Edel; nach dem gleichnamigen Sachbuch von Stefan Aust

Regie: Uli Edel

Darsteller: Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Katharina Wackernagel, Alexandra Maria Lara, Jan Josef Liefers, Heino Ferch, Nadja Uhl, Simon Licht, Tom Schilling…

Artikel von Christopher Feldmann

Als sich 1970 die „Rote Armee Fraktion“, kurz RAF, gründete, begann eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegszeit. Die nach Vorbild südamerikanischer Guerillas agierende Gruppierung war für zahlreiche Anschläge, Überfälle, Geiselnahmen und auch Morde verantwortlich und vertrat eine stark linksextremistische Gesinnung. Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Horst Mahler gelten als Gründungsmitglieder der deutschen Terrorgruppe und waren die führenden Köpfe der ersten Generation. Ihren „Höhepunkt“ erreichten sie von September bis Oktober 1977, eine Zeit, die heute als „deutscher Herbst“ bekannt ist und zu den größten Krisen der Bunderepublik zählt, die damals von einer Serie von Anschlägen überschattet wurde. Offiziell aufgelöst wurde die RAF erst 1998 und bis heute konnten nicht alle Mitglieder gefasst werden. Die Geschichte, von den Anfängen im Jahr 1967 bis hin zur Eskalation im eben erwähnten Schicksalsjahr, wurde vom ehemaligen Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust zu Papier gebracht und unter dem Titel DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX als Sachbuch im Jahr 1985 veröffentlicht. Als der NDR 2005 vorschlug, ein Dokudrama über die Baader-Meinhof-Gruppe zu produzieren, das zum 30. Jahrestag der Schleyer-Entführung ausgestrahlt werden sollte, und damit an Filmproduzent Bernd Eichinger herantrat, der bereits mit DER UNTERTANG (2004) auf große Resonanz stieß, bestand dieser auf einen Spielfilm. Gemeinsam mit weiteren Anstalten des öffentlichen Rundfunks und Geldern aus Filmförderungsprogrammen stemmten Eichinger und Regisseur Uli Edel das Projekt, welches ein Budget von über 13 Millionen Euro verschlang. Dabei hielt man sich sklavisch an Austs Sachbuch und war um möglichst viel Authentizität bemüht. Und auch wenn DER BAADER MEINHOF KOMPLEX (2008) nicht frei von vor allem dramaturgischen Problemen ist, sehenswert ist das prominent besetzte Historien-Spektakel allemal.

Handlung:

Deutschland in den 70ern – eine Epoche des Terrors! Die von Andreas Baader (Moritz Bleibtreu), Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) gegründete Rote Armee Fraktion – RAF – hat der Bundesrepublik den Krieg erklärt. Die US-amerikanische Politik in Vietnam, dem Nahen Osten und der Dritten Welt, die von führenden Köpfen der deutschen Politik, Justiz und Industrie unterstützt wird begreifen sie als das neue Gesicht des Faschismus. Und auf ihrem brutalen Feldzug schrecken sie vor keinem Mittel zurück: Attentate, Entführungen Morde. Ausnahmezustand! Obwohl ihnen die Ermittlungsbehörden pausenlos auf den Fersen sind, lässt sich die Spirale der Gewalt nicht aufhalten. 1977 findet die Terrorwelle mit dem Deutschen Herbst schließlich ihren erschütternden Höhepunkt…

Das Unterfangen einen Film wie DER BAADER MEINHOF KOMPLEX zu produzieren, gestaltete sich nicht gerade einfach, immerhin galt es eine Zeitspanne von zehn Jahren auf zweieinhalb Stunden zu komprimieren. Daraus kristallisiert sich das größte Problem, das ich mit dem Film habe, wirkt das Ganze stark fragmentarisch, denn eine wirkliche Handlung im klassischen Sinne ist hier nicht auszumachen. Dies ist vor allem Eichingers Ansatz geschuldet, das zu Grunde liegende Buch von Stefan Aust möglichst vorlagengetreu zu adaptieren. Der Produzent selbst nannte es stets eine „Fetzendramaturgie“, die dafür sorgt, dass Ereignisse ohne allzu viele Details und ohne klassischen dramaturgischen Aufbau gezeigt werden. Es sind Einzelszenen, Ausschnitte bestimmter Stationen in der Entwicklung der RAF. Dieses Konzept rechtfertigte man mit der Idee, die Taten in den Vordergrund zu stellen und nicht die Täter, die entsprechend wenig zur Identifikation einladen. So wirkt die historische Aufarbeitung wenig filmisch, viel mehr sprunghaft und auf einzelne Kernelemente ausgelegt. Mit hohem Tempo prasseln die Informationen auf den Zuschauer ein, sodass man den Film mit wachem Auge und viel Konzentration schauen sollte, damit man auch alles greifen kann. Schließlich ist es die Aufgabe eines jeden Einzelnen, das entsprechende Gesamtbild zusammen zu puzzeln.

Es braucht schon Figuren wie die des BKA-Chefs Horst Herold, der mit dem hinzugedichteten Assistenten über den Ursprung des Terrorismus in der Welt und die Beweggründe der RAF plaudert, damit man selbst auch nach über der Hälfte des Films nicht vergisst, worum es eigentlich geht. So ist das Skript sehr darauf ausgelegt, dem jeweiligen Betrachter keine Atempause zu gönnen, in DER BAADER MEINHOF KOMPLEX geht es, trotz des historischen Kontext, erstaunlich actionreich zur Sache. Es wird geschossen, Verfolgungsjagden entspinnen sich, stets geschmückt mit viel Detailverliebtheit bezüglich des Zeitkolorits und einer ganzen Wagenladung an Statisten. Es kommt immer wieder das Gefühl auf, dass die Macher versuchten, einen Spagat zwischen vorlagengetreuer Abhandlung historischer Fakten und auch etwas Unterhaltungskino zu vollführen. Langweilig wird es nie, so richtig schlüssig oder gar erhellend wird es nie. Was bleibt ist ein flotter Abriss, eine Mischung aus Dekontextualisierung und mit Pyrotechnik inszeniertes Mahnmal. Heutzutage würde man mit solch einem Projekt eher bei Netflix anklopfen und daraus eine Mini-Serie schustern, die sich mehr Zeit für Hintergründe, Figurenkonstellationen, Beweggründe und die Psychologie der Protagonisten nimmt. Dies wäre gemessen am Material der vermutlich bessere Ansatz.

Nichts desto trotz muss man Eichinger und Edel die Herangehensweise anrechnen, immerhin hätte das Ganze auch leicht eine mit Revolutionsromantik und Pathos aufgeladene Kitschshow werden können. Zwar kommt auch Edel nicht ohne entsprechende Momente aus, dessen Inszenierung ist aber zum größten Teil über jeden Zweifel erhaben. Das hohe Budget macht sich bemerkbar und die Liebe zum Detail, zur Ausstattung und zum ganzen zeitlichen Kontext zahlt sich aus. Anstatt mit entsprechenden Hits, Kostümen und Kulissen ein Nostalgiefest abzubrennen, bleibt der Film erstaunlich nüchtern und konzentriert sich auf die Sache, die Wahl der Ausstattung ist dezent aber dominiert nie die Ereignisse. Auch in Sachen Gewalt geht Uli Edel nicht gerade zimperlich zu Werke, mit seinen zahlreichen expliziten Einschüssen und Gewaltakten ist DER BAADER MEINHOF KOMPLEX um ein vielfaches härter und kompromissloser als jeder deutscher Kinofilm der letzten Jahre, zumindest was den Mainstream betrifft. Nicht umsonst gab es damals einiges an Schelte für die Darstellungen und auch die FSK reagierte zuerst zimperlich.

Auch tummelt sich in der Besetzung alles was Rang und Namen hat und bis in die Kleinstrollen ist der Film hochprominent besetzt. Im Grunde ist der Film ein Ensemblestück, gibt es doch keine klare Hauptfigur. Zwar sind Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck in ihren Rollen das eigentliche Zentrum, der Film vermeidet es allerdings, zu dicht an sie heranzutreten. Das ist löblich und angenehm ambivalent aber sorgt auch für eine Distanz. Zwar überzeugt nicht jeder Darsteller und jede Darstellerin (dafür wirken manche Sätze auch etwas hölzern und gestelzt), insgesamt kommt hier aber jeder Freund des deutschen Kinos auf seine Kosten. Eine solche Dichte an Prominenz, mit derartigem Aufwand inszeniert, ist mir seitdem nicht mehr vor die Augen gekommen.

Die Mediabook-Veröffentlichung aus dem Hause Turbine Medien lässt indes keine Wünsche offen. Die Edition ist in zwei verschiedenen Cover-Motiven erhältlich und hervorragend ausgestattet, so ist neben der bekannten Kinofassung erstmals auch die Langfassung in HD enthalten. Die Bildqualität ist sehr gut, den Ton gibt es neben den 2.0- und 5.1-Versionen auch erstmals in Dolby Atmos und das für beide Filmversionen, die übrigens auch als Hörfilmfassungen vorliegen. Neben einem 60-seitigen Buchteil mit Texten zur Drehbuchentwicklung und der Entstehung des Films beinhaltet das Mediabook mehrere Featurettes mit insgesamt rund drei Stunden Laufzeit, einen Audiokommentar mit Regisseur Uli Edel (Kinofassung) und eine Bonus-Doku mit dem Titel ANDREAS BAADER – DAS LEBEN EINES STAATSFEINDES. Auf einer dritten Blu-ray befindet sich noch die preisgekrönte Doku BLACK BOX BRD von Andres Veiel, erstmals in HD. Für jeden Sammler ein absoluter Kauftipp.

Fazit:

Uli Edels DER BAADER MEINHOF KOMPLEX (2008) ist sehenswertes Historienkino, prächtig ausgestattet und hochkarätig besetzt. Der Ansatz, das Ganze ohne wirkliche Dramaturgie und mit gewisser Distanz zu den Figuren zu inszenieren, wird nicht jedem schmecken. Wer sich allerdings darauf einlassen kann, bekommt ein zweieinhalbstündiges Spektakel serviert, der dem unkundigen Zuschauer zumindest eine temporeiche Geschichtsstunde beschert. Zusammenhänge und Details sollte man aber nach der Sichtung nochmal mit entsprechender Literatur vertiefen.

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

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