Eine Truckerin, ein kleines Mädchen und skrupellose Menschenhändler. Das klingt nicht gerade nach dem typischen ZDF-Nachmittagsprogramm und trotzdem ließ es sich das zweite deutsche Fernsehen nicht nehmen, das Spielfilmdebüt von Norwegerin Anna Gutto zu subventionieren. PARADISE HIGHWAY (2022) wartet zudem mit zwei Oscar-Preisträgern in Gestalt von Juliette Binoche und Morgan Freeman auf und auch B-Recke Frank Grillo ziert das Cover mit seinem Antlitz. Capelight Pictures veröffentlichte das Thriller-Drama kürzlich im Heimkino und ob sich die Investition unserer Zwangsabgaben gelohnt hat, könnt ihr im Artikel nachlesen.
Originaltitel: Paradise Highway
Drehbuch & Regie: Anna Gutto
Darsteller: Juliette Binoche, Hala Finley, Frank Grillo, Morgan Freeman, Cameron Monaghan, Christiane Seidel, Veronica Ferres…
Artikel von Christopher Feldmann
Das Glück muss einem ja auch mal hold sein, dachte sich der Autor dieser Zeilen, als die Blu-ray zu PARADISE HIGHWAY (2022) ins Haus flatterte. Immerhin handelt es sich um einen neuen Film mit Frank Grillo, der derzeit gefühlt ohne Verschnaufpause von einem Set zum nächsten zu wandern scheint. Persönlich mag ich den kantigen Actionrecken ja sehr, seine Rollenauswahl ist jedoch, sagen wir mal, wenig durchdacht, wenn man bedenkt, in wie vielen Low-Budget-Gurken der Mime pro Jahr auftaucht. Warum meine Erwartungen an den nun vorliegenden Streifen höher waren? Immerhin spielen mit Juliette Binoche und Morgan Freeman zwei Oscar-Preisträger und wirklich gute Schauspieler tragende Rollen und auch die Inhaltsangabe ließ mehr auf ein feinfühliges Thriller-Drama, als auf einen stupiden C-Actioner schließen. Da kann ja gar nicht so viel schief gehen, selbst wenn unser geschätzter öffentlicher Rundfunk die gierigen Griffel im Spiel hat, dachte ich zumindest. Tatsächlich ist PARADISE HIGHWAY kein schlechter Film, krankt aber an einem zähen Skript und einer zu ausgedehnten Laufzeit.
Handlung:
Die toughe Truckerin Sally (Juliette Binoche) kann es kaum erwarten, ihren Bruder Dennis (Frank Grillo) aus dem Gefängnis abzuholen. Denn mit dem Ende der mehrjährigen Haftstrafe sollen auch die Erpressungen seiner gewalttätigen Mitinsassen aufhören, die Sally dazu zwingen, illegale Fracht an Bord ihres Lastwagens über die Staatsgrenzen zu schmuggeln. Kurz vor Dennis’ Entlassung soll sie jedoch noch eine letzte Lieferung übernehmen. Nachdem sie erfährt, dass es sich dabei um ein Mädchen (Hala Finley) handelt, will Sally den Auftrag zunächst verweigern, willigt aus Angst um das Leben ihres Bruders letztlich aber doch ein. Als die Kleine am Übergabeort den Mann erschießt, der sie abholen soll, muss Sally mit ihr fliehen – verfolgt von dem pensionierten Ermittler Gerick (Morgan Freeman), einem jungen FBI-Agenten (Cameron Monaghan) und den skrupellosen Menschenhändlern, die ihre kostbare Ware um jeden Preis zurückhaben wollen.
Um ehrlich zu sein, die Geschichte, die Regisseurin und Drehbuchautorin Anna Gutto hier erzählt, konnte mich gleich zu Beginn wirklich packen. Gewalt gegenüber Kindern ist ein sensibles Thema und gerade in Verbindung mit Menschenhandel eine Sache, die mir persönlich immer irgendwie an die Nieren geht. Das Ganze als eine Art Roadmovie-Thriller zu verpacken schien auch keine schlechte Idee gewesen zu sein, zumal der Fokus auf der „Ware“ und ihrer „Lieferantin“ liegt, was eine ganz neue Perspektive eröffnet. Tatsächlich ist PARADISE HIGHWAY schlussendlich aber wesentlich konventioneller, was dem ganzen Film reichlich Wucht einbüßen lässt. „Sally“ ist eigentlich ungewollt in dieser prekären Situation und keine wirkliche Menschenhändlerin, sondern erfüllt den Auftrag nur, damit ihr im Knast sitzender Bruder keinen Ärger mit finsteren Gesellen bekommt. So wird aus der vom Leben gezeichneten Truckerin quasi eine Verbrecherin wider Willen, ständig pendelt zwischen moralischer Verantwortung und familiärer Loyalität.
Allerdings hat das Drehbuch Mühe und Not, seinen erzählerischen Fokus zu finden. Die Beziehung zwischen „Sally“ und der noch jungen „Leila“ bekommt wenig Tiefe und wird lediglich mit Dialogen aus dem Drama-Baukasten unterfüttert. Wirklich etwas zu sagen, gerade wenn es um Gewalt gegenüber Kindern geht, hat der Film nicht. Okay, es gibt die erwartbaren Statements über das fehlerhafte System und über all die Fälle, die aufgrund mangelnder Ressourcen seitens der Behörden im Sande verlaufen, wirklich etwas Neues sucht man vergebens. Aus dem anfänglichen Opfer wird auch viel zu schnell ein lebensfrohes, offenherziges Mädchen, die sich mit ihrer Fahrerin anfreundet, was fast schon das im Raum stehende Problem negiert. Auch die Beziehung zwischen „Sally“ und ihrem Bruder „Dennis“ wird nur behauptet. Warum die Frau einfach so in Kauf nimmt, dass ein Mädchen wie „Leila“ an miese Kinderschänder verschachert wird, trotz einer eigenen gewalttätigen Vergangenheit, bekommt zu keiner Zeit den nötigen emotionalen Unterbau und wirkt schlichtweg unglaubwürdig. Das sind zu große Schnitzer, die den Zuschauer immer wieder herausreißen und wie gesagt, die eigentliche Idee und auch einzelne Szenen wissen zu gefallen, am Ende wirkt aber alles sehr zerfahren, willkürlich und erwartbar, denn selbst den Twist sieht man eigentlich frühzeitig kommen.
Ebenso willkürlich wirken auch die Ermittlungen des FBI, welches in Form zweier Agenten auftritt. Diese gelangen auch stets durch den guten alten Zufall zum nächsten Ort des Geschehens, was auch unfassbar konstruiert wirkt. Das Alles sorgt dafür, dass sich die knapp zwei Stunden Laufzeit sehr zäh anfühlen. Viele Szenen wirken zu gestreckt und unnötig aufgeblasen, so dass man das Ganze mit 20 Minuten weniger deutlich runder hätte erzählen können. Ein bisschen über diese Mängel hinwegtrösten kann die gute Besetzung. Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche, die den Goldjungen für DER ENGLISCHE PATIENT (1996) einheimsen konnte, liefert als schwer vom Leben gezeichnete Truckerin eine wirklich gute Performance ab und beweist auch etwas Mut zur Hässlichkeit. Ihr zur Seite steht mit Hala Finley eine vielversprechende Jungdarstellerin, die gerade in ihren ersten Szenen wirklich eindrucksvoll spielt, später aber wenig zu tun bekommt. Morgan Freeman, der hier als altgedienter Ermittler mal wieder den Gutmenschen heraushängenlässt, hat deutlich mehr Screentime als erwartet, rentnert sich aber mehr durch seine Szenen, als das er wirklich Eindruck hinterlassen könnte. Und dann wäre da noch der gute alte Frank Grillo, der lediglich für zehn Minuten im Film ist, auch wenn er eigentlich eine tragende Rolle inne hat. Aus deutschen Landen hat man sich zudem noch Maschmeyer-Mätresse Veronica Ferres geborgt, die aber mit ihrem kurzen Gastspiel, das bis auf die letzten fünf Minuten lediglich auf der Tonspur stattfindet, keinen Schaden anrichtet.
Optisch sieht der Film trotz vermeintlich kleinem Budget relativ wertig aus. Tatsächlich gelingen Regisseurin Anna Gutto einige schöne und stimmungsvolle Aufnahmen, die dem Film etwas schwelgerisches geben, was aber nur bedingt zur eigentlichen Geschichte passt. Trotzdem ist es ganz nett, dass man dem Trucker-Kosmos hier eine kleine feministische Note hinzugefügt hat.
Capelight Pictures veröffentlichte amerikanisch-deutsch-schweizerische Ko-Produktion just als Blu-ray und DVD, sowie digital. Bild- und Tonqualität der Scheibe sind sehr gut und neben dem Trailer enthält das Bonusmaterial noch ein kleines Making-Of-Featurette. Ein Wendecover ohne FSK-Flatschen ist auch vorhanden.
Fazit:
PARADISE HIGHWAY (2022) ist leider nur ein mittelmäßiger Film, dem zwar eine gute Geschichte zu Grunde liegt, schlussendlich aber an seinem unrunden Drehbuch und zu viel Leerlauf scheitert. Gut gespielt, gut inszeniert, wirklich packen kann das Thriller-Drama aber kaum. Schade eigentlich!
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