Im längst vergangenen Jahr 1922 entstand eine Symphonie des Grauens unter der Regie von F.W. Murnau, teilweise in meiner Heimatstadt Lübeck, in der Graf Orlok heute noch des Nachts im Fenster des Salzspeichers gesichtet werden kann. Ein Meisterwerk, welches, aufgrund seiner unleugbaren Nähe zu Bram Stokers Dracula, beinahe für immer zerstört worden wäre. 1979 wagte sich Autorenfilmer Werner Herzog an eine Neuauflage, die aber lediglich aufgrund der Idealbesetzung von Klaus Kinski als Blutgraf nennenswert bleibt. Jetzt, mehr als hundert Jahre nach Entstehung des Originalfilms, hat sich Regisseur Robert Eggers (Der Leuchtturm) einen Kindheitstraum erfüllt und Graf Orlok in einer Neuinterpretation, die uns UNIVERSAL PICTURES zu Jahresbeginn in den Kinos präsentiert, nochmal zum Leben erweckt. Warum der Film unbedingt sehenswert ist, erfahrt Ihr in meiner Kritik.
Originaltitel: Nosferatu
Regie: Robert Eggers
Darsteller: Lily-Rose Depp, Nicholas Hoult, Aaron Taylor Johnson, Willem Dafoe, Bill Skarsgård
Artikel von Christian Jürs
Von wegen früher war alles besser. Nein, ich meine nicht die Filme, die uns in den Lichtspielhäusern präsentiert werden, sondern das Wetter. In Robert Eggers Nosferatu – Der Untote, dessen Handlung im Jahr 1838 angesiedelt ist, herrscht durchweg Schlechte-Laune-Wetter. Wenn es nicht gerade regnet oder in den Karpaten gar schneit, liegt ein Nebel über der fiktiven, deutschen Stadt Wisborg, in der der Graf für Unheil sorgt.
Das Grundgerüst der Geschichte dürfte jedem, der schonmal eine Dracula-Geschichte gesehen, gehört oder gelesen hat, mehr als nur bekannt vorkommen. Der junge Jonathan Harker, der hier Thomas Hutter (Nicholas Hoult) heißt, reist im Auftrag seines Bosses, dem Makler Knock (Simon McBurney), nach Transsilvanien, um dem dort ansässigen Graf Orlok (Bill Skarsgård) ein Anwesen in Wisborg, ganz in der Nähe des Hauses von Hutter und seiner frisch angetraute Ehefrau Ellen (Lily-Rose Depp), zu verkaufen. Doch damit läuft der junge Makler dem untoten Blutsauger in die Falle, der sich an seinem Blut labt und ihn anschließend scheinbar tot zurücklässt, um in Wisborg Ellen aufzusuchen und sie in seinen Bann zu ziehen. Doch die junge Frau wehrt sich mit Kräften, woraufhin jeden, der ihr nahesteht, der Tod heimsucht. Kann Thomas seine Liebste, mit Hilfe von Professor Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe), einem Experten für das Okkulte, und seinem besten Freund Friedrich Harding (Aaron Taylor-Johnson), einem Kaufmann, dessen Ehefrau Anna (Emma Corrin) eng mit Ellen befreundet ist, noch retten?
Endlich! Nachdem jahrelang der Vampir nur noch als reißende Bestie dargestellt wurde, widmet sich Robert Eggers mit Nosferatu – Der Untote der erotischen Komponente des Schauermärchens. Das bedeutet mitnichten, dass der Horror hier zu kurz käme. Im Gegenteil, der Film trägt durchweg eine düstere, unangenehme Atmosphäre, es gibt Blut- und Schockmomente, aber eben auch die Faszination für das blutsaugende Monster, dem die Damenwelt, trotz seines Aussehens (und das ist hier besonders „eigenartig“), nicht widerstehen kann.
Die Settings, meist gehüllt in blasse, blaue Farben, beeindrucken ebenfalls. Bei den Gebäuden Wisborgs stand Lübeck eindeutig Pate (inklusive des Holstentors und den typischen Backsteingebäuden), was mich natürlich besonders erfreut hat. Auch die Schauspielerwahl ist vorzüglich geraten, allen voran Bill Skarsgård, den man so gar nicht erkennen kann. Aber auch Willem Dafoe, Nicholas Hoult und Aaron Taylor Johnson überzeugen wie üblich (okay, Aaron Taylor Johnson hat auch gerade, aufgrund von Kraven – The Hunter, einiges wettzumachen). Einzig Lily-Rose Depp agiert hier und da ein wenig hölzern. Schade, dass nicht wie geplant Anya Taylor-Joy ihren Part übernahm. Doch das ist, neben der etwas ausufernden Laufzeit von 133 Minuten, auch der einzige Kritikpunkt meinerseits, zumal sich Johnny Depps und Vanessa Paradis Tochter sichtlich bemüht und mit vollem Körpereinsatz spielt.
Dafür stattet Robert Eggers seine Figuren mit deutlich mehr Tiefe aus, als es noch im Originalfilm der Fall war. Auch die mit dem Grafen in Wisborg einkehrende Pest bekommt hier einen gruselig-abstoßenden Stellenwert, der den Horror noch vergrößert und für zusätzlichen Ekel sorgt.
Alles in allem ist Nosferatu – Der Untote ein hoffnungsvoller Start in die Kinosaison 2025, da man das Herzblut, welches Robert Eggers in den Film steckte, in jeder Pore erkennbar ist. Was hier für nur 50 Millionen Dollar Budget auf die Beine gestellt wurde, ist durch und durch beeindruckend. Eine würdevolle Verbeugung vor dem über hundert Jahre alten Originalfilm.