Es gibt noch Filme, die jeglichen Konventionen trotzen. Filme, die so eigenständig und gegen den Strich gebürstet sind, dass der konventionelle Filmliebhaber schnell an seine Grenzen stößt. Ali Abbasis BORDER (2018) ist so ein Film. Capelight Pictures veröffentlicht diese skandinavische Perle nun im Heimkino, was Grund genug ist, möglichst viele Cineasten auf diesen obskuren, wie auch berührenden Genre-Mix aufmerksam zu machen! Capelight Pictures hat uns je eine DVD und Blu-ray zur Verlosung zur Verfügung gestellt. Alle Infos findet Ihr unten im Artikel.
Originaltitel: Gräns
Drehbuch: Ali Abbasi, Isabella Eklöf, John Ajvide Lindqvist; nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von John Ajvide Lindqvist
Regie: Ali Abbasi
Darsteller: Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson, Ann Petrén, Sten Ljunggren…
Artikel von Christopher Feldmann
Das skandinavische Kino ist seit vielen Jahren ein Garant für erfrischend andere Filmkost, gerade im Genre-Bereich. Sollte man vom üblichen Hollywood-Mainstream oder europäischen Arthouse-Film genug haben, lohnt sich ein kleiner Blick in die nordischen Länder, die gerne frische Ideen verarbeiten und immer wieder mit verspielten Stoffen punkten können. Der, in Dänemark lebende, Inder Ali Abbasi hat mit seinem Erstling SHELLEY (2016) bereits bewiesen, dass er es versteht, handfestes Genre-Kino mit tiefschürfenden Themen zu kombinieren. Seine zweite Regie-Arbeit BORDER (2018) steht dem in Nichts nach und kommt als groteskes Thriller-Drama daher, welches aber schnell klar macht, dass jegliche Vorahnungen zwecklos sind. Basierend auf einer alten Sage und einer Kurzgeschichte des schwedischen Autors John Ajvide Lindqvist, der generell für Horrorgeschichten bekannt ist, präsentiert uns der Filmemacher ein Werk, welches jeglicher Beschreibung trotzt und den Zuschauer mit auf einen wilden Ritt nimmt, den man am besten ohne Vorwissen antreten sollte. BORDER ist kein Film für Jedermann, sondern etwas für Filmliebhaber, die gerne obskures erkunden.
Inhalt:
Die schüchterne und, aufgrund eines Chromosomfehlers, deformierte Tina (Eva Melander) arbeitet als Grenzbeamtin in Schweden und besitzt eine besondere Gabe: Sie kann Gefühle, wie Scham, Angst oder Schuld buchstäblich riechen. Somit erreicht sie eine hundertprozentige Trefferquote und filtert leicht Menschen heraus, die unerlaubt Waren schmuggeln. Privat lebt Tina zurückgezogen in einem abgeschiedenen Haus im Wald, gemeinsam mit dem Hundetrainer Roland (Jörgen Thorsson), zu dem sie eine rein platonische Beziehung hat. Besonderst zutraulich verhalten sich ihr gegenüber die Tiere, die Tina zu verstehen scheint. Ansonsten pflegt sie keine großen Beziehung, mit Ausnahme zu ihrem Vater, der im Altersheim verweilt. Ihr Leben ändert sich, als sie Vore (Eero Milonoff) trifft, der ebenfalls deformiert und eine Art Außenseiter ist.
Was auf den ersten Blick wie eine durchaus bizarr wirkende Love-Story aussieht, entpuppt sich nur als kleines Puzzelteil in Abbasis Grenzen sprengendem Film. Während die zu Grunde liegende Kurzgeschichte mehr auf einem klassischen Horrormärchen fußt, hat es sich der Regisseur und Co-Autor nicht nehmen lassen, die Story um mehrere Ebenen und Erzählstränge zu erweitern. BORDER beinhaltet viele unterschiedliche Elemente, die bei grober Betrachtung gar nicht so wirklich zusammenpassen. Mit genau diesem Gefühl spielt der Film und erzählt zunächst zwei parallele Handlungen, die tonal gar nicht unterschiedlicher sein könnten. Zum einen das private Leben Tinas, die durch ihre Andersartigkeit ein eher zurückgezogenes Leben führt und genau weiß, dass sie nicht der Norm entspricht. Sorgsam zeichnet der Film das Portrait einer Frau, die von Ausgrenzung und Abneigung in ihrer Jugend gezeichnet ist, und mit Vore eine Art Seelenverwandten findet, von dem sie glaubt, dass er sie versteht. Daraus entspringt eine kleine Liebesgeschichte, die nicht nur die gängigen Klischees mit groteskem, teils absurdem Humor untergräbt und variiert, sondern auch wie ein Märchen anmutet. Wenn Tina durch die Wälder spaziert und augenscheinlich mit Tieren kommuniziert, die ihr zutraulich sind, dann werden sofort Erinnerungen an klassische Sagen wach.
Auf der anderen Habenseite folgen wir einer Krimi-Handlung mit WhoDunnIt-Elementen, die eigentlich gar nicht wirklich ins Bild passt. Durch ihre seltsame Fähigkeit, Emotionen zu erschnüffeln, hilft Tina dabei, einen Pädophilen-Ring ausfindig zu machen. Dieses durchaus harte Handlungselement mag auf den ersten Blick wie eine ausgekoppelte Nebengeschichte wirken, birgt aber mehr Relevanz für den Film, als man denken mag. Tatsächlich führt der Film beide Stränge zusammen, nur um dann völlig die Erwartungen zu untergraben. Plötzlich kommen Fantasy-Elemente ins Spiel und BORDER entwickelt sich zum, über den Dingen stehenden, Genre-Mix, der auch Horrorelemente klassischer Sagen aufgreift. Dazwischen erzählt der Film einfach die Geschichte einer Frau, die auf der Suche nach sich selbst ist und ihren Platz erst gegen Ende findet.
Dass all diese Zwischentöne so gut funktionieren, liegt auch daran, dass Abbasi hier eine erstklassige Besetzung vor der Kamera versammelt hat. Für ihre Rolle, musste sich Eva Melander 20 kg anfuttern und täglich vier Stunden in der Maske verbringen. Das hat sich ausgezahlt, denn obwohl sie mit einer dicken prosthetischen Maske spielt, verleiht die Schauspielerin ihrer Figur Tina unglaublich viel Aussagekraft. Hier sitzt jede Nuance und allein ihre Blicke erzählen ganze Geschichten. Auch ihr Leinwandpartner Eero Milonoff brilliert als geheimnisvoller, wenn auch creepy wirkender Kontrapart. Auch die übrigen Darsteller machen ihre Sache außerordentlich gut und werden perfekt in Szene gesetzt.
Die Inszenierung spielt ebenso wie die Story mit vielen Elementen. Während der Plot um die Ermittlung eines Pädophilen-Rings, der nicht mal vor Babys halt macht, wie ein klassischer trockener Krimi funktioniert und auch so aussieht, fährt Ali Abbasi bei den restlichen Szenen eine fast schon übernatürliche Atmosphäre auf. Gerade in den Waldszenen hat man das Gefühl, ein düsteres Märchen zu sehen. Dieser Spagat zwischen den Stilen gelingt ziemlich gut und wenn der Film die Fäden am Ende zusammenführt, entfalten sich die tiefen Abgründe, welche packend eingefangen werden. Trotzdem sind ein paar Längen bei den zahlreichen Spaziergängen durch Wald und Wiesen nicht zu leugnen, die Kraft nehmen sie dem Film dadurch aber nicht. Trotzdem sollte man vorab nichts über den Film lesen, sondern komplett ahnungslos an die Sache herangehen. Erst dann erzielt das Ganze den gewünschten Effekt.
Capelight Pictures veröffentlicht die schwedisch-dänische Ko-Produktion nun als Blu-Ray, DVD und auch als limitiertes Mediabook. Zu meiner Freude habe ich letzteres für diese Rezension bekommen und wer Capelight kennt, weiß, dass sich die Qualität wie immer sehen lassen kann. Bild und Tonqualität sind aller erste Sahne und neben der deutschen Synchro, welche wirklich gelungen ist, kann man den Film auch im schwedischen Originalton genießen, deutsche Untertitel sind natürlich an Bord. Bei den Extras sieht es allerdings etwas mau aus, hat die Scheibe doch leider kein Bonusmaterial zu bieten. Dafür bekommt man aber ein umfangreiches Booklet, in dem es sogar ein Interview mit dem Regisseur zu lesen gibt. Feine Sache.
Fazit:
Ali Abbasis unvorhersehbarer Genre-Mix BORDER (2018) ist wahrscheinlich der interessanteste Film, den ich dieses Jahr sehen durfte. Ein betörendes, wenn auch abgründiges Gemisch aus Drama, Thriller, Mystery-Film und Fantasy-Märchen. Fans von Arthouse kommen bei diesem überraschenden Film voll auf ihre Kosten, Mainstream-Gucker werden vermutlich ihre Schwierigkeiten haben. Dennoch ist diese Perle auf jeden Fall einen Blick wert!
Christopher auf Letterboxd – Your Life in Film folgen