Dies ist einer der Filme, über die man lächelt, sobald der Titel erwähnt wird: „Ein Langweiler mit schlechten Effekten, der sich frech an der Flosse vom Weißen Hai klammert!“ So hat man den Film in Erinnerung und so mancher fühlt sich in diesem Urteil bei erneuter Sichtung vielleicht bestätigt. Irgendwann Ende der 1980er hatte ich den Film zuletzt gesehen und fand ihn damals auch nicht so prall, war es doch schlichtweg kein neuer „Der weiße Hai“ und irritierte mit seiner hanebüchenen Geschichte. Doch, was soll ich sagen, gut 35 Jahre später und nach einer erneuten Sichtung, kann ich mich dem alten Urteil nicht mehr anschließen.Orca, der Killerwal hat eine Schwelle, die man als Zuschauer erst überwinden muss, um bei diesem Film sein Alleinstellungsmerkmal und das komplexe Drehbuch zu entdecken, denn Orca ist die völlige Umkehrung von „Der weiße Hai“ und deutlich vielschichtiger, als der gradlinige Thriller von Steven Spielberg. Der Orca-Bulle ist im Grunde Charles Bronson und er nimmt Rache für die Ursünde, die Richard Harrison begannen hat. Die Natur weist den Menschen in seine Schranken, beide sind auf dem Weg in den Tod und Verlierer in diesem melancholischen Film über Rache und Sühne. Im Grunde ist Orca, der Killerwal ein Beitrag des New Hollywood, denn der Film bricht mit den Mechanismen des alten Kommerzkinos Hollywoods und reiht sich mit seiner Grundhaltung locker in den Pessimismus und Individualismus des jungen, aufstrebenden Kinos ein, das mit dem Studiosystem brach. STUDIOCANAL brachte den Klassiker des Tierhorrorfilms nun mit restauriertem Bild frisch in den Handel.
Originaltitel: Orca / Orca: The Killer Whale
Regie: Michael Anderson
Darsteller: Charlotte Rampling, Richard Harris, Bo Derek, Robert Carradine, Will Sampson, Keenan Wynn, Peter Hooten, Vincent Gentile, Don ‚Red‘ Barry, Scott Walker
Artikel von Kai Kinnert
Seit vielen Jahren ist Kapitän Nolan davon besessen, mit seinem Walfangschiff einen der gefährlichen Orca-Wale zu erlegen. Als er mit seiner Crew im Meer auf eine Herde der Riesentiere trifft, verletzt er eine trächtige Walkuh und ihr Junges tödlich. Ihr Gefährte, ein Orca-Bulle von enormer Größe, beginnt daraufhin einen gnadenlosen Rachefeldzug, dem mehrere Crewmitglieder zum Opfer fallen. Doch Nolan lässt sich nicht einschüchtern und nimmt im nordischen Eismeer den Todeskampf gegen die Bestie auf.
Nachdem Steven Spielberg mit Der weiße Hai einen Welthit gelandet hatte, wollte Produzent Dino de Laurentiis im Fahrwasser Spielbergs ebenfalls einen Fisch-Film in die Kinos bringen und beauftragte die angesehenen Drehbuchautoren Sergio Donati und Luciano Vincenzoni mit der Ideenfindung. Die beiden Autoren waren fest in der italienischen Kinolandschaft verankert und schrieben die Drehbücher zu Filmen wie Für ein paar Dollar mehr, Der Gehetzte der Sierra Madre, Zwei glorreiche Halunken, Spiel mir das Lied vom Tod, Die Todesmelodie und weiteren Klassikern des italienischen Kinos. Die beiden Autoren ließen sich von den, bis dahin noch weitestgehend unerforschten Orcas inspirieren, denen man damals schon eine hohe Intelligenz und ein ausgeprägtes soziales Gefüge nachsagte. So konnte man den Tieren also ganz leicht einige „neue“ Fähigkeiten als Rahmenbedingung andichten, um damit die Symmetrie aus Sühne und Rache für den Zuschauer nachvollziehbar zu halten. Dies ist dann auch die Schwelle, die man als Zuschauer übertreten muss, um Orca, der Killerwal eben nicht als naiv gescheiterten Schlunz abzutun. Wer sich darauf einlässt und sich nicht von den gewaltigen Realismus-Löchern abschrecken lässt, also über den Zeitgeist und die Tricktechnik der 1970er hinwegsieht, erlebt einen komplexen Film, der deutlich mehr Tiefe zu bieten hat, als Der weiße Hai.
Der Film erzählt sich aus der Sicht des Fisches, was so ziemlich einzigartig in der Filmlandschaft ist und eine Menge Mut verlangt, um diese Linie auch ernsthaft aufrecht zu erhalten. Der Orca bringt die Story voran, denn der Orca will Rache für die Ermordung der schwangeren Orca-Kuh, die von Richard Harris harpuniert und an Bord gezogen wurde. Der hängt die noch lebende Kuh an den Mast und wird dabei vom Orca-Bullen beobachtet, was in einer absolut bizarren Einstellung mündet, in der die Orca-Kuh ihren Embryo plötzlich herausdrückt und sich der Orca-Bulle das Gesicht von Richard Harrison einprägt. Unweigerlich musste ich an dieser Stelle an Will Ferrells Die fast vergessene Welt (2009) denken, in dem Dr. Rick Marshall vom T-Rex „fixiert“ wird, um fortan von diesem Saurier verfolgt zu werden. Diese Embryo-Szene ist es dann auch, die Orca, der Killerwal fest als Kracher des italienischen Kinos outet, der sich zwar international und US-amerikanisch gibt, am Ende aber groß produziertes Italo-Kino bleibt und von seiner durchdachten Emotion lebt. Mit Regisseur Michael Anderson hatte sich de Laurentiis einen fundierten Routinier an Bord geholt (In 80 Tagen um die Welt, Flucht ins 23. Jahrhundert) und einen aufstrebenden Cast verpflichtet. Bo Derek avancierte später in Blake Edwards 10 – Die Traumfrau (1979) zum Star, Charlotte Rampling verdrehte zuvor mit Der Nachtportier (1974) der Kinowelt den Kopf und Richard Harris war Der Mann, den sie Pferd nannten. Am Ende ist es aber Ennio Morricone, der die epische Tiefe der Handlung am Besten aufgreift und diesen Film zu einem großen Drama zwischen Mensch und Tier macht. So erinnert der Film dann eben nicht nur an das Kalauer-Kino Will Ferrells, sondern auch an ernsthafte und große Abenteuerfilme wie The Tiger – Legende einer Jagd (2015) von Park Hoon-jung, einem fantastischen Film aus Korea, der in weiten Teilen ähnlich wie Orca, der Killerwal von Rache und einer symmetrischen Sühne-Geschichte motiviert ist. Auch hier verbindet Mensch und Tier eine nicht minder komplexe gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Schicksal, nur bei The Tiger eben aus der Sicht des menschlichen Jägers erzählt. In The Tiger und Orca, der Killerwal sind Mensch und Tier auf gleiche Weise tragisch verbunden, beide Seiten erinnern sich aneinander, beide steuern auf eine finale Begegnung zu, um Erlösung zu erfahren. In The Tiger weiß die Wildkatze um seinen Jäger und den mörderischen Verlust der eigenen Familie, in Orca weiß der Wal ebenfalls um den Mörder– und macht Richard Harris so als eindeutigen Täter aus. In Der weiße Hai gibt es diese Art von Verquickung und Motivation nicht, denn Spielbergs meisterhafter Thriller ist die Geschichte eines besessenen Jägers, der sich dem Hai stellen wird und orientiert sich so eindeutig an Moby Dick, während Orca, der Killerwal den Zuschauer nicht in einen reinen Abenteuerfilm einschiffen lässt, sondern in ein abstraktes Drama um Schuld und Sühne.
Der Grund, warum Richard Harris nach dem Debakel mit der Orca-Kuh nicht einfach die Stadt verlässt, ist das tiefe Gefühl von Reue für sein Handeln. Das treibt Harris so tief, dass er sich irgendwie bei dem Wal „entschuldigen“ möchte – ihn aber letztendlich nur noch der Tod erlösen kann. Dabei kommt es zu, oberflächlich betrachtet, völlig absurden Szenen der Bedrohung, denn Harris lebt an Land und der Fisch im Wasser. Die Wahrscheinlichkeit also, an Land von einem Orca gefressen zu werden, ist bei Null – und Wirbelstürme mit Raubfischen hat es hier noch nicht gegeben. Dennoch rät man Richard Harris, die Gegend zu verlassen und den Orca zu vergessen, sonst würde er Harris holen und ihn fressen. Da will man gerade Schmunzeln, als es plötzlich dem Orca in einer Szene gelingt, Teile des Hafens und eine ganze Raffinerie in die Luft zu jagen! Einmal mit der Flosse gegen die Leitung im Hafen geschlagen und schon platzen die Rohre auf – eine Gaslampe fällt um und entzündet so das auslaufende Benzin. Das Feuer brennt sich durch die Leitungen den Hügel hinauf (es scheint keine Schutzmechanismen zu geben) und Kabumm – war es das mit den Energieversorgung im kleinen Fischerörtchen! Diese Szene ist großartig, so etwas hat man noch nicht gesehen und wäre vollkommen wahnsinnig, würde man bis dahin nicht den Autoren in die melancholische Welt der tiefen Trauer gefolgt sein.
Eine weitere Szene, der man eine gewisse unfreiwillige Komik andichten könnte, ist die mit Bo Derek und ihrem Gipsbein. Bo Derek wird alsbald im Wohnzimmer (!) das Bein abgebissen werden! Wie dem Orca das gelingt, ist am Ende dann nur noch logisch. Der Orca-Bulle hat einen Plan, anders kann man es nicht sagen, und seine Rache wird fürchterlich sein. Ganz geschickt gelingt es ihm, Richard Harris am Ende in ein Finale zu treiben, das für den Wal ein Heimspiel werden wird. Und das Ende ist eben nicht Moby Dick und ist nicht Der weiße Hai, wird eben kein Ich-fresse-dich-auf-Finale, sondern ist viel dichter dran an dem, was Jahre später Park Hoon-jung mit The Tiger auf ähnlich melancholische Art und Weise zitieren wird Die tragische Verquickung von Antagonist und Protagonist ist geprägt von einer tiefen Melancholie des Schicksals. So, und nicht anders kann es nur für beide Wesen enden – und Ennio Morricone findet den richtigen Klang für die Größe des gemeinsamen Schicksals.
Orca, der Killerwal ist ein komplexer und themenreicher Film, der nicht im Geringsten mit Der weiße Hai zu vergleichen ist und absolut eigenständig dasteht. Die Drehbuchautoren verfolgen eine fundiert ausgetüftelte Motivationslinie von großer Tragik und zwingen den Zuschauer so, sich über die Nachvollziehbarkeit der Emotion der Logik dieses Films zu stellen. Macht man das nicht, verliert der Streifen und wird ein albernes bis langweilig Relikt vergangener Kinotage. Wer sich jedoch darauf einlässt und den einen oder anderen Filmtrick wohlwollend übersieht, bekommt einen überraschend autarken Film von großer Tragik und einer völlig stringenten Idee um Schuld und Sühne serviert. Ich war ganz perplex ob des Drehbuchs, das in keiner Szene Zeit verschwendet und uns nicht mit unnützen Inhalten belästigt. Selbst die längeren Dialoge zwischen Richard Harris und Charlotte Rampling sind konsequent motiviert und beschreiben bei Harris den tiefen Wunsch nach Vergebung.
Anfänglich belächelte ich Orca, der Killerwal. Doch je länger der Film lief, um so deutlicher wurde die Komplexität der Idee hinter der Story, um so deutlicher wurde die tragische Verquickung zwischen Mensch und Tier, die sich als ständige Melancholie über den Film legt und Michael Andersons Film auf eine ganz andere Stufe hebt, als erwartet. Die Stimmung und der Fatalismus der Erlösung ist fast schon ein Zitat aus dem asiatisches Kino, hätte es denn asiatisches Abenteuerkino dieser melancholischen Tragweite damals schon gegeben. Orca, der Killerwal ist ein Film, auf den man sich einlassen muss. Gelingt dies, erlebt man einen schönen Abenteuerfilm um einen trauernden Wal, versehen mit epischen Anleihen und einem durchgehendem Spannungsbogen, der mich von der ersten bis zur letzten Minute bei der Stange hielt. Überraschend gut und sehr unterhaltsam!
Das Bild der zur Sichtung vorliegenden 4K UHD & Blu-ray ist sauber, satt und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es einen interessanten Beitrag des Filmemachers und Journalisten Philippe Guedj zu dem Film.
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