Mit Verfilmungen von Stephen King-Geschichten ist es wie mit der oft zitierten Pralinenschachtel. Es gibt Klassiker wie „Misery“ (1990) oder „Die Verurteilten“ (1994), aber auch Rohrkrepierer wie „Rhea M – Es begann ohne Warnung“ (1986) oder „The Mangler“ (1995). Es gibt Romanadaptionen, die ohne Zweifel zu den großartigsten Filmen überhaupt gehören, wie „Shining“ (1980), die vom Autor selber verachtet werden und sehr Werkgetreue Umsetzungen, deren häufigstes Manko ist, dass sie sich zu viel Zeit lassen. Was in den Büchern hervorragend funktioniert, wird in den Filmen oft zur Schlaftablette. Mit „Carrie – Des Satans jüngste Tochter“ brachte CAPELIGHT PICTURES den Film auf den Markt, mit dem alles begann. Dies war nicht nur Stephen Kings erster Roman/Novelle, sondern auch der erste Versuch einer filmischen Umsetzung. Mit Brian De Palma saß ein, aus heutiger Sicht, Großer auf dem Regiestuhl, doch seine Meisterwerke wie „Scarface“ (1983) oder „The Untouchables“ (1987) sollten erst noch kommen. Ob also dieser erste Sprung von einem Stephen King-Werk auf die Leinwand erklärt, warum anschließend so gut wie alles verfilmt wurde was dieser zu Papier brachte, wollen wir uns hier mal genauer anschauen.

Originaltitel: Carrie

Regie: Brian De Palma

Darsteller: Sissy Spacek, Piper Laurie, William Katt, John Travolta, Betty Buckley, Nancy Allen

Artikel von Kai Michael Netthorn

Die 16-jährige, streng religiös erzogene Außenseiterin Carrie (Sissy Spacek) gerät in Panik, als sie nach dem Schulsport in der Gruppendusche von ihrer ersten Menstruationsblutung überrascht wird. Ihre gehässigen Mitschülerinnen reagieren mit Spott und Demütigungen, bis die Lehrerin eingreift und sie zu hartem Straftraining verdonnert. Schülerin Chris (Nancy Allen) will die Bestrafung nicht hinnehmen, ohne Carrie dafür büßen zu lassen. Zusammen mit ihrem naiven Freund Billy (John Travolta) ersinnt sie einen perfiden Racheplan – nicht ahnend, dass in Carrie übernatürliche Kräfte reifen…

Ein Film, bei dem es schwer fällt nicht zu spoilern, bei dem das Wissen um den Ausgang aber auch die Spannung ausmacht. Dieser Film hat keinen überraschenden Twist, sondern er geht erbarmungslos seinen Weg ins Unvermeidliche. Was hier in den ersten Minuten des Films geschafft wird, ist grandios. Fast alle Wichtigen Personen und ihr Verhältnis zueinander werden dem Zuschauer präsentiert. Nach kürzester Zeit können wir in die Handlung eintauchen, was viele Filme erst nach endlosen belanglosen Dialogen schaffen.

Carrie – Des Satans jüngste Tochter startet auf dem Sportplatz der örtlichen Schule. Hier findet im Sportunterricht gerade ein Volleyballspiel statt. Schnell kristallisiert sich eine junge Dame heraus. Sie scheint willens alles zu geben, wirkt aufmerksam aber leider auch völlig unfähig. Sie versucht es zumindest, aber sie scheitert kläglich. Dies lässt man sie auch spüren, da ist keiner der sie in Schutz nimmt, und so ist Carries Gang in die Umkleide ein Einsamer. Danach beginnt der Vorspann, doch hier wird keine Zeit verschwendet, in wunderschöner Zeitlupe dürfen wir den Mädels nach dem Duschen beim rumalbern und abtrocknen zu schauen. Nicht nur für damalige Verhältnisse und für Amerika ganz speziell, ist die Nacktheit hier ziemlich direkt, jedoch ist sie nicht nur Mittel zum Zweck, sondern zeigt uns schon hier, wie natürlich die Mitschülerinnen mit ihren Körpern und ihrer Sexualität umgehen. Im Kontrast dazu, begeben wir uns nun langsam in die Dusche, wo noch eine letzte Mitschülerin duscht. Carrie natürlich. Sie wirkt entspannt und in ihrer eigenen Gedankenwelt versunken, und wir kommen nicht umhin, an typische italienische Erotikfilme aus dieser Zeit zu denken. Aber nur kurz, denn Carrie hat das Pech, dass ihre Periode gerade jetzt ihr Debut geben will, und das streng religiös erzogene und weltfremde Mädchen keinerlei Ahnung hat, was da mit ihr passiert.

In ihrer Panik taumelt sie in die Umkleide zu ihren Mitschülerinnen. Ihre blutigen Hände hilfesuchend ausgestreckt, erntet sie nur Spott und Gelächter. Carrie wird eingekreist und unter „Stopf es“ Rufen mit Tampons und Binden beschmissen. Das zusammengekauerte Häufchen Elend wird erst von der Sportlehrerin, Miss Collins (Betty Buckley), erlöst.

Ab hier verfolgen wir auf der einen Seite Carrie, die von ihrer Religiösen Mutter (Piper Laurie) die Schuld für ihre Monatsblutung bekommt, da diese Reifung ein Zeichen der Sünde ist, und auf der anderen Seite die Mitschüler, die unter Androhung des Ausschlusses vom Abschlussball zum „Nachsitzen“ verdonnert werden, allerdings mit Sporteinheiten. Während die restlichen Mädels die Strafe akzeptieren, da sie auf keinen Fall vom Schulball ausgeschlossen werden wollen, fühlt sich Chris (Nancy Allen) ungerecht behandelt, begehrt auf und wird dementsprechend vom Schulball suspendiert.

Chris sinnt auf Rache, sieht ihr eigenes Fehlverhalten nicht, anders als Sue Snell (Amy Irving), die sich für ihr Verhalten schämt und eine Wiedergutmachung ersinnt. Ihr Freund Tommy Ross (William Katt) soll Carrie zum Abschlussball ausführen, sie selbst will auf diese Wichtige Nacht verzichten.

Viele Kritiker verweisen auf die vielen Religiösen Anspielungen des Films, die man so sehen kann, die man aber auch suchen und überinterpretieren kann. Durch das Setting und die Handlung ergeben sich Bilder und Verweise. Wer Spaß daran hat, soll sich austoben.

Ich finde es viel interessanter, wenn man hört, dass der Film und Brian De Palma oft als frauenfeindlich bezeichnet wurden. Äußern kann ich mich hier nur zum Film, und den finde ich emanzipatorisch und mit Frauenpower geladen, dass ich nicht weiss, woher diese Kritik kommt. Die Jungs und Männer sind hier nur Schachfiguren, die von den Mädels benutz werden, und bis auf Tommy Ross, der trotz seiner Frisur als einziger Hirn und Gefühl zu haben scheint, bieten sie allesamt keine Identifikationsfiguren.

Sissy Spacek spielt hier so grandios auf, und im Zusammenspiel mit ihrer Film-Mutter war die Oscar-Nominierung der beiden mehr als berechtigt. Im direkten Vergleich mit dem Remake von 2013, das zwar originalgetreuer ist, haben wir hier dennoch den deutlich besseren Film. Alleine die Ausstrahlung von Sissy Spacek als Carrie ist so viel echter. Nichts gegen Chloë Grace Moretz, aber in dieser Rolle unpassend, denn das hässliche Entlein nimmt man ihr nicht ab und das Remake erinnert eher an typische 90er Lovestories, wo es auch nie überzeugend war, dass das Mauerblümchen ach so unattraktiv sei. Mit der Original Carrie geling dies besser. Sie (also Spacek) ist optisch nicht die Norm und doch fühlt sich der Zuschauer mit der Zeit zu ihr hingezogen, ihre Taten mögen falsch und unverhältnismäßig sein, doch nie unverständlich.

Fazit:

Ohne Zweifel war dies zurecht der Durchbruch für Brian De Palma und Sissy Spacek. Bis Heute wird sich an diesem Film so oft bedient, sei es die Letzte Einstellung, der religiöse Fanatismus oder die beklemmenden Kameraeinstellungen, die oft mehr zeigen als das Offensichtliche. Ein Meisterwerk dem das Alter nichts anhaben kann, und dass auch heute noch genau so packend und unterhaltsam ist, wie zur Zeit seiner Entstehung.

Auf der mir vorliegenden DVD gibt es als Bonus noch einen sehr unterhaltsamen Audiokommentar von Filmhistoriker Lee Gambin und Filmkritikerin Alexandra Heller-Nicholas und das Wendecover ohne FSK Logo ist auch dabei.

Im höheren Preißsegment gib es dann das Mediabook, welches zusätzlich den Film auf UHD-Blu-ray (mit Dolby Vision und HDR10) und Blu-ray, sowie einem 36-seitigen Booklet mit einem Text von Fabian Stumm und einer extra Blu-ray mit der sehr interessanten Dokumentation „Acting Carrie: Interviews mit dem Regisseur und Cast“, sowie jede Menge weiterer Extras. Es lohnt den Aufpreis.

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