Manchmal genügt einfach ein originelles, wohl überlegtes Marketing, um einen Film zum Hit zu machen. In den letzten Wochen entwickelte sich ein kleiner, preiswert produzierter Horrorthriller namens LONGLEGS (2024) zum Box-Office-Erfolg, in dem er durch eine undurchsichtige Trailer-Kampagne, kleinen Internet-Gimmicks und das Versteckspiel rund um den Auftritt von Nicolas Cage als Serienkiller die Neugier des Publikums entfachte. Bei relativ bescheidenen Produktionskosten konnte der neue Film von Osgood Perkins, seines Zeichens Sohn von PSYCHO-Star Anthony Perkins, bereits über 70 Millionen US-Dollar wieder einspielen und Das, obwohl es sich bei dem übernatürlich angehauchten Genrewerk um alles andere als einen Mainstreamfilm handelt. DCM Film Distribution bringt den unheimlichen Slowburner kommende Woche in die deutschen Kinos. Ob er seinen Vorschusslorbeeren, die ihn gerne als einen der gruseligsten Filme des Jahrzehnts adeln, gerecht wird, erfahrt ihr in unserer Kritik.
Originaltitel: Longlegs
Drehbuch & Regie: Osgood Perkins
Darsteller: Maika Monroe, Blair Underwood, Nicolas Cage, Alicia Witt, Kiernan Shipka…
Artikel von Christopher Feldmann
Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Osgood Perkins war trotz seines prominenten Vaters eher in kleinen Nebenrollen zu sehen, bevor er mit dem Horrorfilm DIE TOCHTER DES TEUFELS (2015) eine zweite Karriere hinter der Kamera einschlug. Der mit Emma Roberts und Kiernan Shipka besetzte Streifen war zwar kein großer kommerzieller Erfolg, brachte Perkins aber auf den Radar der Genrefans und Kritiker. Es folgten der für Netflix produzierte Gothic-Horror I AM THE PRETTY THING THAT LIVES IN THE HOUSE (2016) und die düstere Fantasy-Adaption GRETEL & HANSEL (2020), die auch Perkins‘ ersten kommerziellen Erfolg darstellt. Dass der eher im Independent-Bereich tätige Regisseur mal einen echten Box-Office-Hit abliefern würde, hätte er sich wohl in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, leben seine Werke doch vor allem von ihrer unter die Haut gehenden Atmosphäre als von schnöden Schockeffekten wie man sie von den Produktionen der großen Studios kennt. Dass LONGLEGS (2024) mittlerweile über 70 Millionen US-Dollar Einspiel (bei Kosten von weit weniger als 10 Millionen) zu Buche stehen, ist aber auch der cleveren Marketingstrategie des US-Verleihs Neon zu verdanken.
Dieser kündigte LONGLEGS als einen der unheimlichsten Filme des Jahrzehnts an, nur um dem Publikum bis zum Kinostart lediglich kleine Häppchen zu servieren, etwa kurze Trailer, die kaum etwas preisgaben, eine originelle Internetpräsenz in Retro-Aufmachung, die mysteriöse Botschaften und Hinweise auf einen einen angeblichen Serienkiller gaben, sowie der völlige Verzicht auf Oscar-Preisträger und Meme-König Nicolas Cage als Werbemittel. Um dessen Auftreten machten die Macher bis zum Kinostart ein großes Geheimnis, befeuerten somit die Neugier des anvisierten Zielpublikums. Im Zusammenspiel mit den sehr guten Kritiken konnte Perkins‘ Mix aus Mystery-Psychothriller und Horrorfilm die Zuschauer in die Kinos locken. Nun können Horrorfans auch hierzulande in den Genuss dieses Ausnahmewerks kommen, denn auch wenn LONGLEGS vielleicht nicht DER Schocker des Jahrzehnts ist, mit seiner nicht abzustreitenden Sogwirkung, seiner unter die Haut gehenden Stimmung und einem Nic Cage jenseits des Wahnsinns wird er dem Lob zumindest zu großen Teilen gerecht.
Handlung:
Nachdem die FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe) bei der Ergreifung eines Serienmörders einen sechsten Sinn bewiesen hat, wird sie von ihrem Vorgesetzten Agent Carter (Blair Underwood) mit einem bislang ungelösten Fall eines Serienmörders (Nicolas Cage) betraut, der sich „Longlegs“ nennt. Diesem ist es irgendwie gelungen, mehrere Väter dazu zu bringen, ihre Familienangehörigen abzuschlachten und danach Selbstmord zu begehen, ohne selbst ihr Haus betreten zu haben. Ebenso unerklärlich ist eine persönliche Nachricht, die er in Harkers Arbeitszimmer hinterlässt, in der er ankündigt, auch in Zukunft wieder zu töten. Harker versucht Longlegs‘ Briefe zu entschlüsseln, die satanische Symbole und Codes enthalten. Bei ihren Ermittlungen entdeckt sie nicht nur Hinweise auf Verbindungen zu okkulten Praktiken, sondern unerwartet auch eine sehr persönliche Verbindung zwischen dem Mörder und ihr.
LONGLEGS streift mehrere Genres, richtig einordnen lässt er sich allerdings nicht. Manche Kritiken und auch die hiesige Promotion rücken den Slowburner immer wieder in die Nähe des Thriller-Klassikers DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER (1991), befasst sich Perkins‘ Film ebenfalls über weite Strecken mit der Ermittlungsarbeit einer jungen, engagierten FBI-Agentin, die mit dem Fall eines doch recht ungewöhnlichen Serienmörders betraut wird. Jener löscht seit über 30 Jahren ganze Familien aus, ohne aber aktiv in die Bluttaten involviert zu sein. Aus irgendwelchen Gründen schafft er es, Familienväter so zu beeinflussen, dass diese ihre Liebsten abschlachten und sich anschließend selbst richten. Vom eigentlichen Initiator fehlt jede Spur, lediglich verschlüsselte Nachrichten, die an den Tatorten gefunden wurden geben Hinweise auf eine Person, die sich „Longlegs“ nennt.
Auf dem Papier klingt der Plot fast schon wie die Prämisse einer handelsüblichen Episode CRIMINAL MINDS (2005-2020), was Osgood Perkins aber daraus formt, ist ein zutiefst verunsichernder Abstieg in die Hölle. LONGLEGS arbeitet zu großen Teilen mit Stimmung, sprich der Symbiose aus Kamera, Schnitt und Musik. Die Geschichte selbst ist interessant, lebt aber wenig von Twists & Turns, unvorhersehbaren Enthüllungen oder gar großen Überraschungsmomenten. Im Grunde ist das Ganze recht simpel gehalten, selbst die Ermittlungen der hellseherisch begabten „Lee“ sind nicht sonderlich verzwickt. Von Beginn an schwingt eine Form der Übernatürlichkeit mit, gen Ende hält Okkultismus Einzug in die Mörderhatz. Das größte Mysterium im Grunde nicht die Identität des Killers, sondern was es mit ihm auf sich hat. Das kann dem Zuschauer schmecken oder nicht, für meinen Teil macht es sich Perkins etwas zu einfach, die Geschichte in die gewünschte Bahn zu lenken. Ist die Katze erstmal aus dem Sack, was der ein oder andere kommen sehen wird, erweist sich LONGLEGS als erstaunlich wenig komplex, was ihm aber nichts von seiner audiovisuellen Intensität raubt.
Perkins ist ein Meister darin, es ständig brodeln zu lassen. Das zeigt schon der im 4:3-Bild gefilmte Prolog, der schon ziemlich creepy daherkommt. Spätestens wenn das Bild in das gewohnte Kinoformat aufgezogen wird, entfaltet sich die inszenatorische Finesse. Eine ruhige, fast schon statische Kamera mit nur wenigen Schwenks, die Szenen und einzelne Bilder einfach wirken lässt, sorgt für den ein oder anderen verstörenden Moment, die jeweils sogar ohne allzu blutige Effekte auskommen. LONGLEGS hat seine kleinen, punktuellen Härten, suhlt sich aber zu keinem Zeitpunkt im Gore. Stattdessen drückt der Klangteppich den Zuschauer förmlich in den Sitz. Über seine 100 Minuten Laufzeit entfaltet sich eine derartige Sogwirkung, die ich dieses Jahr bei keinem anderen Film bisher spüren konnte. Im Grunde ist der gesamte Film einfach nur verdammt unangenehm und genau das macht ihn so gut. Perkins beherrscht die Klaviatiur, die schon John Carpenter in HALLOWEEN (1978) zu spielen vermochte, nur dass LONGLEGS mit all seinen aufblitzenden Flashbacks und seinen Themen noch tiefer gräbt. Dazu passt auch das winterliche 90er-Jahre-Setting, das Perkins perfekt in Szene setzt.
Maika Monroe spielt sich die Seele aus dem Leib und verleiht ihrer ohnehin interessanten Figur zusätzlich Tiefe, der wahre Star, den das Promomaterial wenn überhaupt nur im Anschnitt zeigte, ist aber zweifellos Nicolas Cage. Für ihn ist LONGLEGS der erste Box-Office-Erfolg seit GHOST RIDER: SPIRIT OF VENGEANCE (2011) und mein Gott gibt er dem Affen hier Zucker. Seine Figur ist von einem komplett anderen Stern und dank Make-Up und Frisur ist sein „Longlegs“ auch wirklich angsteinflößend. Mehr möchte ich aber an dieser Stelle nicht verraten, denn der Film funktioniert am besten, wenn man so wenig wie möglich weiß.
Fazit:
LONGLEGS (2024) ist vielleicht nicht der Horrorfilm des Jahrzehnts aber vielleicht einer der besten des Jahres. Osgood Perkins‚ Slowburner hat eine ungeheure Sogwirkung, geht unter die Haut und bietet die wildeste Cage-Performance der jüngeren Vergangenheit. Nichts für Mainstream-Glotzer aber für eingefleischte Genrefans, die sich gerne in der Nische bewegen ein Must-See!
Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film