Die dunkelste Stunde deutscher Geschichte wurde schon dutzendfach auf Film gebannt. Wer jedoch glaubt, er habe schon alles über das Dritte Reich gesehen, der hat die Rechnung ohne Regisseur und Drehbuchautor Jonathan Glazer (Under the Skin) gemacht. Der wählte für seine Inszenierung des gleichnamigen Romans rund um das Leben des Auschwitz-Lagerkommandanten Rudolf Höß und seiner Familie einen besonderen Kniff, der für den Zuschauer wie ein Tritt in die Magengrube wirkt. LEONINE STUDIOS veröffentlichen den preisgekrönten Film jetzt im Heimkino. Warum es sich hierbei um ein intensives, außergewöhnliches Filmerlebnis handelt, erläutere ich in meiner Kritik.

Regie: Jonathan Glazer

Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Lilli Falk, Luis Noah Witte

Artikel von Christian Jürs

2023 war das Jahr der Schauspielerin Sandra Hüller. Zuerst wurde sie für ihre Performance in der schwarzen Komödie Sisi & Ich für den Deutschen Filmpreis nominiert, dann folgten ihre bislang wohl größten Erfolge. Für ihre Auftritte in Anatomie eines Falls und The Zone of Interest erhielt sie Doppel-Nominierungen als Beste Schauspielerin sowohl beim Europäischen Filmpreis wie auch bei den British Academy Awards; außerdem gab es noch eine Oscarnominierung für ihre Rolle in Anatomie eines Falls, bei dem sie aber Emma Stone für deren tollen Auftritt in Poor Things unterlag. The Zone of Interest hingegen wurde mit zwei Goldjungen ausgezeichnet: für den Besten Ton und den Besten Ausländischen Film.

Auch wenn The Zone of Interest an den Pforten des schrecklichen Konzentrationslagers Auschwitz spielt, so sehen wir, abgesehen von einer kurzen, der Gegenwart entsprungenen Einstellung am Ende, niemals das Innere dieses Ortes der Qualen und des Leids. Nein, es ist noch viel schlimmer: Wir begleiten die Familie des Lagerkommandanten Rudolf Höß (Christian Friedel), deren zweistöckiges Familienhaus plus Garten direkt an die Mauern des Schreckens mündet, bei ihrem Alltag. Dieser fällt, zumindest in den sich allem Leid bewusst verschließenden Augen des Massenmörders und seiner, nicht minder widerwärtigen, Frau Hedwig (Sandra Hüller), erschreckend normal und banal aus. Wer den Film noch nicht gesehen hat und sich auch noch nicht weiter über dessen Inhalt informiert hat, dem empfehle ich, jetzt zum Absatz unter der Mediabook-Abbildung zu springen, damit The Zone of Interest seine volle Wirkung entfalten kann. Für alle anderen kommt jetzt ein kleiner Einblick in den Filminhalt.

So begleiten wir die Familie Höß zum Beispiel beim zwanglosen Badeausflug, der darin mündet, dass den Kindern die Augen brennen – von der Krematoriums-Asche, die in den Fluss gekippt wurde. Doch während die Kinder ihr Leid klagen, wäscht Mami die menschlichen Überreste aus den Augen der Kinder heraus – mit einer Selbstverständlichkeit, als haben die Kleinen nur Sand in die Augen bekommen.

Die Kamera bleibt fast ausschließlich im Haus und Garten der Familie verankert (es wurde mit bis zu zehn Kameras gedreht, die fest installiert im Haus angebracht waren und er Fernsteuerung bedient wurden). Wir werden Zeuge, wie Hedwig mit gleichgesinnten Damen hochrangiger Offiziere Kaffeekränzchen in ihrem Esszimmer veranstaltet, während die eingeschüchterten, polnischen Hausmädchen um ihr Leben bangen müssen, sollte ihnen ein Fehler unterlaufen. Wir sehen die Kinder im Garten spielen, während im Hintergrund permanent die Schornsteine rauchen und Schreie und Schüsse zu hören sind. Doch davon lässt sich vor allem Hedwig nicht einschüchtern, die stolz darauf ist, dass ihr Mann sie „Die Königin von Auschwitz“ nennt. Als solche, bereichert sie sich an Schmuck und Kleidung, die ihr aus dem Lager geliefert werden. Menschenleben-Verachtung pur. Doch für Hedwig zählt nur das traute Heim, von dem sie schon immer geträumt hat.

Ein schreckliches Szenario, bei dem einem die Spucke nicht wegbleibt, sondern sich der Speichel zum Würgereiz ansammelt. Quasi ähnlich, wie sich Hedwigs Mutter (Imogen Kogge) gefühlt haben muss, die ihrer Tochter einen Besuch abstattet und sprachlos und entsetzt ist über die Gleichgültigkeit und fehlende Menschlichkeit ihrer Tochter. Doch während sie das Weite suchen kann, ist man als Zuschauer weiterhin hilflos gefangen und bleibt erschrockener Beobachter. Zumindest größtenteils, denn hin- und wieder verlässt The Zone of Interest sein Terrain, etwa, wenn Rudolf Höß von seinen Vorgesetzten einberufen wird, wo man seine Versetzung plus Umquartierung de Familie bekannt gibt, mit der Hedwig natürlich nicht einverstanden ist. Auch immer wieder eingeworfene, verfremdete Szenen, in denen ein junges, polnisches Mädchen gezeigt wird, welches nachts heimlich Lebensmittel für die Gefangenen versteckt, wirken zwar hoffnungsgebend, reißen den Zuschauer aber auch aus der aufgebauten Beklemmung. Was für so manchen den Film erträglicher machen wird, werden andere wiederum als störend wahrnehmen. Dagegen stehen erschreckende Szenen, in denen Höß und seine Leute über die Anschaffung eines neuen, effektiveren Ofens diskutieren. Die Effizienz, mit der sich die inhaftierten Menschen rund um die Uhr entsorgen ließen, klingt aus ihrem Mund so selbstverständlich wie die Anschaffung eines neuen Pizzaofens beim Lieferdienst um die Ecke.

The Zone of Interest ist mit Sicherheit kein „unterhaltsamer“ Film für einen schönen Feierabend auf der Couch. Er ist aber ein wichtiger Film, der aufzeigt, wie schnell der Mensch das eigene Böse verdrängen kann. Das Schreckliche, was wir nicht zu sehen bekommen, manifestiert sich erst nachhaltig so richtig beim Zuschauer. Beeindruckend in Machart und Schauspiel.

Leonine Studios spendieren dem Film jetzt seine physische Veröffentlichung. Im Bonusmaterial befinden sich die deutsche und englische Hörfilmfassung, ein Interview mit Christian Friedel und Sandra Hüller,
Featurettes sowie den Trailer. Dem Mediabook soll außerdem ein 36-seitiges Booklet beiliegen.

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