Es scheint weltweit eine gewisse Uneinigkeit bei den Kritikern zu geben, wie denn nun der erste Teil von Sollimas Rom-Trilogie über die krebsartigen Verästlungen des Verbrechens in die Gesellschaft heißt. Vanity & Co benennen da A.C.A.B. (2012), während man in Europa eher auf die Serie Romanzo Criminale (2008) verweist. Fest steht, dass Adagio den Abschluss darstellt und Suburra (2015) den Mittelteil. Wenn man den ersten Teil an den Schauspielern festmachen möchte, dann würde Pierfrancesco Favinos Anwesenheit in A.C.A.B. auf den Beginn der Trilogie hinweisen. Er spielt nämlich in allen drei Filmen mit. Legt man allerdings den Inhalt zu Grunde, dann würde die zweiteilige Serie Romanzo Criminale den Anfang machen, denn hier geht es um den Beginn der römischen Mafia Ende der 1970er in politisch unruhigen Zeiten. Links– und rechtsextremistische Konflikte sorgten für Spannungen in der Gesellschaft, alles Themen in Romanzo Criminale, die der Polizei-Film A.C.A.B. nicht bietet. Wie dem auch sei: Fans des italienischen Kriminalfilms sollten sowieso alle Filme und Serien Sollimas kennen. Der Sohn des italienischen Regisseurs Sergio Sollima (Brutale Stadt, 1970) hat das Talent des Vaters übernommen und ist (mit) einer der besten Gegenwarts-Regisseure Italiens. PLAION PICTURES bringt den Thriller in Kürze ins Heimkino.

Originaltitel: Adagio

Regie: Stefano Sollima

Darsteller: Gianmarco Franchini, Toni Servillo, Valerio Mastandrea, Pierfrancesco Favino, Francesco Di Leva

Artikel von Kai Kinnert

Weil er sich gelegentlich prostituiert, wird Manuel von drei korrupten Carabinieri erpresst. Die Polizisten zwingen den 16-Jährigen, auf eine Party mit minderjährigen Jungen und illegalen Drogen zu gehen und Fotos von einem prominenten Politiker zu machen. Doch der Teenager fühlt sich vom Trio getäuscht und ergreift mit den belastenden Bildern die Flucht. Von den brutalen Erpressern erbarmungslos gejagt findet Manuel Zuflucht bei zwei Männern, die wie sein Vater früher Gangster waren.

Die PR zu dem Film erwähnt gerne, dass es bei der Premiere auf den Filmfestspielen in Venedig stehende Ovationen gab. Nun ja – Adagio ist definitiv ein guter Film, doch dass es einen am Ende aus den Sitzen reißt, würde ich nun nicht behaupten. Vielleicht musste man einfach mal aufstehen, warum auch nicht, denn immerhin hatte man 127 Minuten lang gesessen. Und Adagio kam auch nicht überall gut an, zumindest nicht so gut – eher mittelmäßig. Kritiker warfen dem Film das dünne Drehbuch vor, das vorhersehbar und ohne Twist in gemäßigtem Tempo verfilmt wurde.

Es stimmt. Aber gerade das fand ich gut. Adagio könnte auch eine Folge aus der Serie Gomorrha (2014) sein, ebenfalls eine Produktion in der Sollima seine Finger hatte. Das Minimum an Story legt seine Spannung auf die fantastischen Schauspieler, die diesen Film zu einer einzigen Genre-Sequenz machen, denn Sollima drehte hier nichts anderes als einen in sich ruhenden Genre-Film, der die Atmosphäre des Todes atmet. In den Filmen Sollimas ist stets klar: alle sind dem Tode geweiht. Denn wer sich auf das Geschwür von Korruption und Mafia einlässt, wird unweigerlich ins Verderben gerissen werden. Mitsamt der Familie, mit allem, was einem einst heilig und wichtig war. Bei Sollima gibt es kein Happy End. Sein Blick ist nüchtern und realistisch. Dabei beweist Sollima stets eine sichere Hand in Sachen Atmosphäre und langsamen Erzähltempo, man kann geradezu spüren, wie sich alles träge und wuchtig auf einen vernichtenden Crash hin zubewegt. Eine stilsichere Kamera und eine exzellent-atmosphärische Filmmusik sind dabei eine weitere Signatur Sollimas.

Doch was zeichnet Adagio denn nun aus? Ganz klar: seine Schauspieler. Newcomer Gianmarco Franchini gerät als Gelegenheits-Stricher Manuel Coretti ziemlich tief in die Scheiße. Franchini spielt seine Rolle mit Angst im Gesicht, verletzlich, anrührend und zerbrechlich. Ein junger Mann, der schlichtweg nichts in der Welt der Prostitution und des Verbrechens zu suchen hat. Ihm gegenüber Pierfrancesco Favino als Cammello, einem ehemaligen Gangster, der vom Krebs gezeichnet auf seinen Tod wartet. Cammello kennt Manuels Vater Daytona (Toni Servillo), ebenfalls ein ehemaliger Gangster, der nun mit wenig wachen Momenten durch die Abgründe seiner Demenz trudelt.  Pierfrancesco Favino habe ich zuerst gar nicht wiedererkannt. Der Typ spielt mit Glatze und leicht buckelig, ganz so, als wäre er gerade von irgendeinem Herr der Ringe – Set geflüchtet, nur um in Rom einen Film zu drehen. Was ist der Typ gut! Favino beweist hier (mal wieder), dass er einer der ganz großen Schauspieler Italiens ist, sein Auftritt ist fantastisch und vielfältig. Dafür könnte man tatsächlich stehende Ovationen geben, vielleicht war das der Grund für die Begeisterung in Venedig. Ebenso groß ist Toni Servillo, der seinen besten Moment in der Rückkehr aus der Demenz hat. Cammello und Daytona reaktivieren sich nämlich selber, um Manuel die Bedrohung durch die drei korrupten Polizisten vom Hals zu schaffen. Und das sind die besten und intensivsten Momente des Films. Wenn die Bullen den dementen Daytona beschatten und ihn gründlich unterschätzen (immerhin ist er verwirrt), ist das Bedrohung pur. Plötzlich öffnet sich nämlich die Tür und Daytona rutscht mit einem Rasiermesser auf die Rückbank des Autos und droht dem Obermacker die Halsschlagader zu öffnen, wenn sie Manuel nicht zukünftig in Ruhe lassen. Plötzlich ist Daytona wieder der, der er einst war: ein Monster. Jemand, der alles im Griff hat. Völlig ruhig und lächelnd zählt Daytona die Bullen an und verschwindet genauso schnell wieder, wie er gekommen ist. Mit ihm ist zu rechnen. Das ist den Cops jetzt klar und es wird nicht seine letzte Szene sein, in der er zeigt, aus welchem Holz er geschnitzt ist.

Das Finale hingegen gehört Pierfrancesco Favino, der sich noch einmal die volle Dosis Morphium spritzt, um gegen die Bullen anzutreten. Trocken, hart und gut. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Langsam rollt sich der Film bis in seine finale Konfrontation ab und liefert genau das, was man von Filmen dieses Genres erwarten kann. Stefano Sollima drehte einen ruhigen und sich langsam verengenden Film, der die gewohnten Qualitäten des italienischen Kriminalfilms liefert: gute Schauspieler, gute Bilder, eine tolle Musik und die Gnadenlosigkeit des Verbrechens. Ich freue mich schon auf den nächsten Film Sollimas.

Das Bild der gesichteten Blu-ray war sauber, satt und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es kurzes Featuretten zu Bühnenbild, Kostüm, Digitale Effekte, Spezialeffekte und Stunts.

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