Als mir Kollege Christian zuletzt einen ganzen Schwung an Rezensionsmaterial zukommen ließ, war ich sehr entzückt, hatte er doch einen italienischen Krimi dazu gepackt, an dessen Keep-Case ein Post-It mit der Aufschrift „Top-Giallo!“ klebte. Ein sehenswerter Italo-Reißer, den ich noch nicht kenne? Zumindest der wunderbar schmierige deutsche Titel DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL (1970) heizte die Vorfreude weiter an. Ob der Streifen, der von Mr. Banker Films und Cargo Records in Zusammenarbeit mit der deutschen CCC-Filmkunst, diese Erwartungen erfüllen konnte? Nun ja, zumindest nicht jene, die der Titel schürt, was aber nicht bedeuten soll, dass es sich hier um eine Enttäuschung handelt, im Gegenteil. Alles weitere erfahrt ihr im Artikel.

Originaltitel: La Morte risale a ieri sera

Internationaler Titel: Death Occured Last Night

Drehbuch: Biagio Porietti, Duccio Tessare; basierend aud dem Roman „I milanesi ammazzano al sabato“ von Giorgio Scerbanenco

Regie: Duccio Tessari

Darsteller: Raf Vallone, Frank Wolff, Gabriele Tinti, Eva Renzi, Gigi Rizzi, Gillian Bray…

Artikel von Christopher Feldmann

Das italienische Giallo-Kino hat etwas wunderbares zu bieten, nämlich eine ordentliche Vielfalt. Natürlich bedienen viele Produktionen jene Tropes und Stilelemente, die Mario Bava mit BLUTIGE SEIDE (1964) kreiert und Dario Argento mit DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE (1970) gewissermaßen perfektioniert hat. Aber die Kennzeichnung „Giallo“ bedeutet nicht, dass man immer nur den schwarzbehandschuhten Rasiermessermörder bekommt, der vorzugsweise schön anzusehende Damen malträtiert. Nein, der Giallo ist mehr als nur die anrüchige Mischung aus Whodunnit-Krimi und Exploitationfilm. Da die Italiener diesen Begriff für so ziemlich Alles verwenden, was die Trivialliteratur hergibt, bekommt man als Zuschauer auch gerne mal Filme vorgesetzt, die etwas andere Töne anschlagen, zumal die Grenzen zum Polizeifilm ohnehin fließend sind. Manchmal gruselig, manchmal experimentell aber manchmal auch gesellschaftskritisch, ein Giallo-Genre ist manchmal wie eine Pralinenschachtel. DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL (1970) ist ein Musterbeispiel. Was dank deutscher Betitelung wie das nächste Schmierfest anmutet, entpuppt sich schnell als ernstzunehmender Kommentar auf das schmutzige Geschäft mit der Lust, sowie als Milieu- und Charakterstudie mit bitterem Ende.

Handlung:

Die zurückgebliebene Tochter des grimmigen Witwers Berzaghi (Raf Vallone) ist plötzlich spurlos verschwunden. Dem Anschein nach ist die Frau Opfer eines Frauenhändlerrings geworden. Kommissar Lamberti (Frank Wolff) erpresst einen ehemaligen Zuhälter Namens Salvatore (Gigi Rizzi) und hofft mit dessen Hilfe bei dem seltsamen Fall weiter zu kommen, um das Opfer aufzuspüren.

Tonal und handlungstechnisch würde DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL wunderbar in ein Double-Feature mit Massimo Dallamanos DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) passen, behandeln beide Filme doch im Grunde dieselben Themen. Der aussichtslose Kampf gegen Zwangsprostitution, das organisierte Verbrechen, das sich hinter einer bürgerlichen Maske versteckt, Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Dennoch ist die Tonart eine andere, denn während Dallamanos Giallo/Polizioteschi-Hybrid nicht mit blutigen Einzelheiten, nackter Haut und halsbrecherischer Action geizt, konzentriert sich der hier vorliegende Film vollständig auf die ermüdenden und kräftezehrenden Ermittlungsarbeiten.

Die Geschichte an sich ist relativ simpel und dreht sich um die Suche nach einem geistig zurückgebliebenen Mädchen, welches von skrupellosen Menschenhändlern entführt wurde und um ihren Vater, der verzweifelt die Suche aufnimmt, sowie um die Kommissare und ihre Nachforschungen. Im Zentrum stehen dabei vor allem die Figuren. „Berzaghi“ präsentiert sich als müder, zuweilen pessimistischer Kommissar, der den „Kampf gegen Windmühlen“ aufgegeben hat. Lediglich die Zunahme der Verbrechen, vor allem im Bereich der organisierten Kriminalität sind laut ihm der Grund, dass er überhaupt noch gebraucht wird. Das zeigt er vor allem in den Szenen, in denen er sich mit seiner Frau unterhält. Sein Unmut ist so groß, dass er nicht mal ein Ohr für deren Arbeitsalltag hat. Seine Nüchternheit kristallisiert sich vor allem dadurch heraus, dass er dem Vater des Mädchens zu Beginn schonungslos darüber aufklärt, dass es einfach zu viele solcher Fälle gibt und er nichts weiter tun kann, als die entsprechenden Stellen ihre Arbeit machen zu lassen. Würde man jedem Vermisstenfall gezielt nachgehen, würde das die Personalgrenzen sprengen. Schlussendlich nimmt er sich doch der Vermissten an, wahrscheinlich weil ihm der wütende und von Sorge geplagte Vater doch ans Herz geht.

Was folgt, sind vor allem Szenen, in denen sich „Berzaghi“ und sein Assistent mit Hilfe des Zuhälters „Salvatore“ durch die Laufhäuser Mailands fragen und entsprechende Personen verhören, während der Vater in einem Nebenhandlungsstrang die Suche selbst in die Hand nimmt. Das Schicksal der Tochter wird erst im letzten Drittel des Films enthüllt und sorgt für einen emotionalen Wendepunkt, vor allem weil es durch seine Beliebigkeit erschüttert. DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL ist weniger ein Giallo, sondern viel mehr ein klassischer Polizeifilm mit gesellschaftskritischen Tönen, der den damaligen Zustand Italiens portraitiert. Getragen wird dies weniger von Spannungssequenzen, sondern viel mehr von der erstklassigen Besetzung. Frank Wolff, ein beliebtes Gesicht des Italo-Westerns, das ich spätestens seit seiner Performance in LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG (1968) ins Herz geschlossen habe, brilliert als grauer Gesetzeshüter. Neben seinem Auftritt in MILANO KALIBER 9 (1971) wahrscheinlich Wolffs beste Leistung. Leider beging er bereits im 1971 Selbstmord, Grund dafür soll mangelnde künstlerische Anerkennung gewesen sein. Neben ihm liefert auch Raf Vallone als Vater der Entführten ab, Gabriele Tinti, der verstorbene Ehemann von Sexploitation-Göttin Laura Gemser gibt den Assistenten, der des Öfteren aufgefordert wird, zum Friseur zu gehen und Eva Renzi stellt als Berzaghis Ehefrau das Herz des Films dar, das in all dem Sumpf für emotional warme Momente sorgt. Übrigens: DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL basiert auf dem 1969 erschienen Roman I MILANESI AMMAZANO AL SABATO, was übersetzt DIE MAILÄNDER TÖTEN AM SAMSTAG bedeutet.

Regie führte Duccio Tessari, der mehrmals in seiner Karriere zeigte, dass er in verschiedensten Genres bestehen kann. So inszenierte er neben DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL den hervorragenden Giallo/Gerichtskrimi BLUTSPUR IM PARK (1971), den Gangsterreißer DER BASTARD (1968), die Haudrauf-Action THREE TOUGH GUYS (1974), sowie einige Italo-Western, darunter die Klassiker EINE PISTOLE FÜR RINGO (1964) und RINGO KOMMT ZURÜCK (1965). Als Drehbuchautor arbeitete er u.a. an FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) mit.

Die Blu-ray aus dem Hause Mr. Banker Films/Cargo Records präsentiert den Film hierzulande erstmals in HD. Bild- und Tonqualität können sich absolut sehen lassen, neben Trailer und Bildergalerie beinhaltet die Disc auch die deutsche Kinofassung als Bonus. Das achtseitige Booklet ist hingegen nicht unbedingt der Rede wert.

Fazit:

Nicht von dem deutschen Titel täuschen lassen! DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL (1970) ist kein Schmierkrimi nach bekannten Mustern, sondern ein sehr realistisches und eindrucksvolles Kriminaldrama mit vielschichtigen Figuren und pessimistischem Tonfall. Ein Geheimtipp des italienischen Genrekinos, der sich auf jeden Fall lohnt.

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