Wenn die geheime Quelle des Humors tatsächlich nicht die Freude, sondern das Leid ist, so wie es dereinst Mark Twain schrieb, dann könnte es bedeuten, dass Deutschland längst noch nicht genug gelitten hat. Bis es also soweit ist, dass die Talsohle erreicht ist, müssen wir uns mit extrem niedrig dosierten Ersatzstoffen abfinden. Welche das sind und welche Humorzellen Ihr unbedingt umschiffen solltet, damit befasst sich die heutige Ausgabe dieser Reihe, quasi eine kulturelle Einordnung.
Ein Essay von Manuel Hinrichs
Weil wir aber nun wirklich genügend Gelassenheit an den Tag gelegt haben, wird es jetzt Zeit für einen gezielten Hieb in das Krebsgeschwür des deutschen Filmes:
Die TV-Komödien!
Sie sind das Fastfood des Fernsehens. Keine andere Erzählform versammelt mehr Zuschauer und nimmt ihn gleichzeitig so wenig ernst. Um zu verstehen, warum wir damit zufrieden sind, muß man etwas… nun ja… graben. Ich werde also versuchen, so gründlich wie möglich zu sein. Und ja, um auch nur in die Nähe des Kernes zu kommen, können gedankliche Umwege erneut nicht ausgeschlossen werden. Man verrät ja kein Geheimnis wenn man feststellt, dass das deutsche Publikum sich bereits seit Generationen dabei wohlfühlt, sich gehen zu lassen, zotige Witze mit Grunz-Lauten zu beantworten, die Füße hoch zulegen und das Hirn auszuschalten.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Klimbim (5 Staffeln / 1973-1979), die gespielten Witze von Dietrich „Didi“ Hallervorden („Palimm, Palimm“) oder auch die Otto Waalkes-Filme („Jodeldihidi“).
Aber ganz Deutschland wusste, dass das dargebotene Niveau noch zu hoch war.
Abhilfe schufen die Filme Piratensender Powerplay (1982), Die Supernasen (1983) und schließlich Gib Gas- Ich will Spaß (1983) mit Nena und Markus (Regie: Wolfgang Büld / Manta Manta). Hier kam dann alles zusammen: Ein Drehbuch, das diese Bezeichnung nicht verdient, Schauspieler, die keine waren und Filmleute ohne visuelle Ideen. Ein Tiefpunkt im deutschen Filmschaffen.
Bevor wir nun vor Fremdscham aber vollends im Boden versinken, müssen wir erneut einen Schritt zurücktreten und uns sammeln, denn leider gehört hierzu auch die Erkenntnis, dass es in Deutschland nicht nur einen Wettstreit um die flachste Unterhaltungsware gab, mit welcher wir unsere Lust nach Schadenfreude befriedigen konnten, sondern auch um die Verbreitung von Angst. Und hier im speziellen um die Geschichte vom großen bösen Wolf.
Sie ging folgendermaßen:
Es war einmal ein Mädchen, das ein richtig schönes Zuhause hatte. Doch weil sie das nicht zu schätzen wusste, zog sie sich einen viel zu kurzen Rock an, schminkte sich und ging im Nachbardorf feiern. War die Fete vorbei, ließ Fräulein Arglos sich durchaus auch von Fremden per Anhalter mitnehmen. Und diese Fremden kannten immer Abkürzungen durch den Wald, denn sie führten meist Schlimmes im Schilde. Der deutsche Wald war nicht sicher, denn dort ließen sie die Maske des Herrn Jedermann fallen und würden ein Messer ziehen, mit dem sie das Mädchen bedrohen würden. Ein ängstlicher Blick von Fräulein Arglos, eine schnelle Bewegung von Herrn Jedermann. Abblende.
Und wenn sie nicht gestorben war, dann lebt sie noch heute? Nein, in den meisten Fällen leider nicht. Denn wenn Fräulein Arglos das „Glück“ hatte, wurde es „nur“ vergewaltigt.
In seiner Sendung Aktenzeichen XY ungelöst (seit 1967) erzählte Eduard Zimmermann Monat um Monat solche Geschichten und rief zur Mitwirkung an der Ergreifung der Täter auf. Natürlich war neben dem wohligen Schauer zur Abendstunde die Grenze zwischen Angst, Aufklärung und Bigotterie stets fließend, wie auch eine moralinsaure Aussage Zimmermanns belegte: „Frauen, die ihr Leben in Kneipen verbringen, leben gefährlich!“.
Die Botschaft war klar: Bleib lieber zu Hause und lerne, wie man eine anständige Hausfrau wird.
Okay, möge es aus heutiger Perspektive auch als „moralinsauer“ gelten, galt es damals doch als Normalität. Aber, was wissen wir eigentlich noch über diese bleierne „normale“ Zeit?
„Normal“ war zum Beispiel, dass bis zum Jahr 1962 eine Frau kein Bankkonto ohne Einverständnis des Mannes eröffnen durfte. Eine verheiratete Frau wurde erst 1969 als voll geschäftsfähig(!) anerkannt. Erst ab 1977 durfte sie sich ohne Einverständniserklärung ihres Mannes eine Arbeit suchen. Natürlich nur, wenn darunter nicht der Haushalt litt. Und wann so ein Haushalt „litt“, entschied natürlich auch der Mann! Kurz: Frauen waren lebendig begraben!
Das war der Nährboden, auf dem unsere geschlechterspezifischen Rollenbilder hervorvorragend gedeihen konnten. In diesem bigotten Sumpf forderten ganz „normale“ Bürger, dass man langhaarige Kerle, Gammler genannt, in Konzentrationslager sperren sollte. „Adolf“ hätte schon gewusst, was zu tun ist.
Eine Aussage, die von den Umstehenden mit Applaus, Applaus, Applaus bedacht wurde.
In diesem Sumpf war „Ordnung das halbe Leben“ und „Faulheit“ galt es zu bestrafen. So waren sie schon damals, diese „hartarbeitenden“ Bürger der Mitte, diese personifizierten Zierden der noch recht frischen demokratischen Gesellschaftsordnung.
Wie man an diesem Beispiel sehen kann, dürfte es nahezu ausgeschlossen sein, den Finger in diese Wunde zu legen, ohne sich des Verdachts auszusetzen, dass dies ein moralischer Zeigefinger ist.
Ich möchte die Gefahren einer nächtlichen Heimfahrt im Auto eines Fremden ja keinesfalls verharmlosen, Hohn und Spott verbieten sich angesichts des ernsten Themas ja ohnehin, aber mich würde schon interessieren, ob man vielleicht gewusst haben könnte, dass Frauen auch schon in den 1970er/1980er Jahren zu Hause in größerer Gefahr sein würden, als in einer Diskothek, inklusive An- und Abfahrt?
Immerhin war es ja jene Zeit, in welcher Frauen nahezu rechtlos waren und Männer ihren Frauen bei „misslaunigen Anwandlungen“ Frauengold mit bis zu 16,5% Alkohol verabreichen konnten. Wahrhaft „liebende“ Männer besorgten ihren „hysterischen“ Frauen „Medizin“ mit bis zu 79% Alkoholgehalt, gerne in Form von Klosterfrau-Melissengeist.
Ob nun zu Hause, oder in der Disco: Eine gute Frau war entweder eine folgsame, oder eine sedierte Frau. Ein wie auch immer gearteter Freiheitsdrang, eine eigene Meinung oder ein eigener Kopf, wurde unmittelbar bestraft. Lustige „gute alte Zeit“, was? Besonders für alle, die keine Frau waren.
„Häusliche Gewalt“ war ja noch nicht erfunden, denn sie fand medial hauptsächlich als Synonym statt. „Familiendrama“ für Deutsche, „Ehrenmorde“ für andere Herkünfte.
Aber warum? Ließen sich die Medienhäuser etwa vorher einen Arier-Nachweis zeigen, bevor sie die Bezeichnung wählten? „Wir“ und „die Anderen“… wir kommen der Sache endlich näher.
Aber weiten wir unseren Blick doch ein wenig. Was war denn noch so los?
1982 führte das nunmehr kleine Britanien auf den Falkland-Inseln einen ausgewachsenen Krieg gegen Argentinien. Zeitgleich hatte die Comedy-Truppe Monty Python ihre besten Jahre bereits hinter sich und stand nur ein Jahr später vor ihrer Auflösung.
1983 verlor dann auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt seinen Job an Helmut Kohl – und zwar durch ein Misstrauensvotum, einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.
Meanwhile: Madame Prime Minister Margaret Thatcher schickte sich an, die Betriebe ihres Landes an die Meistbietenden zu verhökern. Lovely oder very shocking, je nach Einkommen. Die Folge dieser Privatisierungswelle war Massenarbeitslosigkeit und eine frustrierte Bevölkerung. Niemals zuvor wurde den unteren Einkommensschichten ihr kleiner, mühsam erreichter Wohlstand, so schnell, so sichtbar und so schamlos abgenommen, wie in jenen Jahren.
England machte vor, wie es ging. Trotzdem dauerte es noch weitere 10-15 Jahre, bis die Agenda 2010 in Deutschland einen ähnlichen Weg beschreiten würde: In Form des größten Niedriglohnsektor in Europa ist das Resultat bis heute sichtbar.
In Deutschland wurde dieser Weg durch einen kleinen Rechentrick möglich. Von knapp 6 Millionen Arbeitssuchenden Menschen verschwand ungefähr die Hälfte in Zeitarbeitsfirmen, „Ich“-AG’s und sonstigen Maßnahmen. Chronisch Kranke, Einwanderer und solche mit einem Doppel-Pass fielen ebenfalls aus der Statistik. Simsalabim, da waren es nur noch 3 Millionen Menschen, die arbeitssuchend waren. Problem gelöst.
Für diese „Erfolgsgeschichte“ des Neoliberalismus lassen sich bis heute die damals für den Sozialabbau Verantwortlichen feiern, dass sie die hohe Arbeitslosigkeit nicht bekämpft, sondern nur weggerechnet haben.
Wie lernfähig wir aber wirklich sind, konnte man interessanterweise im August 2023 lesen.
Die Bundesregierung schickte sich an, das 2% Ziel für die Bündnisverteidigung zu erreichen.
Und womit? Natürlich mit einem Buchungstrick! Schon wieder. Anstatt das Problem also wirklich mal anzugehen, würde also schon wieder der von Juristen abgenickte Kartentrick eines Betriebswirtes die Sicherheit dieses Landes gefährden. Dieses Mal aber nicht die innere, sondern die äußere Sicherheit.
Heldengeschichten findet man in diesem Land so eher nicht.
In dem Stück Das Leben des Galilei lässt Autor Bertolt Brecht die Figur des Studenten Andrea Sarti sagen: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat!“
Darauf erwähnt Brechts Galileo Galilei:
„Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“.
So verführerisch es auch ist, Brechts Worte durch Galileios Mund in ein deutsches Mantra zu übertragen: Das Jahr 1983 wartete mit exakt so einem Helden auf!
Und er hätte an exakt jenem Ort, zu exakt jenem Zeitpunkt, nicht besser platziert werden können. Tatsächlich wäre er vermutlich der einzige Mensch dieses Planeten, der auf wirklich jedem Kontinent eine Gedenktafel verdient hätte. Nein, ich meine hier nicht Matthew Broderick.
Die Rede ist hier natürlich von Oberstleutnant Stanislaw Petrow, dem leitenden Offizier in der Kommandozentrale der sowjetischen Raketenabwehr. Aber natürlich wusste man zu jener Zeit noch nicht, dass er an dieser Schlüsselposition eingesetzt war.. im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Fall: Am 26. September 1983 bekam Oberstleutnant Petrow eine Meldung in seinen Überwachungsbunker südlich von Moskau übertragen. Das computergestützte Raketen-Frühwarnsystem der UdSSR hatte den Start einer amerikanischen Interkontinentalrakete mit Atomsprengköpfen mit dem Ziel Sowjetunion registriert.
Erwarteter Zeitpunkt des Einschlages: T minus 30 Minuten.
Da Zeit also kostbar war, errechnete der Feuerleitrechner die Koordinaten für den Gegenschlag und leitete bereits die Startprozedur für die russischen SS20 Interkontinentalraketen mit Mehrfach-Atomsprengköpfen ein. Inzwischen meldete der Computer nun minütlich je eine weitere gestartete US-Atomrakete. Innerhalb von 5 Minuten wurden nun also fünf US-Raketen im direkten Anflug auf die Sowjetunion gemeldet.
Oberstleutnant Petrow hatte bis zum errechneten Einschlag der ersten US-Rakete ein paar Minuten Zeit, seine Gegenmaßnahmen zu koordinieren. Würden allerdings 28 Minuten verstreichen, würde Russland für immer seine atomare Zweitschlagsfähigkeit einbüßen, weil das Land dann von der Landkarte getilgt sein könnte. Es war in diesen wenigen Minuten, in denen Petrow sich gegen einen atomaren Vergeltungsschlag entschied und die Meldungen, eine nach der anderen, als Fehlalarm klassifizierte. Er tat dies entgegen der Analyse seines eigenen Computers und entgegen des auch nicht gerade unerheblichen Drucks durch seine Vorgesetzten. Petrows Standpunkt war ganz einfach: Niemals würden die USA einen Erstschlag mit nur(!) fünf Raketen durchführen.
Da war er: Ein simpler Gedanke unter dem größtmöglich vorstellbaren Druck.
Der Rest ist Geschichte: Nach langen 17 Minuten stellte sich heraus, dass die Computer der russischen Überwachungssatelliten einen Sonnenaufgang und diverse Wolkenspiegelungen auf der globalen Tag/Nacht-Grenze als Startblitze von Raketenstarts in den USA fehlinterpretiert hatten.
Eine fehlerhafte Software stellte sich als Ursache heraus.
Entscheidend war aber nur eines: Es war der gesunde Menschenverstand einer einzigen Person, welcher wohl den Dritten Weltkrieg verhinderte; die atomare Zerstörung der gesamten Welt. Nachzuschauen in Peter Anthonys Dokumentation The Man Who Saved The World (2014).
Wer würde da noch behaupten, dass die Entscheidungen eines einzelnen Menschen im globalen Maßstab keine Bedeutung haben würden?
Die Schüler David (Matthew Broderick) und Jennifer (Ally Sheedy) würden da vermutlich zustimmen. Der Unterhaltungsfilm Wargames-Kriegsspiele (der Kinostart war am 7. Oktober 1983, also elf Tage nach den Vorfällen in der Kommandozentrale der sowjetischen Raketenabwehr) drehte die Prämissen der Realität um, dichtete Showeffekte hinzu, und so errechnete der gelangweilte amerikanische Analyse- und Planungscomputer WOPR (War Operation Plan Response) aus einer Spiellaune(!) heraus die Erst- und Zweitschlagsfähigkeit der USA und der UdSSR, generierte durchaus autonom(!) falsche(!) sowjetische Raketenangriffe auf die USA und stellte somit die weit verbreitete Computerhörigkeit der damaligen Generation heftigst in Frage.
In der Nachbetrachtung entbehrt das nicht einer gewissen Ironie. Denn „Zweifel“ bezüglich ihrer genutzten Technik gehören ja auch nicht gerade zu den Stärken heutiger Generationen, nicht mal der sogenannten „letzten“ Generation.
Was ich hier erneut so wortreich versuche deutlich zu machen ist, dass die 1980er Jahre bei weitem nicht so ein spaßiges Pop-Jahrzehnt war, als welches es mitunter dargestellt wird. Und ich habe hier noch nicht einmal das Waldsterben (Anfang der 1980er Jahre), die Chemieunfälle in Seveso (1976) oder Bhopal (1984) vertieft oder die auf Grund gelaufenen Öltanker Amoco Cadiz vor der Küste der Bretagne (1978) oder die Exxon Valdez vor der Küste Alaskas (1989) abgearbeitet.
Schon wieder etwas, was man heute gerne vergisst: Die Punks jener Jahre hatten sich ihr „No Future“-Mantra ja nicht einfach aus Spaß aus den zuckerwassergestärkten Haaren gesogen.
Entgegen des (möglicherweise von der Sowjetunion bezahlten) Framings der damaligen Friedensbewegung, welches heute von akademisch geprägten Kreisen leider als eine Art „kollektive“ Erinnerung betrachtet und somit fehlinterpretiert wird, war auch die Katastrophe von Tschernobyl (1986) nur eine Katastrophe von vielen. Zumindest in Norddeutschland. „Atomangst“ kannte ich jedenfalls nicht.
Einiges scheint also darauf hinzudeuten, dass der deutsche Filmspaß jener Jahre gar keine andere Möglichkeit hatte, als flach, piefig und verkrampft zu sein. Mit einer Waffe am Kopf lacht man halt etwas, nun ja, anders.
Mein Punkt ist aber ein anderer. Denn es sieht danach aus, dass wir auf diesem Schockstarre-Level einfach stehengeblieben sind. Wir setzten die Humor- und Spaßentwicklung bis auf weiteres aus.
Bis heute.
Es ist ja so: Der durchschnittliche deutsche Zuschauer amüsiert sich immer noch bei TV-Komödien wie Männersache (2009) und „Fack ju Göhte“ (2013), die durchaus ganz locker als Wiedergänger der Lümmel von der ersten Bank (1968) oder den nochmal zehn Jahre älteren Heinz Erhardt Filmen durchgehen könnten.
Wie sehr diese Sorte Unterhaltung aber heute immer noch verfängt und sogar Millionen von Zuschauern in die Kinos lockt, zeigten u.a. ja auch die Til Schweiger Filme der letzten Jahre.
Die schablonenartigen TV-Geschichten von Kokowääh 1+2, Keinohrhasen, Zweiohrküken oder Barfuss, stehen exemplarisch für einen Mangel an Liebe zum Film und einem Mangel an Respekt gegenüber dem Zuschauer.
Gut, die deutsche Komödie war ja ohnehin nie für ihre Experimentierfreudigkeit bekannt. Genauso wenig, wie der deutsche Grillplatz, der deutsche Stammtisch und deutsche Fußballplätze. Es ist daher nicht völlig auszuschließen, dass möglicherweise unser Geist kollektiv krank ist.
Ja, ich weiß, ich weiß, das ist eine steile These, selbst für mich. Nicht gleich künstlich aufregen, es ist erstmal nur ein Gedankenspiel.
Natürlich gibt es eine Handvoll Länder, in denen mehr getrunken wird, als in Deutschland. Aber ich dachte mir, dass es ja irgendeinen Grund geben muss, warum ausgerechnet in Deutschland „Saufen“ als Freizeitbeschäftigung gilt und „Feiern“ nur ein anderes Wort für „Saufen“ ist.
Also suchte ich. Und ich fand. Dieselben Mechanismen herrschen auch in England vor und der Alkoholkonsum hatte mit Beginn des Thatcherismus, wie der Neoliberalismus in England heißt, exponentiell zugenommen.
So wie in Deutschland auch zu Beginn der Agenda 2010. So hieß das beschleunigte Verschieben von Vermögenswerten von Unten nach Oben bekanntlich in Deutschland. Gleichzeitig wurden die betriebswirtschaftlichen Risiken der Arbeitgeber den Arbeitnehmern aufgebürdet, indem man den Einfluss der Gewerkschaften schwächte und den Kündigungsschutz aufweichte.
In beiden Ländern kam es zu einem Anwachsen von Armut in den schlecht ausgebildeten Bevölkerungsschichten. Und hier liegt der Hund begraben. Es war ziemlich exakt an diesem Punkt, an dem die Vorstellung davon verschwand, dass die nachfolgenden Generationen es einmal besser haben sollten. Der Prozess selbst begann zwar schon etwas früher, aber ab hier war es für jedermann sichtbar, dass der Kaiser nackt war!
Und der Kaiser begann, um sich zu schlagen. Tatsächlich hörte er bis heute nicht damit auf.
Während in England aber zumindest Regisseure, wie Ken Loach die gesellschaftlichen Verhältnisse mit großartigen Filmen wie z.B. The Navigators (2001), Ich, Daniel Blake (2016) oder Sorry We Missed You (2019) spiegelten und so den Unsichtbaren der Gesellschaft ihre Würde zurückgaben, wollten die deutschen Kinogänger immer wieder die gleichen „Heile Welt“ Komödien schauen und sich weiterhin abwärtsvergleichen.
Aber warum? Sind sie eine Art Scheuklappe, mit der wir unseren Blick von den Fakten abwenden können, dass man alles verlieren könnte? Zeigen wir aus Angst vor dem eigenen Abstieg mit dem Finger auf Transferleistungsempfänger? Oder auf die Smartphones von Asylsuchenden? Oh, ich denke, dass das nur die halbe Wahrheit ist.
Um das überhaupt verstehen zu können, könnte, wie gesagt, ein Blick in die Vergangenheit helfen; in unsere Vergangenheit. Bevor ich aber tiefer in die Materie einsteige, muss ich aber schon wieder um etwas Geduld bitten.
Niemals hätte ich nämlich gedacht, dass es ein Thema oder einen Moment geben würde, in welchem ich Til Schweiger erst einmal zustimmen würde! Ja, genau!
In seiner Nick Tschiller / Tatort-Phase, also ein Wimpernschlag, bevor der werte Herr Schweiger sich entschloss, das Internet zu stalken, suchte er schon einmal ungefragt nach Aufmerksamkeit und äußerte sich, dass es in Deutschland keinen Ort geben würde, wo man lernen könnte, wie man Schauspieler für Kinofilme wird oder gar Filme fürs Kino dreht. Unglaublich…! Eine Wahrheit…! Von Til Schweiger…! Chapeau.
Aber keine Erkenntnis ohne Folgen. Also kam er zu dem Schluss, diesen Mangel kultivieren zu wollen und machte genau das, was er eben noch kritisiert hatte: Wider besseren Wissens fing er an, durchschnittliche TV-Komödien zu drehen und sie ins Kino zu bringen.
Dazu muss man natürlich wissen, dass in der deutschen Komödie die „gute alte Zeit“ nach wie vor lebendig ist. Dramaturgien, Erzählungen, Rollenverständnis und Werte aus den 1950er Jahren, allerdings an den aktuellen Zeitgeist angepasst.
Für einen Rückschritt in die 1950er Jahre, spricht hier auch die Idealvorstellung des bescheidenen Wohlstands, welcher heute wie gestern in den Hirnen der Durchschnitts-Mitbürger herumspukt:
Ein kleines Häuschen im Grünen, zwei Kinder, Golden Retriever und/ oder Britisch Kurzhaar, ein (inzwischen) Elektrofahrzeug vor der Tür, ein Salzteig-Namensschild „Hier wohnt, liebt und streitet sich Familie Durchschnitt“.
Nicht auszuschließen, dass wir also genau die Filme haben, die wir verdienen.
Was wohl Brecht dazu gesagt hätte?
Eine mögliche Antwort könnte sein Stück Der gute Mensch von Sezuan liefern:
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen – Den Vorhang zu und alle Fragen offen!“
Ende Episode X