Barry Levinson drehte gleich zwei der großen Spät-80er-Hollywoodklassiker direkt hintereinander: erst Good Morning, Vietnam, dann Rain Man.  Etwas später folgten noch Sleepers und der großartige Wag the Dog. Es war ein guter Lauf für Levinson, der auch mit seinen anderen Filmen aus der Zeit keine schlechte Arbeit ablieferte. Als Regisseur für Rain Man war Levinson allerdings nicht die erste Wahl, sondern tatsächlich erst die vierte, was ihn aber nicht groß störte, denn er beriet zuvor schon Sidney Pollack, der die erste Wahl als Regisseur war und nach einem Monat Vorbereitung wieder absprang. Levinson war also von Anfang an bei dieser Produktion involviert und bekam dann letztendlich den Zuschlag, nachdem auch Leute wie Spielberg und Brest, die Pollack folgten, absprangen. Ein Moment, auf den Levinson nur gewartet hatte, denn er hatte ganz klare Vorstellung zur Herangehensweise an diesen Film. Er wollte eine simple Geschichte über die Annäherung zweier Brüder drehen und keinen Film über Autismus. Der Autismus in Rain Man ist zwar einigermaßen fundiert recherchiert worden, ist am Ende aber nur ein Mittel zum Zweck, denn bei Raymond geht es in erster Linie um die Inselbegabung des Zählens, um die schnelle Auffassungsgabe für Zahlen und was man daraus in Las Vegas machen könnte. Diese Begabung wird durch Autismus ausgelöst, nur deswegen gibt es überhaupt die Erkrankung als Element der Story. Das Barry Levinsons Arbeit dennoch zu einem der großen Filmklassiker Hollywoods avancierte, ist dem offenen Drehbuch zu verdanken, Hans Zimmer und der schauspielerischen Leistung von Tom Cruise und Dustin Hoffman. CAPELIGHT PICTURES bringt den Klassiker nun als 2-Disc Limited Collector’s Edition im Mediabook (4K Ultra HD + Blu-ray) und als Einzel-DVD heraus.

Regisseur: Barry Levinson

Darsteller: Tom Cruise, Dustin Hoffman, Valeria Golino, Jack Murdock, Bonnie Hunt

Artikel von Kai Kinnert

Der selbstverliebte und karrierefixierte Autohändler Charlie Babbitt (Tom Cruise) erfährt nach dem Tod seines Vaters, dass er einen älteren Bruder namens Raymond (Dustin Hoffman) hat, dem laut Testament das Familienvermögen von über drei Millionen Dollar zufällt. Raymond ist Autist und lebt in einer betreuten Einrichtung. Mit einem Plan, der ihm doch noch den ihm seiner Meinung nach zustehenden Erbteil einbringen soll, entführt Charlie seinen Bruder aus dem Heim. Die Flucht führt die beiden ungleichen Brüder quer durch die Vereinigten Staaten und stellt nicht nur die Geduld, sondern den gesamten Charakter des Egozentrikers Charlie auf eine harte Probe.

Der Film ist eine große Tom-Cruise-Nummer, denn er trägt den gesamten Film auf seinen Schultern. Dustin Hoffman legt hier zwar eine Meisterleistung des Minimalismus ab, ist aber von der ersten bis zur letzten Minute des Filmes passiv, Raymond kann die Handlung nicht voranbringen, er kann nichts machen, er ist und bleibt eben Autist. Raymond ist am Anfang des Films genauso, wie zum Ende hin, eine Wandlung ist als Autist nicht möglich – ganz im Gegensatz zu Tom Cruise, der mit seiner Figur des Charlie eine Reise der Veränderung antreten soll. Rain Man ist ein klassisches Roadmovie (nur ohne Gitarrenmusik), bei dem die Figuren innerlich und äußerlich eine Reise antreten, die sie verändern wird. Charlie ist derjenige, der alles ins Rollen bringt, er ist es, der das ungleiche Duo auf einen Weg der Annäherung schickt, und sei es auch nur eine einseitige Annäherung. Tom Cruise ist der dynamische Motor des Films, er muss alles antreiben, von Charlie kommt jede Art der Entwicklung in Rain Man. Damit das filmisch gelingen kann, verzichtete Levinson im Reiseteil des Drehbuchs auf genaue Festlegungen im Umgang und Erleben zwischen Raymond und Charlie – und überließ es den beiden Hauptdarstellern, einen Weg zueinander zu finden. Sprich: man improvisierte ganz gewaltig, selbst in Charlies langem Monolog auf der Landstraße.

Tom Cruise strengt sich in seiner Rolle gewaltig an, er spielt teilweise aufgebracht und bedient sich dabei seiner vielen Tom-Cruise-Moves (Gestikulieren, Finger-zeig, durch die Haare fahren, Lächeln), die man so aus seinen Filmen kennt. Ich mag den Schauspieler Cruise recht gerne, aber es gibt in Rain Man diese kurzen Momente, in denen Cruise einfach etwas zu sehr darin engagiert ist, die fehlende Dynamik von Raymond zu ersetzen. Diese kurzen Momente der Überanstrengung werden allerdings durch einen in sich ruhenden Dustin Hoffman aufgefangen. Der hat es dagegen mit der Darstellung des Autismus nur vermeintlich leichter. Während Cruise also für zwei Leute spielt, braucht Hoffman eher nur stoisch in der Gegend herumsitzen und „A-Oh“ sagen. Doch Hoffman ist in seiner Rolle hoch konzentriert, er spielt auf den Punkt, glänzt im Timing und verleiht seiner Rolle eine würdige Tiefe, in dem er wahrlich nicht einen Millimeter von seiner Rolle abweicht. Es ist ein Segen des Films, dass dies auch konsequent im Finale eingesetzt wird und man sich so für den Realismus als für die Bedürfnisse des Zuschauers entschieden hat.

Rain Man funktioniert auch heute noch gut, was vor allem an Dustin Hoffman liegt. Die Rolle von Tom Cruise ist eine typische Cruise-Rolle der späten 1980er, in der er als ehrgeiziger Egoist besetzt wurde und Geld und Erfolg seine einzigen Motivationen sind. Komischerweise ändert sich das während des Filmes kaum. Charlie findet zwar eine Annäherung an seinen Bruder, jedoch verweigert ihm das Drehbuch den Entzug des materiell orientierten Ehrgeizes. Erst in den letzten 10 Minuten des Films zeigt der Charakter von Charlie eine Veränderung, die jenseits von Las Vegas, Geld und Kartenzählen liegt. Es ist die einzige Stelle in Rain Man, in der Rolle von Tom Cruise aufbricht und er zu dem wird, was sich schon vorher auf der Reise hätte ergeben müssen. Dennoch ist Rain Man noch immer sehenswertes, dicht inszeniertes Schauspielkino, dass durch eine gute Kameraführung und Hans Zimmers erster Filmmusik für Hollywood bestens flankiert wird. Ein guter Film von Barry Levinson, ein besserer von Tom Cruise und ein noch besserer von Dustin Hoffman. So geht Entertainment mit einem Quäntchen Anspruch. „A-Oh!

Das Bild der gesichteten Blu-ray ist sauber, satt und klar, der Ton ist gut. Als Extras gibt es ein 24seitiges Booklet mit einem interessanten Aufsatz von Victoria Lang zum Thema, einen Audiokommentar von Regisseur Barry Levinson, einen Audiokommentar von Drehbuchautor Barry Morrow, einen Audiokommentar von Drehbuchautor Ronald Bass, Die Entstehung von Rain Man, Autismus verstehen, Original-Featurette, Entfallene Szene und Original Kinotrailer.

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