1980 sang Annette Humpe mit ihrer Band IdealIch fühl‘ mich gut, ich steh‘ auf Berlin!„. Hörspielmacher Constantin Wiedemann, der für das Label WOLFY OFFICE das hier vorliegende Werk inszenierte, hat da eine ganz andere Meinung. Sein Hörspiel handelt von sexualisierter Gewalt, Suizid und Drogenmissbrauch, wie uns die einleitenden Worte vorweg warnen. Sein Berlin ist dreckig und obszön. Christiane F., ick hör dir trapsen…

Regie: Constantin Wiedemann

Sprecher: Werner Wilkening, Stephanie Preis, Constanze Buttmann, Henrike Tönnes, Philip Bösand

Artikel von Christian Jürs

Manchmal, da macht es richtig Laune, Film-, Buch oder Hörspielkritiken zu verfassen. Da setzt man sich auf seinen Allerwertesten und schreibt einfach los. Ohne wenn und aber sprudeln die Worte nur so aus einem heraus. Manchmal allerdings, gibt es diese Werke, bei denen es einfach schwierig ist, einen Ansatz zu finden. Nun, dies ist mir hiermit geglückt, wenn auch nicht sonderlich gut, denn bislang habe ich ja noch gar kein Wort über Berlin… ich hasse dich! verloren. Immerhin haben mein Text und dieses Hörspiel nun etwas gemeinsam: Das ist nämlich ebenfalls nicht gut.

Werner Wilkening

Neben der inhaltlichen Warnung werden wir zu Beginn darüber aufgeklärt, dass die dargebotenen Texte nicht unbedingt mit den Meinungen der jeweiligen Sprecher übereinstimmen muss. Ob da wohl der ein- oder andere Beteiligte drauf bestanden hat? Ich würde es gut verstehen. Denn was uns hier von Hörspielregisseur Constantin Wiedemann geboten wird, ist dreckig, obszön, schockierend… und maßlos überzogen.

Klar, je größer die Stadt, desto höher der Anteil an Armut, Kriminalität, Prostitution und des Drogenmißbrauchs. Doch was uns hier aufgetischt wird, lässt das Ghetto, in dem Charles Bronson in Death Wish 3 – Der Rächer von New York unter den Punks aufräumt, wie einen Besuch in einer Center Park Anlage wirken. Nein, hier fallen keine Worte über die schönen Seiten der Hauptstadt – und diese Ecken gibt es, ich war schon des Öfteren dort. Hier gehen Bürger gewaltsam aufeinander los, hier werden Frauen vergewaltigt, die Clubs sind überfüllt mit Koksnasen und Pillenschluckern, die sich, auf vollgewichsten Toiletten, auf denen es nach Scheiße und Kotze riecht, erstmal eine-, nein zwei oder gleich drei Lines ziehen. Journalisten, die die ermittelnde Polizei nach Lösungen fragen, werden von leitenden Beamten schlimmer angeraunzt als das Opfer einer hier stattfindenden Vergewaltigung. In Berlin… ich hasse dich! ist wirklich jeder ätzend – das gilt wirklich für alle Charaktere, egal ob Opfer oder Täter – niemand ist sympathisch. Hatte Annette Humpe am Ende doch nicht recht mit ihren lobenden Worten über Berlin?

Stephanie Preis

Natürlich habe ich verstanden, warum hier so verfahren wird. Es ist jedoch kontraproduktiv, wenn jeder, ja, wirklich jeder auftretende Charakter einfach nur unsympathisch rüberkommt. Auch, dass man mittenhineingeworfen wird in die Szenerie, ohne nähere Erklärungen, ist wenig hilfreich. Es dauert lange, bis man überhaupt rafft, dass hier drei Schwestern im Vordergrund stehen, die allesamt durch die Hölle gehen. Ein wenig selbstverschuldet, beim geschilderten Elternhaus aber auch keine wirkliche Überraschung. Denn der Vater der Mädchen ist das schlimmste Scheusal unter allen. Aber der Reihe nach. Um Euch genau zu erklären, worum es hier geht, kopiere ich einmal flink die Inhaltsangabe, die auf der Homepage von Wolfy Office zu finden ist:

Im heutigen Berlin bekommen die aus einem kleinen Dorf stammenden Schwestern Bella, Vanessa und Saskia zu spüren, was es bedeutet, in einer Großstadt zu leben… Doch es ist nicht nur irgendeine Großstadt; es ist die Hauptstadt von Deutschland. Schnell verlieren sie sich hoffnungslos in Berlin.

Von den Eltern abgelehnt und ihrer Umwelt hintergangen, geraten sie in einen Sumpf von Drogen, Gewalt und Missachtung.

Auch Saskias Freundin Linne denkt über einen Umzug in die Hauptstadt Berlin nach und welche Rolle spielt Bellas zufällige Bekanntschaft Valentina?

„Berlin… ich hasse dich!“, ein Episodenstück von der Kälte und Grausamkeit dieser Stadt.

Constanze Buttmann

Klingt ambitioniert und ist es im Grunde auch, allerdings fehlt hier nach meinem Empfinden das Gespür für Feingefühl, eine Geschichte, die das Publikum bewegt, zu erzählen. Stattdessen wird mit dem Holzhammer um sich geschlagen und leider auch Regie geführt. Und so klingen die zahlreichen Sprecher teilweise gelangweilt und gestelzt. Schlimmstes Beispiel ist die weibliche Erzählstimme, die betont, als wäre sie den Körperfressern zuvor zum Opfer gefallen. Das ist offensichtlich beabsichtigt, erschließt sich mir jedoch nicht und wirkt extrem störend.

Wie hat man sich das Ganze denn nun vorzustellen? Nun, anfangs begleiten wir „Bella“, eine der Schwestern, die einen jungen Mann trifft, der gerne an den Bahngleisen spazieren geht (was schon sehr vertrauenserweckend wirkt). Dort findet dann auch das erste Treffen der beiden statt. Ein wirklich vertrauensvoller Typ ist er, der ihr, gleich nach den ersten Schritten, Gras und Pillen anbietet – ich hättte Rosen zum Date mitgebracht. Wir hören Bella aus dem Off, die mit jedem Treffen mehr Unbehagen verspürt. Ihre Worte werden auch gerne von der Erzählerin monoton wiederholt. Bella findet ihren Begleiter so unangenehm, dass sie sich vor den folgenden Treffen vermehrt mit Wodka zuschüttet. Schließlich kommt es zur Vergewaltigung durch den Kerl, der dabei (und beim anschließenden Telefonat noch mehr) klingt, als wolle er Satan höchtpersönlich vertonen. Beim Papa hilfesuchend, weist dieser seine Bella arschlochartig ab. Er will nur noch seine Ruhe. Warum, dass erfahren wir später. Auch die Telefonseelsorge, an die sich Bella wendet, verhält sich arschig: „Ich wurde vergewaltigt!“ – „Aha, haben Sie sich wenigstens gewehrt?“ – Da klingt die Bestellannahme beim Burger King Drive motivierter.

Philip Bösand

Mag sein, dass ich in der kleinen Hansestadt Lübeck einfach zu behütet aufgewachsen bin und dass mir daher schlichtweg die Sicht auf das Ganze fehlt. Natürlich gibt es naive, junge Mädchen, die vom richtigen Weg abkommen. Natürlich gibt es Arschlochväter, die ihren Kindern nicht beistehen, natürlich ist die Welt auch schlecht, wir brauchen derzeit nur die Nachrichten einschalten oder uns die Lachsmileys unter schrecklichen Meldungen auf Facebook anzuschauen, um zu wissen, dass es sie gibt, die Menschen da draußen, die umgehend ihren Lebensberechtigungsschein abgeben sollten. Doch was uns hier aufgetischt wird, ist wirklich harter Tobak. So auch der Club, den eine der Schwestern mit ihren Freundinnen besucht, übrigens eine Gruppe junger Kokserinnen und MDMA-Konsumentinnen. Die Mädels koksen ohne Unterlass und überlegen aufgrund überfüllter Toiletten, schnell mal in die Ecke zu pissen. Verständlich, wenn man den bildlichen Schilderungen der Kloräume Glauben schenkt. Schön auch, dass eine der jungen Frauen, als sie endlich die Kloschüssel erreicht, völlig dicht gegen die bereits vollgewichste Wand kotzt. Oh man. Da scheint ein Besuch im Titty Twister besser für die eigene Gesundheit zu sein.

Im Hause Wolfy Office muss man sich bereits bewusst gewesen sein, dass die Nummer hier keine hohen Wellen schlägt. Kein Vergleich mit so großartigen Dramen wie Arzu, in dem es um Ehrenmord geht oder dem Radiodrama Fünf nach Acht, in dem ein potentieller Selbstmörder live im Programm anruft. Aus diesem Grund entschied man sich wohl auch, Berlin… ich hasse dich! nicht in physischer Form zu veröffentlichen. Eine weise Entscheidung.

Für mich ist Berlin… ich hasse dich! leider ein Satz mit X. Da guck ich lieber nochmal Uli Edels Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo.

Amazon-Links:

Amazon Music

Zurück zur Startseite