Am 06. Juni 2020 musste die Filmwelt einen bedeutenden Trauerfall verarbeiten, denn mit Ennio Morricone verstarb nicht nur ein brillanter Musiker, sondern auch einer der prägendsten und innovativsten Komponisten in der Geschichte der Filmmusik. Giuseppe Tornatore, Regisseur des Klassikers CINEMA PARADISO (1989), zu dem witzigerweise Morricone den Score beisteuerte, setzte dem Ausnahmetalent mit seiner Dokumentation ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO (2021) ein würdiges Denkmal, das zweieinhalb Stunden in das Leben und den Kopf des Meisters eintaucht. Nachdem der Film bereits im Dezember in den deutschen Kinos gezeigt wurde, veröffentlicht Plaion Pictures das Werk nun auch in mehreren Versionen für den Heimgebrauch, u.a. in einer dicken 4-Disc-Box, in der sich neben dem Film auch ein Morricone-Konzert, sowie eine Soundtrack-CD befindet. Warum Filmfans dieses berührende Portrait nicht verpassen sollten, verraten wir in unserer Kritik.

Originaltitel: Ennio

Drehbuch & Regie: Giuseppe Tornatore

Darsteller: Ennio Morricone, Giuseppe Tornatore, Quincy Jones, Quentin Tarantino, Clint Eastwood, Barry Levinson, Bernardo Bertolucci, Dario Argento, Enzo G. Castellari, Bruce Springsteen…

Artikel von Christopher Feldmann

Redet man über legendäre Filmkomponisten, so kommen einem unweigerlich John Williams und Ennio Morricone in den Sinn. Gut, vielleicht würden diverse Menschen noch den Namen Hans Zimmer in den Ring werfen, jedoch dürfte niemand bezweifeln, dass der im Alter von 91 Jahren verstorbene Italiener der wohl einflussreichste Musiker dieser Gattung darstellt. Denkt man an Morricone, hat man unweigerlich seine originellen Arrangements und memorablen Melodien im Ohr, vor allem die zu den Italo-Western von Meisterregisseur Sergio Leone, mit denen er sich schon in den 1960er Jahren einen gewissen Legendenstatus erarbeitete. FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964), ZWEI GLORREICHE HALUNKEN (1966) oder SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (1986) sind allesamt nicht nur Genre-, sondern auch anerkannte Filmklassiker, die besonders stark von dem Genius ihres Komponisten profitieren. Zwar arbeitete Morricone lange Zeit fast ausschließlich für das italienische Kino und vertonte neben unzähligen Western auch Gialli, Krimis, Poliziotteschis und Dramen, war aber in der Spätphase seiner Karriere auch in Hollywood sehr begehrt und komponierte beispielsweise für THE THING (1982) von John Carpenter, Brian De Palmas THE UNTOUCHABLES (1987), Roman Polanskis FRANTIC (1988) oder auch IN THE LINE OF FIRE (1993) mit Clint Eastwood. Zuletzt hörte man seine Klänge in den Filmen von Quentin Tarantino. Zwar bedient sich der Kultregisseur seit KILL BILL VOL.1 (2003) regelmäßig bei der Vita des Musikers, für DJANGO UNCHAINED (2012) schneiderte dieser jedoch erstmals exklusiv ein Stück für Tarantino, für THE HATEFUL EIGHT (2015) schließlich den kompletten Score, was ihm im hohen Alter noch einen Oscar einbrachte. ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO (2021) zeichnet nochmal die beeindruckende Laufbahn des Musikus nach und lässt neben Weggefährten und Bewunderern auch den Meister selbst ausgiebig zu Wort kommen, entstand der Film doch noch vor seinem Tod. Somit bekommt der Zuschauer nicht nur ein packenden Mix aus Filmszenen, Konzertaufnahmen und vielen Anekdoten, sondern vor allem auch Informationen aus erster Hand.

Die Bewertung einer Dokumentation gestaltet sich immer etwas schwierig, besonders wenn sie das Leben und Schaffen eines Künstlers behandelt. In den meisten Fällen ist die Zusammensetzung solcher Filme immer gleich, bestehen sie doch in 99% aller Fälle aus Talking-Heads-Interviews, sowie Bildern und Filmausschnitten. Oftmals sind die eigentlichen Protagonisten gar nicht an der Produktion beteiligt, da sie entweder keine Lust dazu haben oder meistens schon aus dem Leben schieden. Im Falle von ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO ist das allerdings etwas anders. Natürlich kommen auch hier wieder einmal die bekannten Elemente einer solchen Doku zum Einsatz, der Maestro persönlich hingegen plaudert aber ebenso vor der Kamera. Allein aus diesem Grund lohnt sich schon die Sichtung dieses Films, da hier nicht nur andere Personen über den großen Ennio referieren, sondern Morricone auch selbst seine Sicht auf sein Leben und seine Karriere präsentieren darf. Es war einer der letzten Auftritt der Filmmusiklegende, denn kurz nach dem Ende der Dreharbeiten verstarb sie im Alter von 91 Jahren.

Diese Personalie gibt der gesamten Dokumentation viel mehr Persönlichkeit und Authentizität, vor allem weil der sonst so streng und reserviert wirkende Protagonist ungewohnt emotionale Töne anschlägt. Von der Kindheit in einfachen Verhältnissen über sein Studium am Konservatorium von Santa Cecilia bis hin zu den ersten Engagements und der Komponistenausbildung unter Goffredo Petrassi, nach dessen Anerkennung Morricone strebte, erzählt er seine Anfänge zu großen Teilen selbst. Natürlich sind das alles Informationen, die der Fan bereits kennen dürfte (generell gewinnt man über die gesamte Laufzeit nicht allzu viele neue Erkenntnisse) aber durch die Darstellung und Erzählweise wirken sie nicht nur wie ein abgefilmter Wikipedia-Artikel, sondern wie eine richtige Geschichte, der man nur allzu gerne lauscht.

Gerade Morricone zeigt sich gut aufgelegt und gewehrt viel Einblick in seine Arbeitsweise, etwa, dass er Partituren schreibt, ohne ein begleitendes Musikinstrument zu nutzen. Stattdessen hat er die Klänge im Kopf, was besonders schön illustriert wird, wenn er in seinem Arbeitszimmer ein imaginäres Orchester dirigiert. Seine Szenen sind die wohl schönsten im gesamten Film, der darauf angelegt ist, dem wohl bedeutendsten Filmkomponisten aller Zeiten ein würdiges Denkmal zu setzen. Das Genie Morricones kommt immer dann zum Tragen, wenn er Anekdoten erzählt, denen nach er oft mit Regisseuren über einzelne Szenen stritt, da diese eine andere Musik bevorzugten. Der Film vergleicht oft die einzelnen Versionen und zeigt, dass Morricones Version immer die bessere ist. Generell kann man ihm ein gesundes Selbstbewusstsein nicht absprechen, wenn er zum Beispiel darüber berichtet, dass Regisseure in Sachen Musik kein Mitspracherecht hätten und er sofort raus sei, wenn er nicht seine Vision umsetzen und den gesamten Score komponieren dürfe.

Abseits von Morricones persönlichen Erzählungen, ist DER MAESTRO natürlich ein klassischer Streifzug durch dessen Karriere. Besonders erwähnenswert ist dabei natürlich die Zusammenarbeit mit Sergio Leone, dessen Western er mit einem ganz neuen, originellen Klang untermalte. Aber auch der Rest seines Schaffens ist nicht weniger interessant, besonders die Tatsache, dass er sehr verärgert darüber war, weil er bei der Oscar-Verleihung 1987 leer ausging, denn laut ihm hätte er den Goldjungen für seine Musik zu MISSION (1986) gewinnen müssen. Aus Frust verließ er prompt die Veranstaltung. Immer wieder treiben ihm diese Stationen seiner Karriere die Tränen in die Augen, bei seinen Ausführungen, die schon eher in den Bereich der Musiktheorie anzusiedeln sind, ist er nicht weniger leidenschaftlich.

Für seinen Film hat sich Giuseppe Tornatore einen ganzen Schwung an Weggefährten und prominenten Bewunderern an Land gezogen, die mit viel Enthusiasmus über Morricone und dessen Musik referieren. Die Erzählungen von Freunden und Kollegen sind dabei die beeindruckendsten, da diese weitaus persönlicher daherkommen und auch Morricones Problem darstellen, sich nie wirklich akzeptiert gefühlt zu haben, immerhin war Filmmusik in dessen Anfangstagen einer eher weniger geschätzte Tätigkeit für einen studierten Maestro. Aber natürlich sind auch die Interviews mit u.a. Bruce Springsteen, Quentin Tarantino, Brian De Palma, Quincy Jones, Hans Zimmer, Dario Argento und Hollywood-Legende Clint Eastwood, dessen Karriere unmittelbar auf Morricones Klängen fußt, sehr sehenswert. Besonders lobenswert ist zudem die Tatsache, dass Regisseur Tornatore der musikalischen Bandbreite selbst genug Raum gibt, um wirken zu können. So werden immer wieder ganze Szenen aus Filmen gezeigt und auch Morricones legendäre Konzerte fließen angenehm in den Film mit ein. Das hat zur Folge, dass man als Zuschauer erst hier feststellt wie viele legendäre Stücke er eigentlich komponiert hat. Somit ist DER MAESTRO nicht nur eine Liebeserklärung an Morricone selbst, sondern auch eine Würdigung der Filmmusik im Allgemeinen.

Plaion Pictures veröffentlicht den Film in Kürze im Heimkino und macht Fans mit einer aufwändigen 4-Disc-Box ein besonderes Geschenk, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Neben der zweieinhalbstündigen Dokumentation, die sowohl als 4K-Scheibe als auch Blu-ray enthalten ist, inklusive Bonusmaterial in Form von Featurettes und Trailer, ist auch eine Konzert-Blu-ray unter dem Titel MORRICONE DIRIGIERT MORRICONE in der Box zu finden. Mit einer Soundtrack-CD, sowie einem 100-seitigem Booklet wird das Paket abgerundet. Aber auch interessierte Zuschauer, die den Geldbeutel schonen wollen, können den Film in abgespeckter Version als Blu-ray und DVD im klassischen Keep-Case erwerben.

Fazit:

ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO (2021) ist nicht nur eine einfache Dokumentation über einen verstorbenen Künstler, sondern ein würdiges Portrait über und vor allem mit einem der größten Komponisten aller Zeiten, den man unweigerlich auf eine Stufe mit Mozart, Bach oder Beethoven stellen kann. Ein berührendes Denkmal, das dem Zuschauer sofort wieder Lust macht, die ganzen von Morricone veredelten Klassiker zu sichten.

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