Es wird Sie einen feuchten Kehricht interessieren, werter Leser, dass ich von Regisseur Kim Jee-woon etliche Filme im Regal stehen habe, mehr oder weniger zufällig gekauft, die allesamt sehenswert sind und zur Oberklasse das K-Kinos gehören. In seinen Filmen gab es stets einen gewissen „drive“ und kantig-originelle Ansätze, sei es nun in A Quiet Family (sein Debüt von 1998), A Bittersweet Life, The Good The Bad The Weird, A Tale Of Two Sisters oder I Saw The Devil. Da ist es nicht überraschend, das A-Liga-Filmer Kim Jee-woon auch mal einen Gang runter schalten wollte und sich auf ein Experiment einließ, das auch für ein Filmland wie Korea irgendwie ungewöhnlich ist. Es ist, als hätte Regisseur Kim eines Morgens die Augen aufgeschlagen und sich spontan dazu entschlossen, einmal im Leben ein Boulevard-Bühnenstück verfilmen zu wollen, eine Art Amateur-Bühnen-Posse, die irgendwie zwischen Screwball-Comedy und entfesseltem Ohnsorg-Theater liegt. PLAION PICTURES bringt den Streifen in Kürze auf Blu-ray und VoD heraus.

Originaltitel: Geomijip (aka Cobweb)

Regie: Kim Jee-woon

Darsteller: Song Kang-ho, Oh Jung-se, Krystal Jung, Lim Soo-ju

Artikel von Kai Kinnert

Der Regisseur hat eine Vision! Dieses radikale Finale wird sein durchschnittliches Sozialdrama in einen revolutionären Thriller verwandeln. „Spinnennetz“ wird sein Meisterwerk und ihn in die A-Liga zurück-katapultieren! Dummerweise ist der Film bereits abgedreht. Die Produzentin verbietet Nachdrehs, die Zensurbehörde sowieso, Cast und Crew sind weitergezogen. Der Filmemacher dreht trotzdem – die begehrten Auszeichnungen im Blick und allem Zickenkrieg am Set und noch so ätzenden Widrigkeiten zum Trotz.

Um es mal gleich auf den Punkt zu bringen: Hauptdarsteller Song Kang-ho ist gut, der Kerl ist eine sichere Bank und (eigentlich) ein Garant für solides Kino. In A Quiet Family (1998), JSA (2000), Sympathy for Mr. Vengeance (2002), Memories of Murder (2003) oder Parasite (2019), um mal gleich einen ganzen Schwung bekannter Titel zu überspringen, wirkte Song als Schauspieler mit und konnte so seine Duftmarke in der Filmlandschaft des erfolgreichen Korea-Kinos setzen.

Den Schauspieler müssen die laxen Drehbedingungen für Spider Web gelockt haben, anders kann man sich das Einlassen auf die schauspielerische Unterforderung für ein 1000-Sassa wie Song Kang-ho nicht erklären. Spider Web wurde fast komplett auf der Ton-Bühne eines alten Studios gedreht (der Film spielt Anfang der 1970er) und erinnert mit seinen Tür-auf-Tür-zu-Rumgerenne-Theaterschwank-Gehabe an eine Gastspiel-Inszenierung der Provinz-Bühne Bückelhausen im Hamburger Ohnsorg-Theater.

Doch worum geht es? Der erste Satz der Plaion-Pictures-Inhaltsangabe trifft es fulminant auf den Punkt: Der Regisseur hat eine Vision! Helmut Schmidt, eins ein überschätzter Kettenraucher, pflegte daraufhin treffend zu sagen: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“, doch Song Kang-ho geht nicht zum Arzt, sondern zu seiner Produzentin, um zwei weitere Drehtage für seinen Film herauszuschlagen. Doch die will ihm keinen Nachdreh gewähren, auch wenn er stets behauptet, dass dieser Nachdreh den Film zu einem Meisterwerk erheben würde, die Aussage wäre völlig neu. Doch die Schauspieler sind schon abgereist, das nächste Team will drehen und die Zensurbehörde sitzt einem auch schon im Nacken. Also keine Chance für das Meisterwerk. Song Kang-ho kann jedoch die Nichte der Produzentin für den Nachdreh begeistern – und schon wird die Abwesenheit der Chefin dafür genutzt, eine verwirrte Schauspielertruppe zurück vor die Kamera zu zerren und ihnen eine Erweiterung des Drehbuchs in die Hand zu drücken, die sie nicht kapieren. Die Schauspieler haben keine Ahnung, was sie da eigentlich am Set machen. Der Regisseur hingegen schon, so vermutet er.

Was nun folgt, ist ein ewig langer Reigen um einen Film-im-Film (der in schwarz/weiß gedreht ist), verzickte und fremdgehende Schauspieler, einen Regisseur mit Visionen, sturzbesoffene Beamte der Zensurbehörde, ein improvisierendes Filmteam und ein Feuer, das außer Kontrolle gerät. Am Ende kreischt und stolpert alles in Zeitlupe durcheinander, Dinge fliegen, Leute fallen, Feuer brennt, Hysterie und künstlerische Panikattacken brechen aus, Regisseur Kim Jee-woon ist in seinem Screwball-Look-A-Like-Movie formvollendet angekommen und hat dabei scheinbar selber die Übersicht über Zeit und Raum verloren. Es ist offensichtlich, dass sich Kim mit diesem Film auch einmal als luftig-leichten Boulevard-Regisseur betätigen wollte und sich so inhaltlich für die geringstmögliche Herausforderung entschied – doch das sollte er lassen. Der Film hat seine amüsanten Momente, seine Schmunzler, verliert am Ende jedoch wegen seiner überstrapazierten Laufzeit, mangelnden Inhalts und einer zu häufigen Wiederholung der immer gleichen Dramaturgie.

Doch das größte Problem dieses Films ist, dass der Film-Im-Film besser ist, als der eigentliche Film. Das schwarz/weiß-Thriller-Drama ist in seinen Szenen origineller, packender und besser Inszeniert worden, als der Hauptfilm. Kernszene der Dreharbeiten vom Film-Im-Film ist das Finale, das als lange Plansequenz gedreht werden soll und in kompletter Länge am Ende des Hauptfilms gezeigt wird. Und während man sich diesen schwarz/weiß-Fake-Film am Ende ansieht, fragt man sich, wieso man den Film-Im-Film nicht gleich als eigenständige Auskopplung gedreht und den Rest einfach über Bord geschmissen hat.

Spider Web ist eine filmische Farce, die irgendwie aus dem Ärmel geschüttelt wurde. Als hätte man sich nur lose Gedanken gemacht, sich auf die angerissenen Meta-Ebenen verlassen (wurde der Film denn wirklich neu gedreht – oder ist das, was man am Ende sieht, der alte Film, der hätte neu gedreht werden müssen?) und das Teil an sechs lauen Wochenenden mit einem halben Drehbuch abgedreht. Als Zuschauer verfolgt man das wuselige Geschehen mit abnehmende Interesse, da die ganze Sache keine Substanz und keine Gags für 132 Minuten Laufzeit hat. Eine ordentliche Kürzung der Story hätte der Sache gut getan. Spider Web ist nun kein wirklich schlechtes Kino geworden, dafür sind die Schauspieler und die Kameraführung einfach zu gut, aber es fehlt dem Streifen einfach an Timing, Inhalt und origineller Zuspitzung. Komödien, gerade Screwball-Komödien, sind ein hartes Genre, dass dreht man nicht einfach so nebenher. Eine Erfahrung, die nun auch Kim Jee-woon machen durfte. Das geht besser.

Das Bild der gesichteten Blu-ray ist sauber, satt und klar, der Ton ist gut. Als Extras gibt es Trailer.

Amazon Partner Links:

Blu-ray

Prime Video

Zurück zur Startseite