Erst kürzlich präsentierte Capelight Pictures das nordische Genre-Highlight THE INNOCENTS (2021), da schiebt das Label schon den nächsten potenziellen Hit aus skandinavischen Gefilden nach. HATCHING (2022) ist zwar als Horrorfilm wesentlich konventioneller, setzt sich aber dennoch angenehm vielschichtig mit den Problemen in toxischen Familienverhältnissen auseinander und entlarvt gleichzeitig das Influencertum als reine, eine heile Welt vorgaukelnde, Fassade. Nun ist der Sundance-Hit in den hiesigen Kinos zu sehen und wir verraten euch, ob sich das Ticket lohnt.

Originaltitel: Pahanhautoja

Drehbuch: Ilja Rautsi, Hanna Bergholm

Regie: Hanna Bergholm

Darsteller: Siiri Solalinna, Sophia Heikkilä, Jani Volanen, Reino Nordin, Oiva Ollila…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Die 12-jährige Tinja (Siiri Solalinna) findet ein verlassenes Vogelei im Wald und nimmt es mit zu sich nach Hause. Wohlbehütet in ihrem warmen Bett beginnt das rätselhafte Ei bald, größer zu werden – viel größer! Es dauert nicht allzu lange, da machen sich erste Lebenszeichen unter der harten Schale bemerkbar. Was schließlich aus dem Riesenei schlüpft, hätte Tinja sich in ihren dunkelsten Träumen nicht vorstellen können …

Betrachtet man das Gros an Horrorproduktionen in Hollywood, kommt man nicht um die Tatsache herum, dass andere Länder in Sachen Originalität und Kreativität die Nase wesentlich weiter vorn haben. HATCHING (2022) ist dabei ein echtes Paradebeispiel, schafft es der Fantasy-Body-Horror doch gekonnt, sich altbekannten Jump-Scare-Prinzipien zu entziehen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein 12-jähriges Mädchen, die gelinde gesagt in einem Käfig gefangen ist, der nur nach außen hin gülden schimmert. Die Mutter betätigt sich als Vloggerin auf einem persönlichen Blog und lässt keine Gelegenheit aus, das scheinbar perfekte Familienleben ihrer Community zu präsentieren. Was die zahlreichen Follower natürlich nicht sehen, ist die Tatsache, dass familiäre Bindung und mütterliche Empathie nur vor der Kamera stattfinden und die wahren Bedürfnisse der jungen Tinja überhaupt nicht geachtet werden. Stattdessen wird sie darauf gedrillt perfekt zu sein, sich optisch ihrer Mutter anzupassen und selbst beim Turnsport werden nur Bestleistungen akzeptiert. Zieht Tinja beim Training leistungstechnisch den Kürzen, wird auch gerne mal so lange getriezt bis die Hände bluten. Zwar fügt das Drehbuch der Diskussion um die Authentizität im Influencer-Game wenig neue Impulse hinzu, wirkungsvoll bleibt die Abrechnung mit der Zurschaustellung gestellten Glücks aber allemal, zumal es sich HATCHING spart, sich in Klischees zu suhlen. Natürlich ist es einfach, die namenlos bleibende Mutter aktiv zu hassen aber auch ihr werden einige Zwischentöne gegönnt. Es gibt immer wieder Szenen, in denen sie ihrer Familie gegenüber einfühlsam ist, jedoch hat sie keinen Blick für deren wahre Bedürfnisse, was eine wahrlich toxische Atmosphäre zur Folge hat, aus der sich der Horror entwickelt.

Das früh im Film auftauchende Ei lässt sich dabei fast schon als Metapher der aktuellen Situation verstehen. Je größer es wird und je mehr es anfängt zu bröckeln, desto mehr bröckelt auch die familiäre Fassade. Die daraus schlüpfende Kreatur steht sinnbildlich für die unterdrückten Sehnsüchte und geheimen Wünsche Tinjas und je mehr das Konstrukt beginnt, in sich zusammenzufallen, desto schrecklicher sind Auswirkungen des anfänglich seltsam vogelähnlichen Wesens.

Regisseurin Hanna Bergholm gelingt es zudem, mit ihrem Film zweierlei Geschmäcker zu bedienen. HATCHING bietet genug Stoff für tiefgreifende Themen, streut Metaphern und erzählt im Kern eine Geschichte über Selbstbestimmung und das Erwachsenwerden, eingebettet in eine Mischung aus Fantasy- und Body-Horror. Aber auch ein konventionelles Publikum, das sich einfach nach guter Genre-Ware sehnt, dürfte hier auf seine Kosten kommen, gestaltet sich der kurzweilige Film doch als nicht allzu verkopft und ist somit auch für diejenigen genießbar, die keine Lust darauf haben, jede Szene interpretieren zu müssen. Mit einer Laufzeit von gerade einmal knappen 90 Minuten, ist das Ganze zudem knackig kompakt und ohne wirkliche Längen.

Gerade das Aufeinandertreffen garstiger Horrormomente, die auch gerne mal mit Blut, Schleim und Erbrochenem aufwarten, und der fast schon klinischen Ästhetik des familiären Heims, verleiht HATCHING einen besonderen Reiz. Auch die Effektarbeit ist erste Sahne. Das im Zentrum stehende Wesen, das übrigens an einem gewissen Punkt für einen konsequenten Twist sorgt, der dem Film noch eine ganz besondere Note verleiht, stammt hier nämlich mitnichten aus dem Rechner, sondern wurde von Animatronik-Designer Gustav Hoegen und Make-Up-Künstler Conor O’Sullivan zum Leben erweckt, was dem Geschehen natürlich die nötige Haptik gibt. Anders als bei mittelmäßig getricksten CGI-Monstern aus der Retortenkiste, die mittlerweile viel zu oft in zeitgenössischen Horrorfilmen eingesetzt werden, sorgt dieser Umstand für das gewisse Etwas, zumal die Kreatur auf der einen Seite hässlich wie die Nacht ist aber auf eine seltsame Art und Weise auch wieder niedlich erscheint. Jedenfalls ist das ganz große Klasse. Den Rest tragen die guten Schauspieler, wobei Siiri Solalinna natürlich den bleibendsten Eindruck hinterlässt.

Über die kommende Heimkino-Veröffentlichung von Capelight Pictures können wir derzeit keine genauen Angaben machen. Zur Sichtung lag uns ein Screener in der Originalversion mit deutschen Untertiteln vor.

Fazit:

Ob HATCHING (2022) der nächste Horror-Hit aus Skandinavien wird, bleibt abzuwarten. Dennoch handelt es sich hierbei um einen kurzweiligen, überraschend guten und vor allem handgemachten Fantasy-Body-Horror mit Coming-of-Age-Elementen, der nicht nur tiefgreifende Probleme in toxischen Familienverhältnissen behandelt, sondern auch gegen die Fakeness der Influencer-Welt wettert. Ein Film, der sowohl Arthouse-Fans als auch konventionelle Horrorfans zufrieden stellen dürfte.

Amazon-Links:

Mediabook

Blu-ray

DVD

Prime Video

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

Zurück zur Startseite