Es ist nicht überliefert, ob dem irren Killer Ed Gein bekannt war, dass er durch seine Untaten als Inspirator für Filme wie PSYCHO (1960) oder TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) gedient hatte. Für den Einfluss auf die Popkultur hat sich das Verbrechen stets gelohnt und Ed Gein wurde somit für seinen Irrsinn auf verschiedenen Ebenen ausreichend oft ein Denkmal gesetzt. Charles Manson und Ted Bundy sind die andere Kaliber aus der Irren-Liga, die von der amerikanische Popkultur nicht vergessen wurden. Von DERANGED heißt es, dass der Film wie kein anderer dicht an den wahren Geschehnissen von damals kommt, da Produzent Tom Karr, fast wie ein Fanboy, alles mögliche an Aussagen und Fakten im Vorfeld der Produktion recherchierte und Autor Alan Ormsby daraus dann das schmuddelige und groteske Hinterzimmer von PSYCHO schreiben sollte. Zum 45. Jahrestag von DERANGED erscheint nun die dick ausgestattete 2-Disc Limited Collectors Edition von WICKED VISION.

Originaltitel: Deranged

Alternativtitel: Besessen

Regie: Jeff Gillen, Alan Ormsby

Darsteller: Robberts Blossom, Cosette Lee, Leslie Carlson

Artikel von Kai Kinnert

Nach dem Tod seiner Mutter bringt Ezra ihren Leichnam vom Friedhof nach Hause. Er umsorgt die Verstorbene und spricht mit ihr. Leider fällt die alte Dame immer mehr auseinander und so ist Ezra gezwungen, „Ersatzteile“ zu besorgen, um sie zu erhalten. Anfangs plündert er nur die Gräber frisch Verstorbener, doch bald wendet er sich den Lebenden zu. Immer mehr Frauen verschwinden in der kleinen Gemeinde. Als die Polizei dem irren Ezra schließlich auf die Schliche kommt, steht ihr in seiner Scheune eine grauenvolle Entdeckung bevor.

DERANGED, den ich zuvor nicht kannte, gestaltete sich während der Sichtung anfangs zu einem kleinen Problem. Die Filme der 70er sehe ich gerne, auch quer durch alle Genres, aber sie müssen eben etwas mehr haben, als nur eine Handlung, nur ein Genre oder nur eine Stimmungsidee. Film ist ein optisches Medium und entfaltet seine Kraft durch den bewussten Einsatz seiner optischen Wirkung. Alles andere ist letztendlich Theater. Erst wenn die Regie begreift, was sie mit Brennweiten und bewegter oder unbewegter Kamera und Zeit erreichen kann, entsteht ein Film.

THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE hat es ganz gut vorgemacht. Die Handlung ist ein Klassiker im Genre, letztendlich unoriginell und streckenweise dumpfbackig inszeniert. Doch der Streifen hat eine fotografische Idee, die technisch gekonnt (und simpel) umgesetzt worden ist und so dem Film bis heute einen Platz im Museum of Modern Art in New York gesichert hat. Tobe Hooper wusste um die Wirkung von Weitwinkeln und die Farbgebung durch den Positivfilm, auf dem TCM gedreht worden ist. Und so reichten – trotz fehlendem Budgets – ein Sack voll Tierknochen, ein Fleischerhaken, eine Blechtür und ein Ess-Tisch aus, um mit wenig Blut einen echten Knaller zu drehen. Das Publikum muss damals geschockt gewesen sein, denn die Art und Weise wie TCM schon im Intro für die richtige Stimmung sorgt, war damals innovativ. TCM wollte durch den bewussten Einsatz fotografischer Mittel auf die Fresse hauen und war darin lange erfolgreich.

DERANGED hat diesen Anspruch nicht. Während Tobe Hooper zum Thema Ed Gein in erster Linie eine abstrakte Idee aus Stimmung und Optik hatte, verlassen sich die Regisseure Jeff Gillen und Alan Ormsby ganz auf den Thrill der grotesk-irrsinnigen Hauptfigur Ezra, der immer mehr Einzelteile für den Relaunch seiner Mutter vom Friedhof benötigt und irgendwann mit dem Morden anfängt. Und wie es sich für einen Kultfilm gehört, klafft DERANGED in einigen Passagen durch das extrovertierte und augenrollende Schauspiel Roberts Blossoms in die Gefilde des überambitionierten Amateurfilms, nur um dann – endlich – im rechten Moment zur filmischen Einheit zu finden.

Anfangs spielt der Film noch mit einer grotesken Komik, mit einem schwarzen Humor. Eben lebt die liebe Mutti noch und wird von Ezra gefüttert, schon stirbt sie – knalliges Blut kotzend – im Bett. Doch gleich nach der Beerdigung gräbt Ezra sie wieder aus und holt sie zurück nach Hause. Schon bald erweitert sich die Sammlung im Haus mit Ersatzteilen vom Friedhof, denn Mutti zerfällt und alleine soll sie ja auch nicht sein. In den Effekten hält sich DERANGED zurück, vieles bleibt angedeutet. Der mütterliche Leicheneffekt ist deutlich erkennbar eine Mischung aus Gips, Latex und Schaufensterpuppe und auch der Effekt des offenen Schädels mit dem Gehirn, in dem Ezra mit einem Löffel spielt, ist very low-budget. Jedoch, und das muss man dem Film zu Gute halten, ist der Film so konstant von Tod und Verwesung durchzogen, das die Qualität der Effekte immer mehr in den Hintergrund gerät und die Beklemmung ob des Irrsinns in den Vordergrund tritt.

Trotzdem beginnt der Film irgendwann zu langweilen, da die Filmemacher lange vergessen, dass Film nicht nur das Ablichten einer Handlung ist – und sei sie auch noch so krank und auf Wahrheiten basierend. Gerade als man darüber nachdenkt, was wohl im TV läuft, schaltet DERANGED um. Plötzlich ist der Moment da, aus dem DERANGED letztendlich seinen Kultstatus bezieht, der die zerfranste Inszenierung auffängt und ihn endlich zu einem Horrorfilm macht. Plötzlich spielt die Kamera in der Spannung eine Rolle und der Film verlässt die Ebene des Vortragens.

Wenn Ezra im letzten Drittel des Films das junge Mädchen jagt, sie in seinem Haus landet und die Polizei ihn später im Schuppen mit einer aufgehängten Leiche entdeckt, hat sich DERANGED vom Ballast seiner Schlichtheit befreit und endlich seinen eigenen Anspruch erfüllt.

Freunde des authentisch motivierten Serienkiller-Genres finden in DERANGED einen grotesk-schwarzhumorigen und doch – da eben wahr – beklemmenden Film, der auf einer gewissen Ebene Kopfschmerzen macht. PSYCHO und TCM sind letztendlich die besseren Filme zum Thema, da sie sich auch auf künstlerischer Ebene mehr Gedanken darüber machten, was sie eigentlich transportieren möchten. So bleibt DERANGED insgesamt ein durchwachsener Film.

Fans des Streifens bekommen hier allerdings die volle Packung. Uncut und mit gutem Bild und Ton, gibt es dieses Kleinod mit einer Menge Extras, die wirklich liebevoll von WICKED VISION zusammengestellt worden sind. Neben einem informativen 24-seitigen Booklet gibt es – und nun wird die Liste lang – einen Audiokommentar von Tom Savini (der bei den Effekte assistierte) und Calum Waddell, sowie von Jörg Buttgereit und Dr. Gerd Naumann, eine Einleitung durch Jörg Buttgereit, ein Interview mit Produzent Tom Karr, ein Making Of (das von Tom Savini am Telefon kommentiert wird), The Ed Gein Story: Produzent Tom Karr on Location, Scott Spiegel spricht über DERANGED, die etwas unheimliche Fan-Doku ED GEIN – AMERICAN MANIAC (bei der einige eklige Tatortfotos zu sehen sind), Making Of zu CREEP, Mitschnitt des Theaterstücks „Kannibale und Liebe“ von Jörg Buttgereit, der Kurzfilm „Ein Moment der Stille am Grab von Ed Gein“, Kinotrailer, alternative Trailer, Teaser-Trailer, „Trailers from Hell“ von Adam Rifkin, Trailer zu „Kannibale und Liebe“, Trailer zu NECROMANTIK 1 & 2 von Jörg Buttgereit und eine Bildergalerie.

Das war es dann auch schon. Als weniger spezialisierter Filmfreund kann man sich die Collectors Edition fast schon aufgrund der Extras ins Regal stellen.

Trailer:

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