Denkt man indisches Kino, denkt man auch unweigerlich an exaltierte Tanz- und Gesangseinlagen. Doch Bollywood hat weitaus mehr zu bieten als schwülstige, farbenfrohe Romanzen. In den vergangenen Jahren erlebte vor allem das indische Actionkino einen gewaltigen Popularitätsschub und erfreute die Zuschauer mit pompösen, in Pathos getränkten Spektakeln mit der Devise „Larger than Life“. Dass es aber auch roh und kantig zur Sache gehen kann, zeigt der Reißer KILL (2023), bei dem der Titel auch wirklich Programm ist. Capelight Pictures veröffentlichte das Schlachtfest, welches quasi die Hindi-Antwort auf THE RAID (2011) darstellt, kürzlich als Limited Collector’s Edition, inklusive 4K-Scheibe. Ob der Film, der zweimal durch die FSK-Prüfung fiel und nun mit SPIO-Freigabe erschien, Actionfans wie auch Gorehounds zufrieden stellen kann, erfahrt ihr in unserer Kritik.
Originaltitel: Kill
Drehbuch: Nikhil Nagesh Bhat, Ayesha Syed
Regie: Nikhil Nagesh Bhat
Darsteller: Lakshya, Tanya Maniktala, Raghav Juyal, Abhishek Chauhan, Ashish Vidyarthi…
Artikel von Christopher Feldmann
Hierzulande genießt das indische Kino bis Dato ein etwas unrühmliches Dasein. Spricht man von Filmen aus dem Land, in dem Kühe heilig sind, rollen sich bei Vielen die Fußnägel hoch, denken diese doch in erster Linie an dick auftragende Schmonzetten mit nicht enden wollenden Tanz- und Gesangseinlagen, inklusive Texte, die niemand versteht. Dieses Bild ist vor allem durch die zahlreichen Produktionen mit Indiens Superstar Shah Rukh Khan geprägt, die in den 2000er Jahren nach Deutschland kamen und vor allem vom Privatsender RTL II in der Prime Time ausgestrahlt wurden, was einen gewissen Bollywood-Hype auslöste. Diese Romanzen funktionierten stets nach demselben Muster und ließen den Otto-Normal-Verbraucher nicht erkennen, dass Indien mehr zu bieten hat als Das. Erst in den letzten Jahren wandelte sich das Bild vom Hindi-Kino und spätestens mit S. S. Rajamoulis bombastischen Actionabenteuer RISE ROAR REVOLT (2022), kurz RRR, war klar, dass indisches Kino auch geil sein kann. Immer mehr actionorientierte Blockbuster, die sich meist durch absurde, überstilisierte Materialschlachten und maximalen Pathos auszeichnen, finden ihren Weg nach Deutschland, oftmals zum Streamingdienst Netflix. Der kürzlich erschienene KILL (2023) bedient allerdings wieder ein anderes Segment, denn hier wird weder getanzt und gesungen, noch werden endlose Zeitlupen verwendet. Stattdessen geht es hart und blutig zur Sache, wenn sich eine Ein-Mann-Armee durch einen von Räubern eingenommen Zug schnetzelt. Ein Schlachtfest wie dieses würde man normalerweise aus den Ecken Thailands, Südkorea oder Hongkong erwarten, doch hinter denen muss sich KILL nicht verstecken.
Handlung:
Der indische Elitesoldat Amrit (Lakshya) besteigt den Mitternachtsexpress nach Neu-Delhi, weil seine große Liebe Tulika (Tanya Maniktala) ebenfalls an Bord ist. Deren Familie hat eine Hochzeit mit einem anderen arrangiert, die nun finalisiert werden soll und die der junge Mann fest entschlossen verhindern will. Doch leider befinden sich auch 40 mit allerlei Hieb- und Stichwaffen ausgestattete kriminelle Räuber in dem Zug. Als diese mit ihrem Überfall auf die Passagiere beginnen und anfangen, die Fahrgäste brutal zu drangsalieren, hat Amrit keine andere Wahl: Er muss sich ihnen entgegenstellen. Furios improvisierend nutzt er dabei alles als Waffe, was ihm an Bord eines Zuges in die Finger kommen kann.
KILL wird in vielen Besprechungen mit dem indonesischen Actionbrett THE RAID (2011) verglichen, sind die Parallelen zwischen den beiden Filmen doch unübersehbar. Ein Mann muss es sich durch ein abgegrenztes Szenario kämpfen, wobei es natürlich wuchtig und blutig zur Sache geht und der Schwerpunkt weniger auf bleihaltigen Shootouts, sondern viel mehr auf ansprechend choreographierten Kampfszenen liegt. Während im Genreklassiker von Gareth Evans ein mehrstöckiges Gebäude als Schauplatz dient, spielt der hier vorliegende Film in einem Zug. Trotz der Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die beiden Film dennoch voneinander, nicht zuletzt aufgrund ihrer Inszenierung, ihren Charakteren und ihrer stilistischen Ausrichtung.
Ich will gar nicht so weit gehen und KILL so etwas wie Inhalt zuschreiben, denn dieser ist nur im Ansatz vorhanden. Im Grunde geht es um einen Elite-Soldaten, der die arrangierte Hochzeit seiner großen Liebe verhindern will und sich deshalb im gleichen Zug befindet, der wiederum von einer Bande von Gangstern eingenommen wird, die nicht gerade zimperlich mit den Passagieren umgeht. In der ersten Dreiviertelstunde gestaltet schreitet der Film noch mit angezogener Handbremse voran, werden doch erst einmal ein paar Figuren eingeführt, welchen aber auch nur das absolute Minimum an Personality gewährt wird, sowie das Szenario etabliert. Erst nach 45 Minuten (keine Angst, auch vorher bekommt der Zuschauer die ein oder andere Auseinandersetzung kredenzt) überrascht der Streifen doch tatsächlich mit einer Wendung, mit der ich zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet hätte. Erst dann erscheint der Filmtitel im Bild und was darauf folgt, kann sich sich jeder denken, denn dann schaltet Regisseur Nikhil Nagesh Bhat in den Vollgas-Modus und lässt seinen Protagonisten reihenweiser Gegner auseinandernehmen. Dass es dabei nicht gerade zaghaft zur Sache geht, beweist die Tatsache, dass die FSK dem Film zweimal die 18er-Freigabe verwehrte.
So wird hier von allerlei Hieb- und Stichwaffen Gebrauch gemacht, Körper werden durchbohrt, Köpfe mit Messern oder auch gerne mal mit Toilettenkeramik bearbeitet und Gliedmaßen malträtiert. KILL verlässt sich dabei aber nicht nur auf stumpfe Gewalt, sondern präsentiert darüber hinaus auch eine gelungene Actioninszenierung. Die Kämpfe sind gut choreographiert, das beengte Setting sorgt derweil für eine gute Atmosphäre und die Kamera verliert sich nie in Close-Ups, sondern fängt das Geschehen immer gut ein. Der Regisseur hat definitiv seine Hausaufgaben gemacht.
Allerdings stolpert der Film über die Gefahr, ab einem gewissen Punkt etwas redundant zu werden, denn irgendwann fehlt ein wenig die Variation in der Action. Wo beispielsweise THE RAID immer neue Ideen in seine ohnehin aufregenden Martial-Arts-Szenen einbrachte, verliert sich KILL irgendwann in schlichtem Gemetzel. Das ist optisch zwar ansprechend und für Fans der härteren Gangart sicher ein Genuss, es fehlt trotzdem an dem gewissen Etwas. Denn wenn „Amrit“ irgendwann den 32. Gangster zu Mus geprügelt hat, zuckt man als Zuschauer dann doch mal mit den Schultern.
Das größte Problem liegt allerdings in der Tatsache, dass der „Held“ so gut wie keine Identifikationsfläche bietet. Im Kern geht es nur darum, sich die Braut zurückzuholen, was in Anbetracht dessen, dass dafür mindestens drei Dutzend Menschen brutal umgebracht werden, dann doch ein wenig exzessiv wirkt. Aber so ist das indische Kino nun mal. „Amrit“ wirkt zu keiner Zeit wie ein wirklicher Charakter, sondern wie eine reine Tötungsmaschine, im Vergleich wirken selbst die Bösewichte weitaus dreidimensionaler. Einer der Antagonisten trifft es mit einer Zeile gen Ende relativ passend, wundert er sich doch über die übertriebene Brutalität, denn während die Bande vier Opfer forderte, nahm „Amrit“ rund 40 auseinander. Was genau die Motivation der Gangster ist, ist dabei nicht so wichtig, jedoch lassen sich Anflüge von System- und Gesellschaftskritik erkennen aber auch nur ganz dezent. Hätte man diese noch etwas ausformuliert, hätte der Film noch einen gewissen Mehrwert bekommen. So bleibt aber immerhin ein sehenswertes Schlachtfest für Genrefans.
Capelight Pictures musste wie bereits erwähnt den Gang zur SPIO antretet, die KILL „keine schwere Jugendgefährdung“ attestierten. Kurz nach dem digitalen Release (Uncut!) erschien der Film auch auf Scheibe, standesgemäß im 4K-Mediabook, das neben der UHD-Scheibe auch eine Blu-ray beinhaltet. Bild- und Tonqualität sind wie gewohnt erste Sahne, im Bonusmaterial finden sich mehrere Featurettes, u.a. Behind the Blood und Behind the Action, sowie ein Making-Of und der Trailer. Zusätzlich wartet die Edition mit einem 24-seitigen Booklet auf. Wer den Geldbeutel schonen möchte und nicht zwingend die UHD-Variante benötigt, muss bis zum 30. Januar warten, denn dann erscheint KILL auch als Blu-ray und DVD im Keep-Case.
Fazit:
Bei KILL (2023) ist der Titel Programm. Ein beinhartes wie auch stumpfes Actionfest, bei dem sich Gorehounds und Fans durchchoreographierter Keilereien am blutigen Gemetzel ergötzen können. Einen größeren Mehrwert bietet der Actionfilm zwar nicht, als schlagkräftiges Blutbad funktioniert der Streifen allerdings ziemlich gut.
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