Ganze 16 Jahre sollte dauern, bis Deutschland wieder zu Oscar-Ehren kam. Mit vier Goldjungen in den Kategorien Bestes Szenenbild, Beste Musik, Beste Kamera und Bester fremdsprachiger Film, gehörte Edward Bergers Antikriegsepos IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) zu den großen Gewinnern der letztjährigen Preisverleihung. Die von Netflix finanzierte Adaption des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque gibt es längst nicht mehr nur als Stream, sondern auch physisch für das Sammlerregal. Capelight Pictures, die ebenfalls die Erstverfilmung von 1930 in einem Rundumsorglospaket veröffentlicht hatten, spendieren der mehrfach prämierten Neuauflage nun eine schicke Steelbook-Edition, inklusive 4K-Scheibe.
Originaltitel: Im Westen nichts Neues/All Quiet at the Western Front
Drehbuch: Edward Berger, Lesley Paterson, Ian Stockell; nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque
Regie: Edward Berger
Darsteller: Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Moritz Klaus, Adrian Grünewald, Edin Hasanovic, Daniel Brühl…
Artikel von Christopher Feldmann
Schon seit mehreren Jahren buhlt Netflix stark um prestigeträchtige Auszeichnungen. Im Fokus steht dabei seit jeher der Oscar, also die Königsklasse unter den Preisverleihungen, und mit mindestens einem Film pro Jahr schafft es der Streamingdienst, sich für die Hauptkategorien zu qualifizieren. So mischten ROMA (2018), THE IRISHMAN (2019), MARRIAGE STORY (2019), MANK (2020), THE TRIAL OF THE CHICAGO 7 (2020) und zuletzt DON’T LOOK UP (2021) und THE POWER OF THE DOG (2021) im Rennen um die Auszeichnung für den besten Film mit, doch bisher konnte niemand die begehrte Trophäe mit nach Hause nehmen, die Nebenkategorien mal außer Acht gelassen. Auch Edward Bergers Antikriegsdrama IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) verpasste den Sieg, konnte sich aber immerhin über eine Auszeichnung in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ behaupten, denn das Epos, das auf Erich Maria Remarques Romanklassiker basiert, kommt nämlich aus Deutschland, ein Land, das nicht gerade von Auslandserfolgen verwöhnt ist. Zuletzt schaffte es DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) jenen Preis zu gewinnen. Und während der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck sich damals mit dem Goldjungen gebührend feiern ließ (er hielt ihn in JEDER TV-Show in die Kamera), danach aber nie wieder etwas von Belangen ablieferte, sieht die Zukunft des österreichisch-schweizerischen Filmemachers Edward Berger rosiger aus, denn der lieferte einen audiovisuell beeindruckenden Film, der in seinen knapp 150 Minuten den Schrecken des 1. Weltkriegs perfekt auf den Punkt bringt, auch wenn viele Szenen aus dem Lehrbuch für Antikriegsfilme zu stammen scheinen.
Handlung:
Frühjahr 1917, das dritte Kriegsjahr läuft: Als er die Unterschrift seines Vaters fälscht und sich für die Armee einschreibt, glaubt der junge Abiturient Paul Bäumer (Felix Kammerer) noch, dass er in wenigen Wochen gemeinsam mit seinen besten Freunden Paris erobern wird. Aber schon das in die Uniform eingenähte Namensetikett hätte ihn stutzig machen sollen. Dass die Realität sich nicht mit seinen Vorstellungen deckt, wird ihm aber auch so schnell bewusst. Im dreckigen Schützengraben geht es auch 18 Monate später nur ums nackte Überleben, während der deutsche Staatssekretär Matthias Erzberger (Daniel Brühl) die Hunderttausende toten jungen Männer an der Westfront als Argument nutzt, um gegen Widerstände des Militärs mit den Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu beginnen…
Ein wenig müde bin ich in Sachen Antikriegsfilmen ja schon, vor allem wenn sie deutschen Ursprungs sind. Neben all den zumindest lustig gemeinten Schmonzetten und den mit Steuergeldern geförderten Kunstfilmen, die sich sowieso niemand freiwillig antut, gehört die Verarbeitung beider Weltkriege ebenso fest zur deutschen Kinokultur. Gefühlt jede Station des NS-Regimes und des daraus entwachsenen 2. Weltkriegs wurde bereits filmisch aufgearbeitet, also was soll da noch kommen? Gut, IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) ist im 1. Weltkrieg angesiedelt, der bekanntermaßen von 1914 bis 1918 tobte, aber kann der Film noch frische Ideen und neue Ansätze liefern? Nun ja, so wirklich wegweisend ist die filmische Kriegstreiberei dann doch nicht geworden, was aber vor allem daran liegt, dass wir schon zu viel davon gesehen haben. Wer mit DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN (1978), DER SOLDAT JAMES RYAN (1998) oder 1917 (2019), um nur ein paar erfolgreiche Vertreter dieses Genres zu nennen, vertraut ist, wird in der Literaturverfilmung aus dem Hause Netflix nicht viel Neues finden. Stattdessen wirkt IM WESTEN NICHTS NEUES fast schon wie ein Best-Of bekannter Tropes, die allesamt hier nochmal durchexerziert werden. Sei es die blutigen Schlachte, die Männerfreundschaften, das Wandern durch feindliches Gebiet, Trauer, das Zweifeln an den eigenen Handlungen etc., das Drehbuch frühstückt wirklich Alles ab, was man als Zuschauer erwartet.
Dennoch muss man den Machern allerdings attestieren, dass sie dies sehr wirkungsvoll verpacken. Wenn zu Beginn die Maschinerie des Krieges gezeigt wird und wie die Uniform eines gefallenen Soldaten wieder geflickt wird, um an den nächsten Anwärter weitergereicht zu werden, ist das schon ein sehr mulmiges Gefühl. Anders als im Roman von Erich Maria Remarque, der bereits unter dem Titel IM WESTEN NICHTS NEUES im Jahr 1930 verfilmt wurde, verdichtet das Skript die Begeisterung für die Schlacht und den grenzenlosen Optimismus, die den noch jungen Soldaten in der Schule eingetrichtert auf ein Minimum und konzentriert sich auf viel mehr auf die Handlungen an der Front, was dem Ganzen zwar etwas an „Effekt“ raubt, jedoch nicht weiter störend ist, denn bereits nach wenigen Minuten beginnt das große Sterben. Generell nahm man sich mit Blick auf die Vorlage mehrere Freiheiten, die Grundausbildung der Jungs wurde ausgespart, was den Horror aber noch steigert, denn wenn die Jungs quasi ins kalte Wasser geworfen werden, muss man auch als Zuschauer schlucken. Auch auf sonstige kleine Schnörkel, die Remarque verwendete, lässt der Film außen vor.
Doch IM WESTEN NICHTS NEUES lässt nicht nur Elemente weg, sondern fügt auch Neue hinzu. Die Friedensverhandlungen rund um den von Daniel Brühl gespielten „Matthias Erzberger“ spielen eine wichtige Rolle, sind aber gleichzeitig der größte Störfaktor des Films, da diese Szenen den Zuschauer immer wieder aus den Kriegshandlungen herausreißen und dabei auch etwas langweilen. Zusätzlich wirkt das Spiel von Brühl, der hier mit Schnorres und Akzent auftritt, sehr gekünstelt und anstrengend. Gleiches gilt für Devid Striesow, der als Preußen-General schon fast an der Grenze zur Parodie spielt. Trotzdem erfüllen diese Szenen ihren Zweck, da sie das ziemlich harte Finale vorbereiten, das im Vergleich zur Vorlage anders verläuft aber den Schrecken und die Sinnlosigkeit des Kriegs perfekt vermittelt. Das ist Alles zwar nicht sonderlich subtil aber wie bereits erwähnt sehr wirkungsvoll.
Was aber über allem thront, ist zweifellos die Regie von Edward Berger. Der in Wolfsburg geborene Filmemacher konnte mit den Netflix-Millionen mal so richtig vom Leder ziehen und liefert die mit beeindruckendsten Kriegsbilder seit vielen Jahren, da kann Sam Mendes mit seinem Taschenspielertrick 1917 (2019) einpacken. Audiovisuell ist das Ganze einfach spektakulär und der Zuschauer wird in das sinnlose Sterben regelrecht hineingeworfen, bei dem die Kamera oft nah an den Gesichtern der nur rudimentär charakterisierten Figuren ist, um die Spannung konstant hochzuhalten. Große Panoramen der Zerstörung, eine düstere, verzweifelte Ästhetik und viel Blut stehen hier im Vordergrund. Köpfe platzen und Körper werden zerfetzt, die Schlacht wird in all ihrer Grausamkeit dargestellt. Dazu dröhnt der Score von Volker Bertelmann, der den Oscar für die beste Musik einheimsen konnte, aus den Lautsprechern, ein echtes Erlebnis. Auch die Darsteller machen allesamt einen sehr guten Job und füllen ihre Figuren gerade noch mit genug Leben, um auf der einen Seite in die Inszenierung von unbedarften Jedermännern zu passen aber auf der anderen Seite den Zuschauern doch haften zu bleiben. Ein Kunststück, das nicht jedem Film gelingt.
Die audiovisuellen Qualitäten von IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) kommen auf der 4K-Scheibe natürlich am besten zur Geltung. Das Bild ist sauber, klar und gestochen scharf, während der satte 5.1-Ton natürlich ordentlich knallt. Als Extra bietet das Steelbook einen Audiokommentar von Regisseur Edward Berger, ein Making-Of, sowie Teaser und Trailer.
Fazit:
IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) erzählt nichts Neues (hihi) über die Sinnlosigkeit des Krieges und dessen Grausamkeit, ist aber audiovisuell ein echtes Meisterstück, das beweist, dass deutsches Kino immer noch beeindrucken kann, sofern Netflix guten Filmemachern die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. Zurecht einer DER Filme des Jahres 2022!
Amazon-Links:
Capelight Pictures Shop-Links:
Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film