Seit kurzer Zeit ist der deutsche Heimkino-Markt um einen echten Klassiker reicher, der sein längst überfälliges HD-Upgrade spendiert bekam. Mit ZEUGIN DER ANKLAGE (1957) verfilmte nämlich niemand geringeres als Regie-Legende Billy Wilder einen mitreißenden wie auch humorvollen Gerichtskrimi, basierend auf dem gleichnamigen Werk von Krimi-Königin Agatha Christie. Capelight Pictures hat das Meisterwerk nun in eine angemessene Mediabook-Edition gepackt, die den Film in bestmöglicher Qualität präsentiert. Warum Cineasten daran nicht vorbeikommen, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Witness for the Prosecution

Drehbuch: Billy Wilder, Harry Kurnitz, Larry Marcus; nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Agatha Christie

Regie: Billy Wilder

Darsteller: Charles Laughton, Marlene Dietrich, Tyrone Power, Elsa Lanchester, John Williams…

Artikel von Christopher Feldmann

Billy Wilder gilt als einer der größten Regisseure der Filmgeschichte, der besonders in den 1950er Jahren zu Ruhm und Ehre gelangte. Lieferte der 2002 verstorbene Filmemacher mit SUNSET BOULEVARD (1950) noch eine beißende, im Kern dramatische Meta-Kritik auf die Traumfabrik Hollywood, widmete er sich im Anschluss vermehrt leichten Stoffen und inszenierte eher im komödiantischen Fach und das mit großem Erfolg bei Publikum und Kritikern. Mit DAS VERFLIXTE 7. JAHR (1955) sorgte er beispielsweise für einen der legendärsten Filmmomente, nämlich das durch die U-Bahn-Abluft aufgewirbelte Kleid von Marilyn Monroe. Die Hollywood-Ikone war auch Hauptdarstellerin, neben Tony Curtis und Jack Lemmon in Wilders MANCHE MÖGEN’S HEIß (1959), dem Komödien-Klassiker schlechthin. Auf sein Konto geht zudem der Rom-Com-Klassiker DAS APPARTEMENT (1960). Das dazwischen eine Agatha-Christie-Verfilmung zu finden ist, erscheint dabei etwas außergewöhnlich. Und trotzdem ist ZEUGIN DER ANKLAGE (1957) viel mehr ein klassischer Billy-Wilder-Film als ein Christie-Kriminalstück und das ist auch gut so, verleiht der Regisseur der wendungsreichen Geschichte um einen Mordprozess seinen eigenen leichtfüßigen Anstrich, der dafür sorgt, dass der Spaß nicht zu kurz kommt.

Handlung:

Im Mordfall der wohlhabenden Witwe Emily French deuten alle Indizien auf ihren verheirateten Verehrer Leonard Vole (Tyrone Power) als Täter hin. Seine Unschuld beteuernd, hofft er, dass der gerissene Anwalt Sir Wilfrid (Charles Laughton) einen Freispruch für ihn erkämpft. Als jedoch Voles Ehefrau Christine (Marlene Dietrich) in den Zeugenstand gerufen wird, offenbart sie dem Gericht schockierende Geheimnisse, die das Alibi ihres Mannes gehörig ins Wanken bringen.

Für die Umsetzung des Films, der auf der Kurzgeschichte TRAITOR’S HANDS (1925) von Agatha Christie basiert, welche nach ihrer Erstveröffentlichung unter dem bekannten Titel WITNESS FOR THE PROSECUTION vertrieben wurde, nahm sich Wilder mit seinen Co-Autoren Harry Kurnitz und Larry Marcus einige Freiheiten. Zwar ist die Geschichte im Kern dieselbe, jedoch orientierte man sich stärker an der gleichnamigen Theateradaption, für die Christie ihrerseits ein neues Ende schrieb, das dem Ganzen etwas mehr Kraft verleihen sollte. Man könnte somit behaupten, dass es sich hier eher um die Verfilmung eines Theaterstücks als um die Adaption eines literarischen Werks handelt. Aber auch für die Filmversion fügte man einige Elemente hinzu, die dazu dienten, die Handlung etwas komödiantischer zu gestalten. So geht die Figur der gestrengen Krankenschwester „Miss Plimsoll“ auf das Konto der Drehbuchautoren und auch die Szenen außerhalb des Gerichts, einschließlich der Rückblende ins Nachkriegsdeutschland, sind Neuerungen, um den Film runder zu machen.

Ein Geniestreich, möchte man behaupten, denn ZEUGIN DER ANKLAGE präsentiert zwar eine interessante und auch spannende Geschichte, in bester Agatha-Christie-Tradition, die natürlich nicht ohne spektakuläre Wendungen auskommt, allerdings funktioniert der Film auch wunderbar als Krimikomödie, die besonders von den Wilder-typischen Screwball-Elementen lebt, die die Filme des Regisseurs so großartig machen. Besonders das Spiel von Hauptdarsteller Charles Laughton sollte dabei hervorgehoben werden. Der, in Groß-Britannien, geborene Schauspieler verkörpert den Strafverteidiger „Sir Wilfrid Robarts“ mit einer Bravour, die ihresgleichen sucht. Besonders im Zusammenspiel mit seiner Krankenschwerster, die von Laughtons Ehefrau Elsa Lanchester verkörpert wird, eröffnen sich ganz neue Dimensionen an bestem Comedy-Timing. Jede Szene, in der er sich im Clinch mit seiner Pflegerin befindet und sich heimlich über deren Regeln hinwegsetzt, ist pures Gold und absolut fantastisch gespielt und geschrieben. Ein perfektes Beispiel dafür, dass Humor nicht immer ein Kind seiner Zeit sein muss und ein Ablaufdatum besitzt. Im Fall von ZEUGIN DER ANKLAGE sind die Screwball-Momente zeitlos gut, ebenso wie in Wilders MANCHE MÖGEN’S HEIß (1959). Auch die restliche Besetzung kann dabei natürlich glänzen. Sei es Tyrone Power als unscheinbarer Angeklagter, der verzweifelt nach einem Strohhalm sucht, um einer Verurteilung zu entgehen oder natürlich Leinwandlegende Marlene Dietrich, die als Ehefrau des Angeklagten ein nicht zu durchschauendes Spiel spielt. Die Hauptdarsteller sind wirklich erlesen und geben dem Film noch eine gewisse Extraportion Klasse, die beispielsweise das gleichnamige TV-Remake aus dem Jahr 2016 nicht mehr besitzt.

Betrachtet man sich die reine Handlung, die den Mord an einer reichen Witwe als Stein des Anstoßes präsentiert, dann folgt der Film klassischen Motiven, die man auch in anderen Justizkrimis, sowohl im Film- als auch im Serienbereich, vorfindet. Von den widersprüchlichen Aussagen, dem Kreuzverhör, bis hin zur Suche nach fehlenden Beweisen sind hier sämtliche Tropes vertreten, was aber auch daran liegt, dass ZEUGIN DER ANKLAGE einer der Filme ist, die diese Tropes salonfähig machten und als Genre-Standard etablierten. Betrachtet man den Film mit jungfräulichem Auge, dann wird man den finalen Twist natürlich ab einer bestimmten Szene kommen sehen, erkennt man doch recht schnell, wer hinter einer mysteriösen Figur steckt, die ich an dieser Stelle nicht namentlich benennen möchte. Die daraus resultierende Auflösung ist dabei natürlich immer noch clever aber eben nicht mehr so wahnsinnig überraschend. Das ist aber ein Umstand, dem ich einem Film von 1957 nicht übel nehmen würde.

Im Falle von Billy Wilders Christie-Verfilmung ist vielmehr der Weg das Ziel. Es ist erstaunlich, wie sehr er auch gerade in seiner Inszenierung mit den Tonalitäten spielt, Ereignisse behutsam vorbereitet und dabei auch an die innere Logik denkt. Anders als bei vielen Thrillern unserer Zeit wirkt hier so gut wie nichts forciert, kein Twist scheint erzwungen, das Gesamtwerk wirkt logisch und raffiniert ausgearbeitet. Wilder schafft es Komödie und Kriminalfall perfekt zu kombinieren und den Zuschauer durch einen doch sehr heiteren Aufbau in die eigentliche Spannung zu führen. Das ist ganz große Filmkunst, die man als Cineast unbedingt gesehen haben sollte, immerhin wurde der Film sechsmal für den Oscar nominiert und vom American Film Institute auf Platz Sechs der besten Gerichtsfilme aller Zeiten aufgenommen. Absolut verdient.

Capelight Pictures hat den Klassiker nun endlich in das HD-Zeitalter gebracht. Trotz seines Alters und der Schwarz-Weiß-Optik konnte man dem Werk ein schönes Facelift verpassen, das dem Ganzen aber wenig von seinem Charme nimmt. Das Bild ist scharf, besitzt aber ein wohliges Maß an Filmkorn, der Ton ist glasklar. Im Bonusmatetrial finden sich eine Hörbiografie über das Leben Billy Wilders, sowie die Beiträge „Billy Wilder über ZEUGIN DER ANKLAGE“ und „Monokel und Zigarren: Simon Callow über Charles Laughton“. Ein Trailer und ein 24-seitiges Booklet runden das Paket ab.

Fazit:

ZEUGIN DER ANKLAGE (1957) ist ein echter Klassiker, der sowohl als spannender Gerichtskrimi als auch Screwball-Komödie funktioniert. Billy Wilder beweist hier einmal mehr sein grandioses Handwerk und mit fantastischen Darstellern wie Charles Laughton, Tyrone Power, Marlene Dietrich und Elsa Lanchester bietet der Film noch einmal gehörige Starpower. Mit der gelungenen Mediabook-Veröffentlichung können Filmfans nun die klaffende Lücke in ihrer Sammlung schließen. Danke, Capelight Pictures!

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